Gelächter und alte Missverständnisse – Einblick in das Verhältnis zweier ehemaliger Regierungschefs bei Veranstaltung in Washington.
Obama und Merkel: Eine ungewöhnliche Freundschaft
«Nett und freundlich», aber «zurückhaltend»: So beschreibt der frühere US-Präsident Barack Obama Angela Merkel. «Ich würde sagen, du bist nicht unbedingt ein extrovertierter Mensch», sagt der 63-Jährige scherzhaft an die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin gerichtet. Bei einer Veranstaltung in der US-Hauptstadt Washington sprechen die beiden über Merkels Memoiren – und ihr Verhältnis zueinander. Auf der großen Bühne in Washington wird viel gelacht – und es werden alte Missverständnisse ausgeräumt. Aber längst nicht alles kommt zur Sprache.
Die ehemalige CDU-Vorsitzende hatte vergangene Woche ihre Memoiren mit dem Titel «Freiheit. Erinnerungen 1954 – 2021» vorgestellt. Nun ist sie in die USA gereist und niemand Geringeres als Obama, der von 2009 bis 2017 US-Präsident war, löchert die 70-Jährige nun vor einem ausverkauften Saal mit Fragen. Zwei Sessel, zwei kleine Tischchen – Merkel im klassischen weißen Blazer, Obama im dunklen Anzug: So sieht die Bühne aus, auf der sonst eigentlich große Bands spielen.
Merkel und Obama demonstrieren Einigkeit
Die ehemalige Kanzlerin spricht Deutsch – ihre Antworten werden ins Englische übersetzt. «Sie sollten wissen, dass ihr Englisch exzellent ist und dass wir nie Übersetzer benutzen», lobt Obama die ehemalige Kanzlerin. Aber sie sei eben eine sehr präzise Person.
Merkel und Obama hatten nie eine völlig ungetrübte Beziehung, während sie jeweils in ihren Ländern regierten. Rückblickend sieht es jedoch ganz anders aus, da sie nun ihre enge Verbundenheit inszenieren. Einige Monate nach Merkels Ausscheiden aus dem Kanzleramt besuchten sie gemeinsam das Nationalmuseum zur afroamerikanischen Geschichte und Kultur in Washington. Nun wird auf der Bühne in der US-Hauptstadt thematisiert, wie ihr nicht ganz einfaches Verhältnis begann.
Die verflixte Rede in Berlin
Obama wollte als Wahlkämpfer 2008 am Brandenburger Tor in Berlin reden – durfte aber nicht. Er musste an die nahe gelegene Siegessäule ausweichen. «Ich glaube, Angela wollte zu Recht darauf achten, dass nicht der eine oder andere Kandidat bevorzugt wird. Und so waren einige der Sehenswürdigkeiten verboten», erzählt der Demokrat augenzwinkernd – und nutzt das deutsche Wort «verboten». Merkel sei dann nach seinem Wahlsieg nicht sicher gewesen, ob er sauer darüber sei. «Das war ich wirklich nicht, aber sie war immer besorgt, dass ich wütend bin.»
Nun möchte auch Merkel ihre Perspektive darlegen – ebenfalls mit einem Augenzwinkern. Das Brandenburger Tor sei für die Deutschen ein symbolischer und wichtiger Ort, berichtet sie. Wenn sie dem Kandidaten Obama erlaubt hätte, dort zu sprechen – wer wäre dann als Nächstes gekommen? Doch alle hätten Obama geliebt – und behauptet, sie fürchte nur Obamas Popularität und Rednerkunst. Am Ende sei dieser jedenfalls nicht sauer gewesen und man sei gut miteinander ausgekommen. Bei seinem ersten Besuch als Präsident im Sommer 2013 durfte Obama dann schließlich am Brandenburger Tor sprechen.
Nicht immer nur Schönwetter
Doch auch bei ernsteren Themen wie dem Umgang mit der Finanzkrise, sagt Obama, sei es immer kollegial zugegangen. Man habe nie die Stimme erhoben, aber manchmal die Stirn gerunzelt, scherzt er. Auch Merkel sagt, es sei nicht immer alles eitel Sonnenschein gewesen. Worüber die beiden bei dem gemeinsamen Auftritt in Washington nicht sprechen: 2013 war bekanntgeworden, dass der US-Geheimdienst NSA über Jahre Merkels Handy ausspioniert hatte. «Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht», hatte sich Merkel damals verärgert gezeigt.
Merkel und Obama stammen aus verschiedenen Welten. Der ehemalige US-Präsident verbrachte seine Jugend in Hawaii und Indonesien, studierte in Harvard, arbeitete als Sozialarbeiter und Bürgerrechtsanwalt in der Metropole Chicago. Merkel wurde in Hamburg geboren, wuchs in der DDR auf, ist Naturwissenschaftlerin – und kam schließlich in die Politik. Doch sie verbindet etwas Wichtiges: “Sie waren beide die Ersten.” Merkel war 2005 die erste deutsche Kanzlerin, als sie gewählt wurde. Obama war nach seiner Wahl 2008 der erste schwarze US-Präsident.
Merkel spricht über gläserne Decke
Und so zeigt sich Obama neugierig – fragt sie, wie das damals in der DDR gewesen sei. Sie spricht von einer glücklichen Kindheit – obwohl sie in einer Diktatur gelebt habe. Im Westen, sagt Merkel, verstehe man das nicht immer. Und dann will Obama wissen, welche Bedeutung ihr Frausein an der Macht gehabt habe. «Ich denke jetzt darüber nach, da ich zwei Töchter habe, die in ihrer Mutter offensichtlich ein gutes Vorbild haben», sagt er.
Merkel sagt, dass sie zu Beginn ziemlich naiv war – aber in der Politik schnell bemerkt hat, dass es eine gläserne Decke gab. Als sie als Kanzlerin kandidierte, gab es Vorbehalte. Es gab keine Erfahrung mit Frauen in dieser Position. Übrigens ist das in den USA immer noch so, stellt die Ex-Kanzlerin fest. Man muss auf die Zukunft hoffen. Die Demokratin Kamala Harris verlor vor einigen Wochen bei der US-Wahl gegen den Republikaner Donald Trump, der auf der Bühne in Washington nicht direkt angesprochen wird.
Obama: Merkel geht es um Fakten
Merkel erzählt weiter, dass sie auf internationaler Bühne manchmal einen Vorteil gehabt habe. Mit ihren bunten Blazern sei sie häufig ein Farbklecks zwischen all den grauen Jacketts gewesen. Es sei aber nicht so einfach gewesen, dorthin zu kommen. Die ehemalige Kanzlerin nennt eine ihrer Gaben, nie etwas zu tun, was man nicht ganz verstehe – stets etwas Bescheidenheit zu bewahren – und dennoch mutig und ehrgeizig zu sein. Obama sagt über die Ex-Kanzlerin: «Sie ist eher die Wissenschaftlerin, es geht um Fakten und Analysen.»
Am Ende stört das friedliche Miteinander zwischen Obama und Merkel noch eine schreiende Zuschauerin, die dem Ex-Präsidenten immer wieder ins Wort fällt. Der hat eine Lektion in Demokratie und Respekt parat: «Die Leute sind gekommen, um Angela Merkel zuzuhören, und nicht Ihnen, junge Frau. Sie können Ihre eigene Veranstaltung organisieren.»