Deutschland hat gewählt und es gibt einen klaren Sieger. Die Regierungsbildung könnte trotzdem schwierig werden. Aber die Zeit drängt.
Merz siegt, Scholz am Boden: Was das Wahlergebnis bedeutet
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist kläglich gescheitert und seinem Herausforderer Friedrich Merz (CDU/CSU) deutlich unterlegen: Deutschland steht knapp vier Monate nach dem Bruch der Ampel-Koalition vor einem Regierungswechsel. Was die ersten Ergebnisse der Bundestagswahl bedeuten:
Wer ist der große Sieger?
Die Union unter der Führung ihres Kanzlerkandidaten Merz hat nicht so gut abgeschnitten wie erhofft. Mit 28,5 bis 29 Prozent (Prognosen ARD/ZDF von 18.00 Uhr) sind CDU/CSU dennoch die klaren Wahlsieger und haben den Auftrag zur Regierungsbildung. Merz hat nun gute Aussichten, der zehnte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden – vorausgesetzt, bei der Regierungsbildung läuft nichts schief.
Wer ist der klare Verlierer?
Kanzler Scholz konnte das Wunder von 2021 nicht erneut vollbringen. Damals holte er im Wahlkampf etwa 15 Prozentpunkte Rückstand auf die Union auf und kam knapp vorne ins Ziel. Diesmal stecken die Sozialdemokraten im Umfragetief fest. Mit 16,0 bis 16,5 Prozent stehen sie nun vor ihrem schlechtesten Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Bisher hielt Martin Schulz den Negativrekord, der 2017 auf 20,5 Prozent kam.
Wer wird dafür geradestehen?
Olaf Scholz wird in erster Linie als Kanzlerkandidat betrachtet. Seine Zeit als Regierungschef neigt sich dem Ende zu. Es ist fraglich, ob er noch eine bedeutende Rolle in möglichen Koalitionsverhandlungen spielen wird. Es ist noch ungewiss, wie stark die Auswirkungen auf die SPD-Spitze sein werden.
Was ist mit den anderen Ampel-Parteien?
Die gescheiterte Ampel-Koalition wurde vom Wähler für drei Jahre des Streits bestraft: Im Jahr 2021 erreichten SPD, Grüne und FDP zusammen noch 52 Prozent, jetzt sind es 33,5 bis 34,4 Prozent. Die FDP lag 2021 noch bei 11,4 Prozent und hat nun mit der Fünf-Prozent-Hürde zu kämpfen. Die Grünen kommen vergleichsweise glimpflich davon: Sie fallen von 14,7 auf 12 bis 13,5 Prozent.
Wer hat sonst noch gewonnen?
Die AfD hat ihr Ergebnis von 10,4 Prozent auf 19,5 bis 20 Prozent etwa verdoppelt. Noch nie war eine vom Verfassungsschutz als in Teilen rechtsextremistisch eingeschätzte Partei so stark im Bundestag vertreten. Koalieren will aber weiter niemand mit ihr. Auch Wahlsieger Merz, der zuletzt mit Hilfe der AfD einen Migrationsbeschluss im Bundestag erreichte, ist um Eindeutigkeit bemüht. Seine Absage sei «endgültig», bekräftigte er schon vor der Wahl.
Was ändert sich durch das Ergebnis der AfD?
Die AfD ist bei der Wahl zur zweitstärksten Partei geworden und wird somit wie 2017 bis 2021 voraussichtlich wieder die stärkste Oppositionskraft im Bundestag sein. Dies hat nicht nur symbolische Bedeutung. Die AfD wird in Zukunft als erste auf Regierungserklärungen antworten und die Generaldebatten zum Haushalt eröffnen. Es war auch unklar, ob sie eine andere wichtige Marke erreicht: Sollte sie ein Viertel der Abgeordneten stellen, könnte sie alleine Untersuchungsausschüsse einsetzen.
Wer ist die große Überraschung?
Die Linke hatten viele schon abgeschrieben. Nach den Erfolgen des BSW von Sahra Wagenknecht auf Landesebene wurden ihrer Ex-Partei nur noch geringe Chancen bei der Bundestagswahl eingeräumt. Die Diskussion um die «Brandmauer» zur AfD und eine clevere Kampagne hat ihr aber ein Comeback ermöglicht. Mit 8,5 bis 9 Prozent steht sie nun auf Platz fünf. Das BSW muss dagegen um den Einzug ins Parlament bangen. Eine Regierungsbeteiligung der beiden Parteien gilt aber ohnehin als ausgeschlossen: Für ein Bündnis von SPD, Grünen, der Linken und dem BSW reicht es nicht.
Welche Regierungskoalitionen sind denn möglich?
Es stellt sich die Frage, ob die Union für die Regierungsbildung einen oder zwei Koalitionspartner benötigt, um eine Mehrheit zu erreichen. Nach den ersten Prognosen ist dies noch unklar, insbesondere da ungewiss ist, ob FDP und BSW in den Bundestag einziehen werden.
Mit wem würde Merz am liebsten regieren?
Die bevorzugte Option für die Union und Merz wäre eine Koalition mit der SPD. Eine Zusammenarbeit mit den Grünen wurde von der CSU abgelehnt. Für Merz wäre es jedoch vorteilhaft, diese Möglichkeit als Ass im Ärmel zu haben. Dies würde seine Verhandlungsposition mit der SPD stärken.
Passen Union und SPD zusammen?
Ein Selbstläufer wäre das nicht. Die SPD porträtiert Merz seit seinem umstrittenen AfD-Manöver im Bundestag als unzuverlässig. Dennoch möchte man ihn nicht in Richtung der AfD drängen. In den zentralen Themen Wirtschaftspolitik und Migration stehen harte Verhandlungen bevor. Merz strebt in beiden Bereichen eine echte politische Veränderung an. Zudem plant er, eine Reihe von Ampel-Entscheidungen rückgängig zu machen. Die stark geschwächte SPD verfügt jedoch über ein Druckmittel: Die Basis wird dem Verhandlungsergebnis auf einem Parteitag oder einem Mitgliedervotum zustimmen müssen.
Was ist, wenn es keine Mehrheit für ein Zweierbündnis gibt?
Es wird dann schwierig. Es gibt zwei Möglichkeiten: Eine sogenannte Deutschlandkoalition (benannt nach den Landesfarben) von Union, SPD und FDP wäre Merz dann wohl am liebsten. Die Sozialdemokraten würden eher eine Kenia-Koalition von Union, SPD und Grünen bevorzugen. Dass Union, Grüne und FDP zusammengehen, ist nicht vorstellbar. Die FDP hat ein Bündnis mit den Grünen sogar per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen.
Wie lange wird die Regierungsbildung dauern?
Merz hofft, dass die Regierung bis Ostern gebildet wird. Bis Gründonnerstag verbleiben 54 Tage. Dies ist möglich, aber auch ehrgeizig. Sollte es zu einer Mitgliederabstimmung in der SPD kommen, ist es ziemlich unrealistisch.
Wie war es denn bei früheren Wahlen?
Die Rekordzeit von der Wahl bis zur Vereidigung des Kabinetts beträgt 23 Tage: Sowohl Willy Brandt (SPD) 1969 als auch Helmut Kohl (CDU) 1983 einigten sich in dieser kurzen Zeit mit der FDP. Im Jahr 2017 brauchte Angela Merkel (CDU) jedoch 171 Tage, also fast ein halbes Jahr, um mit einer schwarz-roten Regierung in ihre vierte und letzte Amtszeit als Kanzlerin zu starten. Der Grund dafür war das vorübergehende Scheitern der Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition von CDU/CSU, Grünen und FDP.
Warum ist der Zeitdruck diesmal besonders groß?
Die Welt wird derzeit dramatisch neu geordnet. Während Deutschland sich sortiert, wird US-Präsident Donald Trump bald mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Zukunft der Ukraine verhandeln. Die EU steht hilflos und zerstritten daneben. Deutschland hat einen Kanzler auf Abruf. Auch wichtige innenpolitische Entscheidungen zur Ankurbelung der Wirtschaft bleiben mindestens bis April oder Mai liegen. Möglicherweise sogar noch länger.
Wie funktioniert das Regieren in der Übergangszeit?
Scholz wird bis zur Bildung einer neuen Regierung im Amt bleiben. Wenn der neue Bundestag erstmals zusammenkommt, wird er jedoch nur noch als geschäftsführender Kanzler fungieren – ohne Macht. Scholz wird weiterhin internationale Termine wahrnehmen und an Gipfeltreffen teilnehmen. Allerdings wird er wichtige Entscheidungen nicht mehr ohne Absprache mit Merz treffen können.
Was wird aus Olaf Scholz nach seiner Kanzlerschaft?
Er hat schon vor der Wahl klar gesagt, dass er einer Regierung eines Kanzlers Merz nicht angehören wird. Auch in den Koalitionsverhandlungen dürfte er keine wesentliche Rolle mehr spielen. Seine politische Karriere ist aber wahrscheinlich noch nicht ganz beendet. Wenn er seinen Wahlkreis in Potsdam gewinnt, will er bis zur nächsten Wahl im Bundestag bleiben. «Das höchste Amt, in das man in Deutschland direkt gewählt werden kann, ist das des Abgeordneten im Deutschen Bundestag», sagt er.
Was wird aus Robert Habeck?
Wenn es um Gespräche über eine mögliche Regierungsbeteiligung der Grünen geht, wird der Vizekanzler und Kanzlerkandidat an den Verhandlungen teilnehmen. Ein Ministeramt wäre ihm im Erfolgsfall so gut wie sicher. Wenn die Grünen in die Opposition gehen, ist unklar, was mit Habeck passieren wird. Eines der wenigen attraktiven Ämter, die noch vergeben werden müssen, ist der Fraktionsvorsitz. Annalena Baerbock hat hier jedoch deutlich bessere Karten und die Parteilinken werden keinen zweiten Realo an der Spitze akzeptieren. Es ist auch möglich, dass Habeck sich aus der Politik zurückzieht.
Was wird aus Christian Lindner?
Falls die FDP Teil einer neuen Regierung sein sollte, wird es Lindner wahrscheinlich nicht ablehnen, erneut Minister zu werden. Doch was passiert, wenn die FDP am Ende weniger als fünf Prozent erreicht? Auf solche Fragen hat Lindner in letzter Zeit wiederholt ausweichend reagiert. Es ist gut möglich, dass er sich in diesem Fall zunächst seiner Familie widmen würde – schließlich erwartet er sein erstes Kind – und dann eine Stelle in der Wirtschaft anstrebt.
Was wird aus Sahra Wagenknecht?
Die BSW-Gründerin hat mehrfach erklärt: «Die Wahl ist natürlich auch die Entscheidung über meine politische Zukunft.» Wer nicht im Bundestag sitze sei «in der deutschen Politik kein relevanter Faktor mehr». Sollte sie sich bei einem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde zurückziehen, wird es auch für das erst 2024 gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht schwierig – obwohl das BSW im Europaparlament und in drei Landesparlamenten sitzt und in Thüringen und Brandenburg auch in der Regierung.