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Menschenrechtler prangern Polizeigewalt in Türkei an

Die meisten Demonstranten in der Türkei setzen auf friedliche Mittel. Anders die Polizei. Menschenrechtsorganisationen schlagen kurz vor einer in Istanbul geplanten Groß-Demo Alarm.

Menschenrechtsorganisationen fordern die türkische Regierung auf, die Angriffe auf friedliche Demonstranten sofort zu stoppen.
Foto: Francisco Seco/AP/dpa

Kurz vor einer geplanten Groß-Demo in der türkischen Millionenmetropole Istanbul haben Menschenrechtsorganisationen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan aufgefordert, die Angriffe auf friedliche Demonstranten zu stoppen. In der gemeinsamen Erklärung von Human Rights Watch, Amnesty International und 13 weiteren Organisationen hieß es, man sei alarmiert «über die jüngste Eskalation des staatlichen Vorgehens gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nach der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoglu». Die Proteste werden einer Umfrage zufolge von einer Mehrheit der Türken unterstützt. 

Die Polizei geht streng gegen die Demonstranten vor, manchmal sogar brutal. Sezgin Tanrikulu, ein aktiver Politiker und Jurist für die größte Oppositionspartei, beschuldigte die Einsatzkräfte auch sexueller Gewalt. Es werden keine genauen Zahlen zu verletzten Demonstranten veröffentlicht, die Polizei spricht lediglich von über 100 verletzten Beamten.

Tausende protestieren auch am Donnerstag

Die Proteste in verschiedenen Städten des Landes setzten sich auch am Donnerstag fort. Berichten zufolge demonstrierten Tausende von Menschen bereits den neunten Abend in Folge – unter anderem in Izmir, Istanbul und in der Hauptstadt Ankara. Erneut wurden viele Menschen festgenommen.

Die türkische Opposition hat zur Großdemo am Samstag in Istanbul aufgerufen. CHP-Chef Özgür Özel erklärte, dass die Proteste weitergehen würden, bis entweder eine vorgezogene Präsidentschaftswahl angesetzt oder der abgesetzte Istanbuler Bürgermeister Imamoglu aus dem Gefängnis entlassen werde.

Seit der Festnahme von Imamoglu am 19. März demonstrieren täglich Zehntausende Menschen in der Türkei größtenteils friedlich gegen die Regierung Erdogans. Die Demonstranten werfen dem Präsidenten vor, den beliebten Oppositionspolitiker Imamoglu mithilfe der Justiz politisch zum Schweigen bringen zu wollen. Dem populären Oppositionspolitiker wurden bislang Chancen eingeräumt, Erdogan bei einer nächsten Präsidentschaftswahl schlagen zu können.

Laut dem türkischen Innenministerium wurden seit Beginn der Proteste fast 1.900 Menschen vorübergehend festgenommen, darunter mehrere Journalisten. Die von Erdogan als von der Opposition angezettelte «Gewaltbewegung» bezeichneten Proteste wurden in mehreren Städten verboten. In Istanbul ließ das Gouverneursamt dieses Protestverbot inzwischen auslaufen. 

https://x.com/esinclairwebb/status/1905333830967341090

Menschenrechtler: Polizisten setzen wahllos Plastikgeschosse ein

Die Menschenrechtsorganisationen beklagten in ihrer Stellungnahme weiter, die Proteste seien mit «ungerechtfertigter und unrechtmäßiger Polizeigewalt beantwortet» worden. Menschen seien mit Schlagstöcken geschlagen und getreten worden, wenn sie am Boden lagen. Polizisten hätten wahllos Pfefferspray, Tränengas, Plastikgeschosse und Wasserwerfer gegen die Demonstranten eingesetzt, was zu zahlreichen Verletzungen geführt habe. 

Pauschale Demonstrationsverbote wie in Istanbul, Ankara, Antalya und Izmir seien unverhältnismäßig und nicht zu rechtfertigen. Medien müssen die Möglichkeit haben, die Öffentlichkeit mit den erforderlichen Informationen zu versorgen und frei von staatlichem Druck über Ereignisse zu berichten, wurde auch mit Blick auf Repressionen gegen regierungskritische Fernsehsender betont. Zu den Unterzeichnern der Erklärung gehören auch mehrere Journalistenvereinigungen und die Autorenvereinigung PEN International.

Umfrage: Mehrheit der Türken unterstützt Proteste

In der Zwischenzeit hat das Umfrageinstitut Konda über die Plattform X mitgeteilt, dass eine Mehrheit der Menschen in der Türkei einer Umfrage zufolge die Proteste gegen die Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters unterstützt. 21 Prozent der Befragten halten die Proteste für gerechtfertigt, 52 Prozent befürworten den Widerstand, solange er die öffentliche Ordnung nicht gefährdet. 27 Prozent sind demnach gegen die Proteste.

Kritik am Vorgehen der Regierung kam auch von Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk. In einem Beitrag auf der Nachrichtenseite «T24» schrieb er von «erschreckenden politischen Entwicklungen». Die ohnehin eingeschränkte Demokratie in der autoritär regierten Türkei ende damit, «dass der Kandidat, der beim Volk am beliebtesten ist und bei der nächsten Wahl die meisten Stimmen erhält, ins Gefängnis geworfen wird».

Medienaufsicht verhängt harte Strafen gegen TV-Sender

Am Donnerstag zogen Demonstranten laut der Nachrichtenagentur Anka vor den Sitz der Medienaufsicht Rtük in Istanbul, nachdem diese harte Strafen gegen mehrere oppositionelle Sender verhängt hatte – unter anderem eine zehntägige Sendesperre für Sözcü TV. Die Menschen skandierten dem Bericht zufolge «Freie Presse, freie Türkei». Ein Protest vor einem Einkaufszentrum im Istanbuler Stadtteil Sisli wurde von der Polizei verhindert und mit zahlreichen Festnahmen aufgelöst, wie das Portal «Bianet» berichtete.

dpa