Erneut bringt ein heftiger Angriff die Einwohner der ukrainischen Hauptstadt um den Schlaf. Nach dem angekündigten Waffenlieferstopp der USA hofft Selenskyj auf Hilfe aus Europa.
Russland attackiert Kiew mit Drohnen und Raketen

Russland hat die ukrainische Hauptstadt Kiew mit Dutzenden Kampfdrohnen angegriffen. «Nach vorläufigen Informationen haben wir mehrere Brände im Stadtbezirk Solomjanka», schrieb Militärverwaltungschef Tymur Tkatschenko bei Telegram. Es handele sich bei allen Bränden um Wohnhäuser. Ein Mann sei verletzt worden. Auch in mindestens vier anderen Stadtteilen seien durch Drohnen verursachte Schäden festgestellt worden. Flugabwehrfeuer war stundenlang im Stadtgebiet zu hören.
Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe hat das russische Militär auch mindestens eine Hyperschallrakete Kinschal (Dolch) eingesetzt. Darüber hinaus wurden in mehreren Wellen ballistische Raketen und Marschflugkörper auf Ziele in Kiew und der Umgebung abgefeuert. Berichten zufolge war ein Hauptziel der Militärflugplatz Wassylkiw südlich der Dreimillionenstadt.
Die Ukraine kämpft seit über drei Jahren gegen den russischen Angriffskrieg und fordert ihre westlichen Verbündeten wiederholt auf, die Luftabwehr zu stärken.
In Anbetracht eines Teilstopps der US-amerikanischen Waffenlieferungen forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die EU auf, ihre eigene Rüstungsindustrie zu stärken. «Wir müssen Europas eigene Verteidigungsindustrie aufbauen, damit Russland uns in keinem Bereich überlegen sein kann», sagte der Staatschef während seines Besuchs in der dänischen Stadt Aarhus. Selenskyj betonte, dass er trotz des vorläufigen Lieferstopps weiterhin auf die Unterstützung der USA setzt und plant, mit US-Präsident Donald Trump zu sprechen.
Tote durch Beschuss in Donezk – Verletzte in Charkiw
Im ostukrainischen Gebiet Donezk wurden am Donnerstag mindestens fünf Menschen durch russische Angriffe getötet. Der Militärgouverneur des Gebiets, Wadym Filaschkin, teilte bei Telegram mit, dass weitere zwölf Personen verletzt wurden. Zwei Männer starben in der frontnahen Stadt Pokrowsk, drei weitere in den Dörfern Bilyzke und Illiniwka.
Im Osten der Ukraine wurde auch im Gebiet Charkiw ein Ehepaar bei einem Drohnenangriff verletzt. Der 56-jährige Mann und seine 51-jährige Frau waren mit dem Auto im Bezirk Kupjansk unterwegs, als ihr Fahrzeug von einer Drohne getroffen wurde, berichtete die ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform unter Berufung auf die regionale Staatsanwaltschaft.
Selenskyj: Waffen und Russland-Sanktionen entscheidend
Selenskyj betonte bei einem Abendessen anlässlich der Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch Dänemark in Aarhus, dass Waffenlieferungen für die Ukraine sowie neue scharfe Sanktionen gegen Russland entscheidend für die Sicherheit Europas seien. Es sei wichtig, die Sanktionen so zu gestalten, dass Moskau nichts mehr erhalte, was für die Waffenherstellung genutzt werden könne.
Trotz der beispiellosen Sanktionen setzt Russland seinen Krieg gegen das Nachbarland mit unveränderter Härte fort und kontrolliert fast ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebiets, einschließlich der bereits 2014 annektierten Halbinsel Krim. Kiew droht der Hauptwaffenlieferant verloren zu gehen, falls die USA sich aus der Unterstützung der Ukraine zurückziehen.
US-Medien hatten in der Nacht zum Mittwoch von einem amerikanischen Lieferstopp bestimmter Raketen und Munition an die Ukraine berichtet – obwohl diese schon zugesagt waren. Das ukrainische Verteidigungsministerium teilte daraufhin mit, dass es offiziell nicht über eine «Einstellung oder Revision der Lieferpläne für die vereinbarte Militärhilfe» informiert worden sei. Man habe ein Telefongespräch mit den US-Kollegen für eine zusätzliche Klärung der Details angefragt.
Dänemark: Europa muss US-Lücken bei Ukraine-Hilfen füllen
Ein möglicher US-Waffenlieferstopp muss aus auch Sicht des neuen EU-Ratsvorsitzenden Dänemark von den europäischen Staaten aufgefangen werden. Natürlich wäre es ein großer Rückschlag für die Ukraine, Europa und die Nato, wenn die USA sich dazu entschieden, der Ukraine nicht das zu liefern, was sie brauche, sagte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen auf einer Pressekonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Aarhus. Man werde sich die in Washington getätigten Entscheidungen anschauen, und wenn daraus Lücken entstünden, dann müssten diese gefüllt werden, sagte Frederiksen. «Wir als Europäer müssen liefern, was auf dem Schlachtfeld benötigt wird.»
Selenskyj sucht das Gespräch mit Trump
Der ukrainische Staatschef setzt darauf, zeitnah mit US-Präsident Trump über den Waffenlieferstopp für sein Land sprechen zu können. Er hoffe, vielleicht schon am Freitag oder in den kommenden Tagen mit Trump über die US-Unterstützung reden zu können, sagte Selenskyj in Aarhus. «Zunächst einmal: Wir setzen auf die Fortsetzung der amerikanischen Unterstützung», betonte er. Manches könnten die europäischen Staaten nicht liefern, etwa Raketen für die so wichtigen Patriot-Flugabwehrsysteme.
Putin fordert Diplomatie und beharrt auf seinen Forderungen
Trump sprach unterdessen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über ein mögliches Ende des Ukraine-Kriegs. Nach Angaben aus dem Kreml forderte Putin bei dem Telefonat grundsätzlich eine diplomatische Lösung von Konflikten. «Er hat die Bereitschaft der russischen Seite zur Fortsetzung des Verhandlungsprozesses (mit der Ukraine) erklärt», teilte Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow nach Abschluss des knapp einstündigen Gesprächs mit. Moskau werde dabei aber nicht von seinen Zielen zur Beseitigung der Ursache des Konflikts abrücken.
Russland begann den Krieg gegen die Ukraine mit der Begründung, dass ein Nato-Beitritt der Ukraine die eigene nationale Sicherheit gefährde und dass Moskau die russischsprachige Minderheit im Nachbarland schützen müsse. Darüber hinaus erhebt Russland inzwischen Ansprüche auf mehrere Gebiete in der Ost- und Südukraine.
US-Präsident Trump äußerte sich auf Nachfrage von Journalisten nur vage zu dem Telefonat mit Putin. Man habe unter anderem über den Iran und den Krieg in der Ukraine gesprochen. Er sei «nicht glücklich», sagte Trump. Es habe keinen Fortschritt gegeben.