Beim bevorstehenden EU-Gipfel in Brüssel geht es um sehr viel für Europa, die Ukraine, aber auch für Kanzler Merz. Für ihn ist es die erste ganz große Bewährungsprobe als europäische Führungsfigur.
Merz vor seinem schwierigsten Gipfel

Die Europäer haben dank Bundeskanzler Friedrich Merz nun einen festen Platz in den Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine. Beobachter waren sich nach den Gesprächen in Berlin einig, dass Merz das erste hochrangige Treffen in dieser Konstellation organisiert hatte. Die eigentliche Bewährungsprobe als europäische Führungsfigur im Kampf um einen Waffenstillstand nach fast vier Jahren Krieg steht dem Kanzler jedoch noch bevor.
Heute Nachmittag reist er nach Brüssel, wo am Donnerstag bei einem EU-Gipfel die Entscheidung über die Nutzung des in der EU eingefrorenen russischen Staatsvermögens für die Unterstützung der Ukraine fallen soll. Vorher gibt er im Bundestag eine Regierungserklärung ab, in der er nochmals eindringlich um Zustimmung zu diesem Schritt werben wird.
Für die EU geht es um die Handlungsfähigkeit
Der Kanzler hat die Entscheidung zur «Schlüsselfrage» für die EU erklärt, die jetzt gelöst werden müsse. Wenn das nicht geschehe, sei die Handlungsfähigkeit Europas «massiv beschädigt», sagt er. In seinem Umfeld ist sogar von einer «Schicksalswoche» für Europa die Rede.
Falls es zu keiner Einigung in der EU kommt, würden die Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine nur leere Worte sein. Und der Nutznießer wäre der russische Präsident Wladimir Putin.
Für die Ukraine geht es um ihr Überleben
Für die Ukraine geht es nicht nur um die EU, sondern quasi ums Überleben. Die Ukraine kann nicht mehr auf die USA zählen, da US-Präsident Donald Trump kein Geld mehr für sie ausgeben will. Die europäischen Verbündeten bleiben.
Ab dem zweiten Quartal des kommenden Jahres benötigt sie frische Gelder von ihnen. Es wird derzeit als nicht möglich angesehen, die erforderlichen Mittel über die EU anders zu beschaffen als über das russische Staatsvermögen. Eine einstimmige Entscheidung der 27 EU-Staaten wäre erforderlich – und Länder wie Ungarn und Tschechien haben bereits angekündigt, dies nicht zu unterstützen.
Die Hilfe müsste dann von den einzelnen Mitgliedstaaten bereitgestellt werden. Und nach vier Jahren Krieg schwindet die Akzeptanz dafür, die Ukraine weiterhin im Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer zu unterstützen.
Für Merz geht es um seine europäische Führungsrolle
Gegen die Nutzung des russischen Vermögens gibt es rechtliche und politische Bedenken – vor allem in Belgien, wo die rund 185 Milliarden Euro der russischen Staatsbank lagern. Auch Merz war lange Zeit skeptisch. Ende September setzte er sich dann aber mit einem Gastbeitrag für die «Financial Times» überraschend an die Spitze der Befürworter.
Die EU habe sich dazu verpflichtet, der Ukraine so lange beizustehen wie nötig, schrieb er. «Ich bin der Überzeugung, dass es nun an der Zeit ist, dieses politische Versprechen mit einem Instrument zu unterlegen, das ein unmissverständliches Signal der Widerstandsfähigkeit nach Moskau sendet.» In den letzten Jahren sei man dabei nur auf Sicht gefahren. «Jetzt trete ich dafür ein, Finanzmittel in einem Umfang zu mobilisieren, der die militärische Durchhaltefähigkeit der Ukraine auf mehrere Jahre absichert.»
Kanzler schätzt Chancen «fity-fifty» ein
Merz fand das Manöver, das er durchführte, riskanter als er erwartet hatte. Beim vorherigen Gipfeltreffen im Oktober konnte aufgrund des starken Widerstands des belgischen Ministerpräsidenten Bart de Wever keine Einigung erzielt werden.
Nun heißt es: Hopp oder Top. Ein Scheitern des Projekts wäre auch ein Scheitern des Kanzlers. Die Chance auf eine Einigung stehe bei «fifty-fifty», sagte der CDU-Chef am Abend in einem ZDF-Interview. Er mahnte erneut eine «klare europäischen Haltung gegenüber Russland» an: «Wenn wir jetzt nicht springen, (…) wann denn dann?»








