Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Deutschland plant verstärkte ambulante Versorgung im Gesundheitswesen

Ärzte und Pflegekräfte sollen effizienter eingesetzt werden, um Personalnot zu lindern und Lücken zu vermeiden.

Bei einer Protestaktion vor dem Schweriner Landtag hält eine Teilnehmerin ein Schild mit der Aufschrift «Pflege in Not - Existenzen bedroht!».
Foto: Jens Büttner/dpa

In Deutschland sollen Patienten zukünftig vermehrt ambulant und per Video und Telefon behandelt werden, um den Personalmangel im Gesundheitswesen nicht weiter zu verschärfen. Laut einem neuen Gutachten des Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege werden Ärzte und Pflegekräfte derzeit oft ineffizient eingesetzt. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnte in Berlin vor einem Mangel von bis zu 50.000 Ärzten in den nächsten zehn Jahren.

Viele Ärzte und Pflegekräfte in Deutschland

Eigentlich habe Deutschland «relativ viele Fachkräfte in der Arbeit», stellte der Ratsvorsitzende Michael Hallek fest. So gebe es hierzulande etwa 1,2 Millionen Menschen in der Krankenpflege, etwa 700.000 in der Altenpflege, etwa 700.000 medizinische Fachangestellte und ungefähr 500.000 Ärzte. Allerdings: Mehr Patientinnen und Patienten als in anderen Industriestaaten werden in Deutschland im Krankenhaus behandelt, wie das Gutachten hervorhebt. 

Heute gilt oft stationär vor ambulant

So zähle die Zahl an Belegungstage im Krankenhaus in Deutschland zu den höchsten in Europa – der Grund: hohe Fallzahlen und immer noch lange Verweildauern in der Klinik. Dabei seien die medizinischen Ergebnisse in Deutschland nicht besser, auch die Lebenserwartung liege nicht höher als anderswo, sagte Hallek. Der hohe Stellenwert der stationären Versorgung in Deutschland liegt laut Gutachten nicht nur an überdurchschnittlich vielen Älteren mit mehreren Krankheiten, sondern auch daran, dass Kliniken «fehlende Versorgungsmöglichkeiten in anderen Bereichen» ausgleichen. Lauterbach: «Jetzt schon sind 5000 Hausarztpraxen nicht besetzt. Das wird deutlich zunehmend.»

Ärztemangel – oder doch nicht?

Für das Fehlen von insgesamt zehntausenden Ärzte machte Lauterbach mangelnde Vorsorge verantwortlich. «Wir haben die letzten zehn Jahre ungefähr 5000 Medizinstudienplätze zu wenig gehabt -also pro Jahr.» Durch eine zunehmende Zahl von ausländischen Ärzten habe der Mangel bisher weitgehend kompensiert werden können. Laut Bundesärztekammer erreichte die Zahl der Medizinerinnen und Mediziner ohne deutsche Staatsangehörigkeit vergangenes Jahr mit knapp 64.000 eine neue Höchstmarke. Doch nun konkurriere Deutschland zunehmend mit anderen Ländern, so Lauterbach. «Das wird so nicht weitergehen können.» Hallek wollte von einem «dramatischen Mangel» bei den Ärzten dagegen noch nicht sprechen, auch der Zuspruch des Medizinstudiums sei hoch.

Lage droht sich zu verschärfen

Doch einig sind sich Lauterbach und das siebenköpfige Gutachtergremium in dem grundsätzlichen Befund: Die Situation drohe sich insgesamt zu verschärfen. «Wir haben mit einem erheblichen Fachkräftemangel zu rechnen, der derzeit noch nicht ausreichend aufgearbeitet wurde», sagte der Minister. Laut den Gutachtern dürfte der allgemeine Fachkräftemangel und das Älterwerden der Gesellschaft dazu führen, dass es nicht mehr Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte sowie andere Angehörige von Gesundheitsberufen gibt, aber der Bedarf in der Bevölkerung an Versorgung zunimmt. Lauterbach nannte die Zahl der benötigten Fachkräfte auch in der Pflege viel größer als die Zahl der ausgebildeten Kräfte. Mit Blick auf die Krankenhäuser sagte er: «Wir haben nicht die Ärzte und auch nicht das Pflegepersonal, die 1720 Standorte am Netz zu halten.» 

Experten fordern Ende von Ressourcenverschwendung

«Wir verbrennen unheimlich viel Geld», kritisierte Hallek. Deutschland habe eines der teuersten Gesundheitswesen der Welt, doch die Fachkräfte würden in die Überlastung getrieben und Patienten oft nicht optimal versorgt. «Da kann man als demokratischer Bürger nicht zufrieden sein», so der Kölner Medizinprofessor. Eindringlich mahnte der Forscher: «Wir müssen beginnen, mit der Ressourcenverschwendung aufzuhören.» Patientinnen und Patienten sollten nach Ansicht des Sachverständigenrats vor allem mehr ambulant statt stationär versorgt werden. Der Hamburger Forscher Jonas Schreyögg identifizierte das Ziel weniger Belegungstage in den Krankenhäusern als Schlüssel für Verbesserungen. Sonst würden dort so viele Medizinerinnen und Mediziner sowie Pflegekräfte gebraucht, dass sie insgesamt fehlten. 

Was getan werden soll

Heute landet laut den Gutachtern jede und jeder zweite Patient einer Notaufnahme am Ende stationär im Krankenhaus, international ist sehr viel. Da trifft es sich, dass Lauterbach seine Notfallreform «noch vor der Sommerpause» auf den Weg bringen will, wie er ankündigte. Sie sieht vor, dass Hilfesuchende bereits am Telefon oder vor Ort im Krankenhaus verstärkt in eine nahe Praxis geschickt werden. Die Notaufnahmen sollen künftig in neue Notfallzentren aufgehen, zu denen auch ambulante Notdienstpraxen in der Nähe gehören sollen. 

Laut dem SPD-Politiker sollen in der Pflege mehrere Gesetze dazu beitragen, den Beruf attraktiver zu gestalten. Bei den Hausärzten soll die angekündigte Befreiung von strikten Budgets bei der Vergütung der Behandlungen für Entlastung sorgen. Die Digitalisierung soll Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften Zeit sparen, die derzeit für die Dokumentation benötigt wird. Telemedizin soll vermehrt eingesetzt werden. Die Prävention von Schlaganfällen und Herzinfarkten soll stark ausgebaut werden. Insbesondere wies Lauterbach auf die geplante große Krankenhausreform hin: Standorte sollen reduziert und die Versorgung konzentriert werden.

dpa