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Merz legt die Latte für Renten-Abstimmung hoch

Eigentlich müssten 284 Stimmen für die eigene Mehrheit der Koalition bei der Renten-Abstimmung reichen. Der Kanzler setzt die Zielmarke wenige Stunden vor der Entscheidung aber deutlich höher an.

Merz zeigt sich zuversichtlich für die Abstimmung am Freitag.
Foto: Michael Kappeler/dpa

Vor der Entscheidung über das umstrittene Rentengesetz im Bundestag setzt Kanzler Friedrich Merz (CDU) die Messlatte für die eigene Fraktion und Koalition noch höher. Er strebt an, die absolute Mehrheit aller Abgeordneten im Bundestag zu erreichen, die sogenannte Kanzlermehrheit von 316 Stimmen. Laut seiner Ansicht dürfen bei der Schicksalsabstimmung der Koalition heute um 12.30 Uhr im Bundestag nicht mehr als zwölf Koalitionsabgeordnete fehlen, die mit Nein stimmen oder sich enthalten.

«Wir haben 630 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Die Mehrheit ist 316. Wir haben 328 und ich würde mir ein Ergebnis wünschen zwischen 316 und 328», sagte der CDU-Vorsitzende nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder in Berlin auf eine Journalistenfrage. Damit nennt er eine Zielmarke, die vor ihm noch niemand aus der Koalition so gesetzt hat. Und sie geht auch weit über das hinaus, was für eine Verabschiedung des Gesetzes nötig ist. 

Drei Varianten der «eigenen Mehrheit»

Zwar hatten mehrere Spitzenpolitiker der Koalition vorher schon erklärt, dass sie eine «eigene Mehrheit» bei der Abstimmung anstreben. Es gibt dafür aber drei Varianten: 

  • Für die Verabschiedung eines einfachen Gesetzes im Bundestag sind mehr Ja- als Nein-Stimmen nötig. Enthaltungen werden nicht mitgerechnet. Da die Fraktion der Linken mit ihren 64 Abgeordneten angekündigt hat, sich zu enthalten, reichen der Koalition eigentlich 284 Stimmen. Damit hätte sie einen Puffer von 44 Stimmen, wenn alle Abgeordneten anwesend sind.
  • In der Union will sich aber niemand von der Linken abhängig machen. Deswegen besteht dort Einigkeit, dass eine Mehrheit unabhängig von deren Abstimmungsverhalten her muss. Das wäre dann eine Mehrheit aller abgegebenen Stimmen. In der Regel fehlen bei jeder namentlichen Abstimmung im Bundestag einige Abgeordnete. Wären also zum Beispiel 620 anwesend, würden 311 Stimmen reichen.
  • Die Zielmarke, die Merz nun setzt, ist die Koalitionsmehrheit mit Goldrand: die absolute Mehrheit aller in den Bundestag gewählten Abgeordneten. Sie wird auch «Kanzlermehrheit» genannt, weil sie nur in wenigen Fällen gebraucht wird: Bei der Wahl des Bundeskanzlers zum Beispiel oder bei der Vertrauensfrage.

Merz ist sicher: Wir erreichen das 

Merz geht also ins Risiko, zeigt sich jedoch zuversichtlich, dass nichts schiefgehen wird. «Alle Gespräche, die wir führen, die der Fraktionsvorsitzende mit den Kolleginnen und Kollegen in der Bundestagsfraktion führt, deuten darauf hin, dass wir das erreichen», sagte er.

Die SPD-Chefin Bärbel Bas wollte sich in der ZDF-Sendung «Maybrit Illner» auf Nachfrage nicht der Forderung nach einer Kanzlermehrheit anschließen. Sie sagte lediglich: «Wir brauchen auf jeden Fall ’ne eigene Mehrheit in dieser Koalition. Das ist das Ziel. Wenn alle dafür stimmen, umso besser. Aber mir ist wichtig, dass wir in der Tat ’ne eigene Mehrheit haben.»

Kanzler kennt die Zahl der Abweichler

Möglicherweise schöpft der Kanzler Zuversicht daraus, dass Merz genau weiß, wie viele Abweichler sich bei der Fraktionsführung gemeldet haben. Eine Frist dafür endete am Mittwoch um 12.00 Uhr. Da es sich um eine namentliche Abstimmung handelt, können die Abgeordneten bei diesem in der Geschäftsordnung der Fraktion festgelegten Verfahren auch nicht schummeln. Sie müssen Farbe bekennen.

Bisher hat nur ein Unions-Abgeordneter öffentlich sein Nein angekündigt: der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel. Er gehört zu den 18 jungen Renten-Rebellen der Unionsfraktion, die besorgt sind, dass das Gesetz von Arbeitsministerin Bas die jüngere Generation teuer zu stehen kommt.

Das sind die Inhalte, um die es geht

Aber worum geht es genau inhaltlich bei der Abstimmung? Zur Abstimmung stehen drei Gesetze – das Rentenpaket. Unumstritten ist die Aktivrente, die ab dem 1. Januar angeboten werden soll: Nach Erreichen des Rentenalters sollen bis zu 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdient werden können. Auch die geplante Stärkung von Betriebsrenten in kleinen Unternehmen ist unumstritten.

Es herrscht Uneinigkeit über das bedeutendste Gesetz, das das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent stabilisieren und die Mütterrente ausweiten soll. Durch diese Niveau-Haltelinie soll verhindert werden, dass die jährlichen Rentenerhöhungen nicht mehr Schritt halten mit den Einkommen in Deutschland. Mit zunehmender Anzahl von Babyboomern, die von Beitragszahlern zu Rentnerinnen und Rentnern werden, soll die Rente durch Steuergelder gestützt werden – Kostenpunkt: allein 2031 rund 11 Milliarden Euro.

Die jungen Unionisten lehnen ab, dass das Rentenniveau auch nach 2032 höher sein soll als ohne Gesetz – die befürchteten Kosten von rund 15 Milliarden Euro pro Jahr aufgrund dieses jeweils rund einen Prozentpunkt höheren Werts.

Kurz nach 13 Uhr kommt der Schicksalsmoment der Koalition

Die Stunde der Wahrheit wird kurz nach 13 Uhr erwartet: Dann dürfte die Sitzungsleitung des Parlaments das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über das umstrittene Rentengesetz verkünden. Wenn es mehr Ja- als Nein-Stimmen gibt, kann das Gesetz am 19. Dezember im Bundesrat verabschiedet werden? Zum 1. Januar soll es in Kraft treten.

Ob die Koalition eine eigene Mehrheit auf die Beine gebracht hat, wird erst später am Tag klar werden. Dann werden Listen veröffentlicht, auf denen das Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Abgeordneten abzulesen ist.

Existenzielle Regierungskrise bei einem Scheitern 

Auch nach der Bekanntgabe der Ergebnisse geht es noch weiter mit Renten-Abstimmungen: Über das unstrittige Betriebsrenten- und das Aktivrentengesetz wird dann nach Fraktionen entschieden, bevor der Bundestag sein weiteres Programm fortsetzt.

Falls die erste Abstimmung überraschenderweise fehlschlagen sollte, würde die Bundestagssitzung jedoch vorerst abgebrochen werden. Infolgedessen würde die schwarz-rote Regierung sieben Monate nach Amtsantritt in einer existenziellen Krise stecken.

dpa