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Merz in Berlin: Hoffnungen auf Friedensverhandlungen schwinden

Russland verstärkt Angriffe, Merz setzt auf Druck gegen Putin und Lieferung von Waffen

Merz' vorsichtiger Optimismus nach dem jüngsten Treffen mit Selenskyj ist düsteren Prognosen gewichen. (Archivbild)
Foto: Kay Nietfeld/dpa

Bundeskanzler Friedrich Merz traf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Mitte Mai in Kiew. Die Hoffnungen auf einen echten Verhandlungsprozess zur Beendigung des Krieges waren groß. Wenn die beiden sich heute knapp drei Wochen später in Berlin wiedersehen, ist davon so gut wie nichts übriggeblieben.

Der fragile Dialog zwischen Russland und der Ukraine ist unterbrochen. Die russischen Luftangriffe sind intensiver als zuvor. Und US-Präsident Donald Trump steht kurz davor, die Europäer mit dem Problem allein zu lassen.

Besuch weiterhin nicht offiziell bestätigt

In den letzten Tagen hatten mehrere Medien über den geplanten Besuch Selenskyjs in Berlin berichtet, obwohl solche Reisen normalerweise aus Sicherheitsgründen bis zuletzt geheim gehalten werden. Eine offizielle Bestätigung gibt es daher weiterhin nicht. Auch Selenskyj machte am Abend in seiner diesmal relativ früh veröffentlichten Videobotschaft keine Angaben zu einer bevorstehenden Abreise aus Kiew.

Dies ist bereits der vierte Besuch Selenskyjs in Berlin seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor mehr als drei Jahren. Er erfolgt in einer äußerst schwierigen Situation – und fällt zeitlich mit dem Antrittsbesuch von Außenminister Johann Wadephul in Washington zusammen.

Merz‘ Chefdiplomat will sich bei seinem heutigen Treffen mit US-Kollege Marco Rubio für einen Schulterschluss mit den USA im Umgang mit Kremlchef Wladimir Putin einsetzen. «Damit Putin endlich an den Verhandlungstisch kommt, damit Russland endlich in ernsthafte Verhandlungen einsteigt, müssen wir den Druck aufrechterhalten», erklärte der CDU-Politiker vor dem Abflug nach Washington. «Wir Europäer werden die Sanktionsschrauben weiter anziehen, auch der US-Kongress ist zu mehr Sanktionen bereit.»

Merz macht düstere Prognosen

Merz erweckte in den vergangenen Tagen den Eindruck, als habe er den Glauben an eine Lösung am Verhandlungstisch ganz aufgegeben. Kriege gingen in der Regel durch wirtschaftliche oder militärische Erschöpfung einer der beiden Seiten oder beider Seiten zu Ende, sagte er am Dienstag bei seinem Finnland-Besuch. «Davon sind wir in diesem Krieg offensichtlich noch weit entfernt. Deswegen rechne ich damit, dass wir uns möglicherweise noch auf eine längere Dauer einzustellen haben.»

Merz machte die Aufhebung der Reichweitenbegrenzung für den Einsatz deutscher Waffen im Ukraine-Krieg Anfang der Woche öffentlich, weil die diplomatischen Bemühungen ihn ernüchtert hatten. Damit unterstützte er ukrainische Militärschläge gegen Stellungen auf russischem Territorium, um Putin zu signalisieren, dass die Solidarität der Europäer mit der Ukraine ungebrochen ist.

Von den Grünen und auch aus der Union gibt es erneut Forderungen nach der Lieferung der Taurus-Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 Kilometern. Merz war jedoch zuletzt sehr zurückhaltend – er möchte in der Öffentlichkeit eigentlich nicht mehr über das Thema sprechen.

Die militärische Lage: Der Ukraine fehlen Waffen

In militärischer Hinsicht ist die Ukraine seit langem in der Defensive; jedoch ist es Russland auch nach mehr als drei Jahren Angriffskrieg nicht gelungen, den Widerstand der Ukrainer zu brechen. Um die Initiative zu ergreifen, müsste die ukrainische Armee über schlagkräftige Waffensysteme verfügen, um russische Kommandostellen und Versorgungswege hinter der Front zu zerstören.

In seiner Videobotschaft kündigte Selenskyj an, die Rüstungsindustrie weiter auszubauen. Russland müsse fühlen, dass alle seine Untaten gegen die Ukraine beantwortet würden. «Schlüsselelemente (dafür) sind Angriffsdrohnen, Abfangjäger, Marschflugkörper und ukrainische ballistische Raketen. Wir müssen alles produzieren», forderte er.

Selenskyj hat erklärt, dass es bisher mehr als nur Planspiele sind, auch wenn die Regierung Investitionsverträge mit europäischen Partnern vorbereitet, um weitere Militärproduktion ins Land zu verlagern.

Hinhaltender Widerstand der Ukraine

Die Ukraine hat bereits ihre Drohnen weiterentwickelt. Damit kann sie punktuell Energieanlagen und Militärobjekte in Russland beschädigen oder den zivilen Flugverkehr stören. Die Lufthoheit liegt aber weiter bei Russland, wie die schweren nächtlichen Bombardements vom vergangenen Wochenende gezeigt haben.

Die ukrainische Luftverteidigung wurde zwar verstärkt – auch mit Unterstützung aus Deutschland. Jedoch werden die russischen Drohnenschwärme immer größer, und es gibt kaum eine Abwehr gegen Gleitbomben und ballistische Raketen. Es mangelt an Waffensystemen und Flugabwehrmunition.

In den Bodenkämpfen wird der ukrainische Soldatenmangel deutlich. Die Verteidiger im Osten des Donbass leisten hinhaltenden Widerstand. Die russischen Angreifer rücken langsam vor, trotz großer Verluste an Soldaten und Technik. Moskau plant Truppen für weitere Offensiven im Sommer zusammenzuziehen. Es besteht auch die Gefahr einer Verlängerung der Front, da Russland entlang seiner Grenze eine Pufferzone erobern möchte. Beide Seiten befinden sich in einem Abnutzungskrieg mit ungewissem Ausgang.

Friedensbemühungen? Trumps schneller Vorstoß ist gescheitert

Bei Amtsantritt hatte US-Präsident Trump den Plan, mit seinem vermeintlich guten Draht zu Putin ein schnelles Kriegsende zu erreichen. Anstatt Druck auf Putin auszuüben, setzte er diesen auf die bisher verbündete Ukraine. Trotz zahlreicher Telefonate und Vorbereitungstreffen kam es jedoch nur zu einem direkten Gespräch zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul, das außer einem Gefangenenaustausch keine Ergebnisse brachte.

Kiew hat Trumps Vorschlag einer 30-tägigen Waffenruhe als Einstieg in Verhandlungen akzeptiert. Moskau lehnt dies weiterhin ab und bleibt trotz aller Friedensbekundungen letztendlich bei Maximalforderungen: Die Ukraine soll entwaffnet und praktisch wieder unter russische Kontrolle gebracht werden.

In Anbetracht der unbeständigen Haltung Trumps gewinnt die Sicherstellung der Sicherheit auf dem eigenen Kontinent für die europäischen Staaten an Bedeutung. Neben der Zusage einer fortgesetzten militärischen Unterstützung ist es wahrscheinlich, dass in Kürze ein weiteres Sanktionspaket verabschiedet wird. Russland hat sich bisher jedoch von den Strafmaßnahmen unbeeindruckt gezeigt.

Auch die zunehmende Unzufriedenheit Trumps hat die russische Führung kühl weggewischt. Als der US-Präsident am Wochenende nach massiven russischen Bombardements ukrainischer Städte sagte, Putin sei «verrückt geworden», wertete der Kreml das als Zeichen «emotionaler Überlastung» wegen der laufenden Verhandlungen.

dpa