Kanzler Scholz will zügiger in die Türkei abschieben. Der türkische Präsident Erdogan hofft auf eine deutsche Kehrtwende bei Rüstungsexporten. Was kann das Gespräch der beiden in Istanbul bringen?
Migration und Waffenexporte: Scholz besucht Erdogan
Die Migration, die Kriege gegen die Ukraine und im Nahen Osten sowie die wirtschaftliche Zusammenarbeit werden im Mittelpunkt stehen, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz am Nachmittag in Istanbul vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan empfangen wird. Der Kanzler plant, verstärkt abgelehnte Asylbewerber in die Türkei abzuschieben. Aber auch Erdogan hat Wünsche für das Gespräch. Er möchte unter anderem die deutsche Zustimmung zur Lieferung von 40 Eurofighter Kampfjets. Beim Thema Nahost könnte es konfrontativ werden.
Mehr Tempo bei Abschiebungen in die Türkei
Scholz hat versprochen, Migranten ohne Bleiberecht «in großem Stil» abschieben zu wollen. Die Türkei zählt neben Syrien und Afghanistan zu den Ländern, bei denen es um die größten Zahlen geht. Ende September waren laut Bundesregierung 15.789 türkische Staatsangehörige ausreisepflichtig, 1200 mehr als 5 Monate zuvor. Dem stehen 441 Abschiebungen in der ersten Jahreshälfte gegenüber. Jetzt soll mehr Tempo gemacht werden. «Wir haben jetzt erreicht, dass Rückführungen in die Türkei schneller und effektiver erfolgen können und die Türkei Staatsbürger, die nicht in Deutschland bleiben dürfen, schneller zurücknimmt», kündigte Innenministerin Nancy Faeser im September in einem Interview der Funke-Mediengruppe an.
Die Türkei könnte auch bei einem anderen Thema hilfreich sein. Die Bundesregierung plant, nicht nur nach Afghanistan, sondern auch nach Syrien wieder Straftäter abzuschieben. Dafür sucht sie Kooperationspartner in der Nachbarschaft. Die türkische Regierung hat Kontakte zum syrischen Machthaber Baschar al-Assad und besetzt Gebiete im Norden des Landes. Menschenrechtler werfen der Türkei vor, bereits jetzt illegal dorthin abzuschieben. Die türkische Regierung bestreitet dies.
Kurswechsel bei den Rüstungsexporten
Ein Umdenken in Bezug auf Rüstungsexporte in Deutschland zeichnet sich ab. Im Jahr 2016 verhängte die Bundesregierung unter der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als Reaktion auf den türkischen Einmarsch in Nordsyrien einen teilweisen Rüstungsexportstopp. Seitdem wurden nur noch sehr selten Genehmigungen für den Nato-Partner erteilt. Ende September wurde jedoch bekannt, dass der Bundessicherheitsrat drei deutschen Rüstungsunternehmen die Lieferung von über hundert Lenkflugkörpern, 28 Torpedos und anderen Rüstungsgütern für die türkische Marine genehmigt hat.
Laut Yasar Aydin, einem Politikwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik, ist dies eine logische Folge der aktuellen geopolitischen Lage. Es sei schwierig, der Türkei Waffenlieferungen zu verweigern, wenn es um den Aufbau der türkischen Marine gehe, die im Schwarzen Meer ein Gegengewicht zur russischen bilde, sagt er.
Es gibt aber auch türkische Wünsche für die Luftwaffe. Derzeit verhandeln die Türkei und Großbritannien über die Lieferung von Eurofighter-Kampfjets. Deutschland ist an der Produktion beteiligt und müsste seine Zustimmung erteilen. Beim EU-Gipfel in Brüssel zeigte sich Scholz zumindest damit einverstanden, dass verhandelt wird. Eine Zustimmung ist das aber noch nicht. «Wir sind aber natürlich auch klar in der Frage, ob wir das aufhalten würden oder nicht», sagte der Kanzler. «Das ist aber ganz früh am Anfang, und deshalb haben wir gesagt: Verhandelt einmal.»
Wie hilfreich sind Erdogans Kontakte zu Putin?
Bundeskanzler Olaf Scholz setzt sich seit einigen Wochen verstärkt für eine weitere Ukraine-Friedenskonferenz ein, an der auch Russland teilnehmen soll. Erdogan könnte dabei hilfreich sein. Er führt regelmäßig Gespräche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und war auch in der Vergangenheit Gastgeber von indirekten Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland. Die Türkei hat auch bei der nun aufgegebenen Korridorvermittlung für den Export ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer geholfen.
Konfliktthema Nahost: Erdogan wirft Deutschland Doppelmoral vor
Größeres Konfliktpotenzial birgt das Thema Nahost. Während Deutschland fest an der Seite Israels steht, nennt Erdogan das Land einen «Terrorstaat». Die Hamas betitelt er dagegen als «Befreiungsorganisation» und unterhält enge Kontakte zu der Terrororganisation, die auch in der Türkei Netzwerke unterhält.
Der türkische Präsident hat Deutschland kürzlich Doppelmoral vorgeworfen. Die Forderung nach einer Feuerpause und gleichzeitige Waffenlieferungen an Israel seien nicht vereinbar. Scholz hat angekündigt, weiterhin Waffen an Israel liefern zu wollen. Zwischen März und August gab es jedoch keine Kriegswaffenexporte aus Deutschland mehr.