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Thüringer Landtag in der Krise,Verfassungsgerichtshof entscheidet über weiteres Vorgehen

Das Parlament rutscht in eine Krise, ohne Landtagspräsidenten ist es nicht voll arbeitsfähig. Ein "ungewöhnlicher Vorgang" sorgt für Spannungen.

Bei der ersten Sitzung des Thüringer Landtags kam es zum Eklat: Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl, sieht die Rechte der Abgeordneten beschnitten und kündigte den Gang zum Verfassungsgerichtshof an.
Foto: Martin Schutt/dpa

Verfassungsbruch, Rechtsbruch, Blockade? Nach einer chaotischen ersten Sitzung des Thüringer Landtags soll der Verfassungsgerichtshof entscheiden, wie es weitergeht. Das Parlament in Erfurt rutscht damit vorübergehend in eine Krise – ohne einen Landtagspräsidenten ist es fast vier Wochen nach der Landtagswahl nicht voll arbeitsfähig. Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass sich der Landtag innerhalb von 30 Tagen nach der Landtagswahl konstituiert. Was in Erfurt passierte, die Unterbrechung einer Landtagssitzung und die Anrufung des Verfassungsgerichts, gilt unter Staatsrechtlern als «ungewöhnlicher Vorgang».

Konfrontation der AfD mit allen anderen 

Die Landtagssitzung am Donnerstag endete nach zahlreichen Unterbrechungen, Zwischenrufen und verbalen Auseinandersetzungen mit einem Eklat und einer heftigen Konfrontation zwischen Björn Höcke von der AfD und den Fraktionen CDU, BSW, Linke und SPD. Das Parlament konnte nicht einmal seine Beschlussfähigkeit feststellen. Die Abgeordneten der vier Fraktionen machen den Alterspräsidenten der AfD, Jürgen Treutler, dafür verantwortlich. In der turbulenten Sitzung ließ er weder Wortmeldungen, Anträge noch eine Debatte über die geforderte Änderung der Geschäftsordnung zu.

Die Abgeordneten der CDU, BSW, Linke und SPD fühlen sich dadurch in ihren Rechten unzulässig beschnitten und sehen das Mehrheits- und Demokratieprinzip angegriffen. Die AfD wirft dagegen den anderen Fraktionen vor, sich nicht an parlamentarische Gepflogenheiten zu halten. Höcke beschuldigte sie des Taschenspielertricks.

Was die Verfassungsrichter entscheiden sollen 

Die CDU legt den Verfassungsrichtern einen Eilantrag vor, über den sie entscheiden sollen. Laut Angaben aus der CDU-Fraktion werden sich auch die drei anderen Fraktionen an dem Antrag beteiligen. Im Wesentlichen geht es darum, dass sich Alterspräsident Treutler beim zweiten Anlauf an die Regeln halten muss – dazu gehört unter anderem, dass er die Tagesordnung einhält und einen Änderungsantrag von CDU und BSW nicht unbeachtet lässt. Mit dem Antrag soll erreicht werden, dass der Personalvorschlag für das Landtagspräsidentenamt von allen Fraktionen kommen kann und nicht nur von der AfD als stärkster Fraktion.

Es ist unklar, wie die Verfassungsrichter entscheiden werden. Der AfD-Alterspräsident hat auch die Möglichkeit, seine Meinung zu äußern. Da es sich um ein Eilverfahren handelt, werden die Richter beraten, aber ohne mündliche Verhandlung entscheiden, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Der Zeitdruck ist unvermeidlich, aber der Landtag kann das Verfassungsgericht nicht zeitlich festlegen.

Nach Ansicht des Juristen Maximilian Steinbeis hat die AfD als stärkste Fraktion nur das Recht, den Kandidaten für das Amt des Landtagspräsidenten vorzuschlagen, aber nicht das Recht, dass dieser Kandidat – oder diese Kandidatin – dann auch gewählt wird. «Das ist die freie Entscheidung der Abgeordneten des neuen Thüringer Landtags, wen sie zu ihrem Landtagspräsidenten wählen wollen. Und mehr gesteht die Verfassung der AfD als stärkste Fraktion überhaupt nicht zu», sagte Steinbeis am Donnerstagabend im ZDF-«heute journal». Steinbeis ist Gründer des Verfassungsblogs. Das «Thüringen-Projekt» des Verfassungsblogs beschäftigte sich mit der Frage, was passieren würde, wenn «autoritär-populistische Parteien staatliche Machtmittel in die Hand bekommen».

So kam es zum Eklat

Der Ausgangspunkt des Konflikts liegt in der Wahl des Landtagspräsidenten. Die AfD hat als stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht mit 32 von 88 Abgeordneten. Es besteht jedoch kein Anspruch darauf, dass ihr Kandidat gewählt wird. Da klar war, dass ein AfD-Abgeordneter als Alterspräsident die Sitzung leiten würde, gab es Bedenken, dass ausschließlich AfD-Kandidaten zur Wahl aufgerufen werden könnten – die dann nacheinander bei der Wahl durchfallen würden. CDU und BSW haben daher einen Antrag eingebracht, der das Verfassungsrecht in die Geschäftsordnung übertragen soll. Dadurch sollen von Anfang an alle Fraktionen Kandidaten vorschlagen können.

So emotional war die Sitzung

Der Stoff war juristisch-trocken, doch die Emotionen kochten trotzdem hoch: Es gab Zwischenrufe, Applaus und teils verbales Durcheinander. Treutler zog seine Rede durch, die von viele Abgeordneten als nicht unparteiisch bewertet wurde. Die CDU warf dem AfD-Mann auch vor, seine Kompetenzen als Alterspräsident weit überschritten zu haben. CDU-Chef Mario Voigt sagte: «Das war ein Angriff auf parlamentarische Rechte, auf die Verfassung und auf jeden einzelnen Abgeordneten». Treutler versuchte, Abgeordneten das Wort zu entziehen, ignorierte Anträge und ging nicht auf mehrfach gestellte Forderungen ein, die Beschlussfähigkeit des Landtags festzustellen. Stattdessen sagte er mehrfach, dass er die Rechtsauffassung der AfD-Fraktion teile und demnach zu handeln gedenke. Der CDU-Abgeordnete Andreas Bühl sagte: «Was Sie hier betreiben, ist Machtergreifung.»

So könnte es in Thüringen weitergehen

Eine Entscheidung der Verfassungsrichter wird frühestens im Laufe des Freitags erwartet. Möglicherweise wird den Streitparteien noch eine Frist für eine Stellungnahme eingeräumt. Die Sitzung des Landtags wurde jedenfalls bis Samstag, 09.30 Uhr, unterbrochen. Ob es bis dahin tatsächlich eine Entscheidung gibt, gilt als ungewiss.

dpa