Der Frauenanteil im Bundestag sinkt auf 32,4 Prozent, während Männer dominieren. Experten sehen strukturelle Barrieren und fordern Paritätsgesetz.
Unterrepräsentation im Bundestag: Frauenanteil sinkt auf 32,4 Prozent
Der durchschnittliche Abgeordnete im neu gewählten Bundestag ist 47 Jahre alt, männlich und weiß. Frauen sind mit einem Anteil von 32,4 Prozent im Parlament deutlich unterrepräsentiert, obwohl sie mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Im Vergleich zur vorherigen Legislaturperiode ist der Frauenanteil gesunken: Bisher konnten rund 35 Prozent Frauen auf den Rängen des Plenarsaals mitbestimmen.
Sheyda Weinrich von der Bundesstiftung Gleichstellung sagt, dass der Frauenanteil im neuen Bundestag wieder besonders niedrig ist. Im Jahr 1998 lag er erstmals über 30 Prozent. 2013 wurde mit 37 Prozent der bisherige Höchstwert erreicht – seitdem sinkt der Anteil wieder. Zu dieser Zeit regierte eine große Koalition aus Union und SPD unter der Führung von Ex-Kanzlerin Angela Merkel.
Zu wenige Frauen bei AfD und Union
Der gesunkene Anteil hängt Weinrich zufolge vor allem mit dem Erstarken von AfD und Union zusammen. «Insbesondere bei den Direktmandaten sind bei den erstarkten Fraktionen zu wenige Frauen dabei», erläutert Weinrich im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Bei der AfD sind rund 12 Prozent der Parlamentarier weiblich. In der Union sind 23 Prozent der Abgeordneten Frauen.
Ein strukturelles Problem bei Parteien sieht auch die Juristin Silke Ruth Laskowski, Expertin für Parität und Antidiskriminierungsrecht an der Universität Kassel. «Sie bevorzugen bei den Kandidaturen Männer und bremsen Frauen aus und das verstößt gegen deren Recht auf Chancengleichheit in den Kandidaturen», sagt Laskowski.
Die Grünen haben mit ungefähr 61 Prozent den höchsten Anteil an weiblichen Abgeordneten, gefolgt von der Linken mit ungefähr 56 Prozent. Bei der SPD liegt das Verhältnis der Geschlechter mit ungefähr 42 zu 58 Prozent leicht zugunsten der Männer.
Expertin: Würden bestimmte Debatten ohne Frauen nicht führen
Doch bleiben mit weniger Frauen im Parlament auch Gleichstellungsfragen auf der Strecke? Durch diesen Umstand dominiere im Bundestag ein «männlicher Blick», sagt Laskowski. «Das heißt, Themen von Frauen und Perspektiven, die für deren Lebensrealität wichtig sind, verschwinden oder werden heruntergespielt.»
Schaffen es nur wenige Frauen in Parlamente, würden auch deren «Lebenswelten und Perspektiven» weniger in die Entscheidungsfindung einfließen, erklärt auch Kathrin Mahler Walther, Vorsitzende des Forschungs- und Beratungsinstituts EAF in Berlin. «Die Bandbreite dessen, was diskutiert wird, verkleinert sich.»
Durchbrüche bei Frauenrechten und Gleichstellungsanliegen seien in der Vergangenheit oft nur durchgebracht worden, «weil sich die wenigen Frauen im Bundestag überhaupt zusammengeschlossen und Themen vorangebracht haben», sagt Weinrich. Nicht alle weiblichen Abgeordneten setzten sich zwangsläufig für gleichstellungsorientierte Politik ein, aber mit mehr Frauen in Parlamenten werde es wahrscheinlicher. «Je mehr Frauen in den Bundestag kamen, desto mehr wurden auch Themen, die Frauen betreffen, dort zur Sprache gebracht», bestätigt auch Laskowski.
Zeit für Parität?
Aus der vergleichsweise gut mit Frauen besetzten Fraktion der Grünen blickt Co-Vorsitzende Britta Haßelmann mit Sorge auf den geringen Frauenanteil. «Frauen werden keine Nebenrolle einnehmen und sich damit auch nicht abfinden», sagte sie bereits wenige Tage nach der Bundestagswahl.
Für Katja Mast, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, ist der gesunkene Anteil eine «erschreckende Entwicklung, die den gleichstellungspolitischen Rückschritt durch konservative und rechte Parteien sehr deutlich zeigt». Es sei Zeit für ein Paritätsgesetz, das bisher «immer wieder an CDU und CSU, FDP und AfD» gescheitert sei, mahnt Mast.
Die frauenpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Silvia Breher, hätte sich in ihrer Fraktion einen höheren Frauenanteil gewünscht. Der geringe Anteil liege «vor allem daran, dass ein Großteil unserer Sitze sich aus gewonnenen Direktmandaten erschließt», erklärt Breher auf Anfrage. Das neue Wahlrecht habe dafür gesorgt, «dass sechs Frauen aus der Union nicht in den Deutschen Bundestag einziehen, obwohl sie ihren Wahlkreis direkt gewonnen haben». Die Union müsse Rahmenbedingungen schaffen, «dass Frauen in unserer Partei die gleichen Chancen haben wie Männer.»
Aus Sicht der AfD-Politikerin Beatrix von Storch hängt der geringe Frauenanteil in den eigenen Reihen mit dem Umgang mit der Partei zusammen. Werde die Partei «wie jede andere» behandelt, «werden sich auch mehr Frauen in der AfD engagieren und in Ämter und Mandate gewählt werden», sagt von Storch auf Anfrage mit. Auch unabhängig von Geschlecht oder anderen Eigenschaften würden die Abgeordneten «das ganze Volk» repräsentieren. Eine aus ihrer Sicht verfassungswidrige Frauenquote lehnt sie ab.
Expertin: Parität ist keine «Mammutaufgabe»
Hinter dem geringen Frauenanteil versteckt sich aus Sicht der Expertinnen auch ein Demokratieproblem: Frauen kämen vor allem nicht in politische Ämter, «weil es strukturelle Barrieren gibt und es keine gleichen Zugangschancen gibt», kritisiert Weinrich. Sie würden seltener in wichtigen Wahlkreisen aufgestellt, Politik werde ihnen oft nicht zugetraut. «Letztendlich ist das eine Demokratiefrage, wenn es uns nicht gelingt, allen Frauen wie Männern den gleichen Zugang zu politischen Ämtern zu ermöglichen.»
«Unsere repräsentative Demokratie ist nur so stark wie die Vielfalt der in ihr vertretenen Stimmen», ergänzt Mahler Walther. Werde die Vielfalt eingeschränkt, gehe auch die Repräsentation verloren. «Das europäische Demokratieverständnis setzt die gleichberechtigte Partizipation von Frauen und Männern im Bereich der Parlamente der Entscheidungsfindung voraus», sagt auch Juristin Laskowski.
Weinrich sieht einen wichtigen Schritt letztendlich in der Parität, die kein schwieriges Unterfangen sei. «In Summe reden wir bei 630 Abgeordneten von 315 Frauen. Es kann einem niemand erzählen, dass das eine Mammutaufgabe sei, die man nicht lösen könne.»