Noch immer werden Dutzende Entführte in Gaza festgehalten. Während das Gezerre um ihre Freilassung weitergeht, ist ein Ende des Krieges nicht in Sicht. Amnesty wirft Israel Völkermord vor.
Leiche deutsch-israelischer Geisel im Gazastreifen geborgen
Israelische Einsatzkräfte haben die Leiche einer deutsch-israelischen Geisel im umkämpften Gazastreifen geborgen. Die sterblichen Überreste Itay Svirskys seien zurück nach Israel gebracht worden, teilte die Armee mit. Bereits Anfang des Jahres hatte Israels Militär bekanntgegeben, dass der 38-Jährige in Gefangenschaft von seinen islamistischen Entführern ermordet worden sei. Er war demnach am 7. Oktober vergangenen Jahres beim Überfall der Hamas und anderer Terroristen aus dem Kibbuz Beeri in der Nähe des Gazastreifens entführt worden. Svirskys Eltern seien damals ermordet worden.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach am Abend von einem «schweren Verlust der Familie». Svirsky hatte laut der deutschen Botschaft in Israel neben der israelischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Rückführung seiner Leiche zur Bestattung in Israel sei ein «wichtiger Abschluss für seine Familie», erklärte das Forum der Geisel-Angehörigen. Rund 100 Entführte seien aber noch immer nicht aus dem Gazastreifen herausgeholt worden, und viele von ihnen noch am Leben. Alle Verschleppten müssten «unverzüglich freigelassen» werden, forderte das Forum.
Israel hält Geisel-Deal jetzt für möglich
Israels Verteidigungsminister Israel Katz sieht die Möglichkeit für ein Abkommen mit der Hamas. «Es besteht eine Chance, dass wir dieses Mal tatsächlich einen Geisel-Deal voranbringen können», sagte Katz nach Angaben seines Büros beim Besuch eines Luftwaffenstützpunktes im Zentrum des Landes. Grund sei, dass der Druck auf die Hamas unter anderem wegen der Schwächung der mit ihr verbündeten Hisbollah im Libanon zugenommen habe.
Der designierte US-Präsident Donald Trump hatte der Hamas kürzlich gedroht: Sollten die Geiseln nicht vor seinem Amtsantritt am 20. Januar freikommen, werde für jene, die für die Gräueltaten in Nahost verantwortlich seien, die «Hölle los sein». Was genau er in dem Fall unternehmen würde, ließ Trump offen.
Neue Bemühungen um Waffenruhe
Gemäß US-Angaben werden derzeit erneut Anstrengungen unternommen, um eine Waffenruhe zu erreichen und die Geiseln freizulassen. Laut Medienberichten befand sich vor Kurzem eine Hamas-Delegation in Kairo, um über neue ägyptische Vorschläge für einen Deal zu sprechen. In den vergangenen Monaten waren neben Katar und den USA auch Ägypten als Vermittler in die Verhandlungen eingebunden, da Israel und die Hamas grundsätzlich keine direkten Gespräche miteinander führen.
Die Hamas und andere Gruppen hatten am 7. Oktober des letzten Jahres über 250 Israelis in das abgeriegelte Küstengebiet entführt. Mehr als 1.200 Menschen kamen bei diesem beispiellosen Terroranschlag ums Leben. Dies war der Auslöser für den Gaza-Krieg.
Im Rahmen eines Waffenstillstands Ende November 2023 gab die Hamas 105 Geiseln frei. Als Gegenleistung ließ Israel 240 palästinensische Häftlinge aus den Gefängnissen frei. Einige Geiseln wurden seitdem vom Militär befreit, mehrere wurden tot aufgefunden.
Die Bemühungen um eine neue Waffenruhe und die Freilassung zusätzlicher Geiseln waren bisher erfolglos. Israel setzt seine Offensive gegen die Hamas in Gaza mit Bodentruppen und Luftangriffen fort. Laut der von der Terrororganisation kontrollierten Gesundheitsbehörde sind seit Beginn des Krieges vor fast 14 Monaten mehr als 44.500 Menschen in Gaza ums Leben gekommen. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen und machen keine Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern.
Amnesty International wirft Israel Völkermord vor
Amnesty International wirft Israel Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen vor. Die israelische Armee habe im Zuge ihrer Militäroffensive Kriegsverbrechen begangen und absichtlich Leid und Zerstörung über die Menschen in dem dicht besiedelten Küstengebiet gebracht, teilte die Menschenrechtsorganisation mit. Sie legte einen fast 300 Seiten langen Bericht dazu vor. Israel «hatte und hat die klare Absicht, Palästinenser im Gazastreifen auszulöschen», sagte Amnestys internationale Generalsekretärin Agnès Callamard in Den Haag. Israels Regierung weist solche Vorwürfe stets zurück und betont das Recht des jüdischen Staates auf Selbstverteidigung.
Bei einem Luftangriff der israelischen Streitkräfte im Norden des Gazastreifens gab es laut palästinensischen Angaben am Abend erneut mehrere Todesopfer. Medizinischen Kreisen zufolge wurden mindestens zehn Menschen bei dem Angriff auf Häuser in der Stadt Gaza getötet und 15 verletzt. Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa berichtete unter Berufung auf Augenzeugen von 25 Toten. Auch diese Angaben konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden. Israels Militär bestätigte auf Anfrage, dass es den Berichten nachgehe.
Palästinenser berichten von Dutzenden Toten
Auch im südlichen Teil des abgeriegelten Küstenstreifens wurden am Abend laut Mitarbeitern eines Krankenhauses mindestens 20 Menschen getötet und weitere verletzt. Israels Armee habe in Al-Mawasi bei Chan Junis Zelte Vertriebener getroffen, teilten Beschäftigte der nahegelegenen Nasser-Klinik mit. Darunter seien fünf Minderjährige.
Israels Armee gab auf Anfrage bekannt, dass sie hochrangige Hamas-Mitglieder in dem Gebiet angegriffen hat. Die Hamas nutzt die humanitäre Zone als Versteck und missbraucht Zivilisten als Schutzschild. Laut dem Wafa-Bericht sollen im Laufe des Tages insgesamt 76 Palästinenser bei Angriffen und Kämpfen ums Leben gekommen sein. Auch diese Angaben beider Seiten konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.
Zehntausende fliehen vor Kämpfen in Syrien
Die Auseinandersetzungen zwischen islamistischen Rebellen und Regierungstruppen in Syrien dauern weiter an. Laut Angaben der UN sind bereits rund 150.000 Menschen auf der Flucht.
In der Mitte der vergangenen Woche begann eine Allianz von Rebellen unter der Führung der islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) eine Offensive im Nordwesten Syriens und übernahm am Wochenende die Kontrolle über Aleppo, die zweitgrößte Stadt des Landes. Aufgrund des überraschenden Rückzugs der Regierung von Präsident Baschar al-Assad in die Defensive befürchtet Israel eine verstärkte Beteiligung des Erzfeindes Iran in der Region. Die Führung der Islamischen Republik unterstützt auch die Hamas und die Hisbollah-Miliz im Libanon.