Vom Untergrund in den Gerichtssaal: Nach Jahrzehnten im Verborgenen muss sich Daniela Klette der Öffentlichkeit stellen. Ein Ausblick auf einen besonderen Gerichtsprozess.
Millionen für den Untergrund? Ex-RAF-Terroristin vor Gericht
Verden/Celle – Während sie tanzte, soll sie Nachhilfe in Mathe gegeben haben – und alle paar Jahre mit ihren ehemaligen RAF-Komplizen auf Raubzug gegangen sein. Nach 35 Jahren im Untergrund steht Daniela Klette nun vor dem Landgericht Verden. Aus Sicherheitsgründen beginnt die Verhandlung im Staatsschutzsaal in Celle.
Seit vielen Jahren wird die 66-Jährige von der Staatsanwaltschaft Verden untersucht. Ihre Akte ist mit unzähligen Ordnern gefüllt, allein die Anklage umfasst laut Gericht mehr als 600 Seiten. Die Ermittler beschuldigen sie, an mindestens 13 Raubüberfällen beteiligt gewesen zu sein. Manchmal fielen Schüsse, daher geht es im Prozess auch um versuchten Mord und unerlaubten Waffenbesitz.
Vom Untergrund in den Fokus der Öffentlichkeit
Nach langer Zeit im Verborgenen werden im Prozess alle Augen auf Klette gerichtet sein. Wie wird sich eine der am längsten gesuchten Frauen Deutschlands verhalten – eine ehemalige RAF-Terroristin, eine mutmaßliche Räuberin?
Spätestens 1990 verschwand Klette von der Bildfläche. In ihrer Wohnung in Berlin-Kreuzberg hortete sie Waffen und Bargeld, nach außen führte sie ein normales Leben. Nachbarn schildern «Claudia» als freundliche, grauhaarige Nachhilfelehrerin Mitte 60 mit einem langen Zopf und einem Hund.
Millionen für das Leben im Untergrund – War es versuchter Mord?
Was sie bis zur Festnahme im Februar 2024 nicht wussten: Die Frau aus dem fünften Stock soll an einer Reihe von genauso spektakulären wie professionellen Raubüberfällen beteiligt gewesen sein. Mit ihren mutmaßlichen Komplizen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg soll sie zwischen 1999 und 2016 Geldtransporter und Supermärkte in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein überfallen haben, um ihr Leben im Untergrund zu finanzieren. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft erbeutete das Trio 2,7 Millionen Euro.
Die ehemaligen Terroristen sollen bei den Überfällen auch nicht vor Gewalt zurückschrecken. Gemäß der Anklage sollen sie ihre Opfer mit Elektroschockern oder Schusswaffen bedroht haben. Dies geschah auch bei einem Überfall auf einen Geldtransporter in Stuhr nahe Bremen im Juni 2015: Ein maskierter Täter feuerte dreimal mit einem Schnellfeuergewehr auf das Fahrzeug, wobei eine Kugel in die Fahrerkabine eindrang und in der Lehne stecken blieb. Die Staatsanwaltschaft betrachtet die Tat als versuchten Mord.
Ermittler tappen lange im Dunkeln
Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass die Überfälle monatelang geplant waren und nichts dem Zufall überlassen wurde. Die Ermittler konnten lange Zeit keinen Zusammenhang zwischen den Taten feststellen. Erst als DNA-Spuren auftauchten, startete das niedersächsische Landeskriminalamt 2015 eine Zielfahndung nach Klette, Garweg und Staub. Nach der Festnahme der 66-Jährigen in Berlin fehlt von den beiden Komplizen weiterhin jede Spur.
Die Ermittler durchsuchten die Wohnung der Angeklagten auf der Suche nach Beweisen und rekonstruierten sie in Hannover. Sie entdeckten eine täuschend echt aussehende Attrappe einer Handgranate, Waffen, Handschellen, Sturmhauben, ein Kilogramm Gold, über 240.000 Euro Bargeld, digitale Medien und Fotos.
Und es gibt auch noch die DNA-Spuren von Klette an Fluchtfahrzeugen. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass die 66-Jährige am Steuer saß. Für die Verteidigung jedoch ist dies kein eindeutiges Indiz: Es handelt sich um sehr komplexe Mischspuren, die theoretisch auch schon Wochen vor den Überfällen hinterlassen worden sein könnten.
Langwieriger Indizienprozess erwartet
«Ja, es wird wohl so sein, dass Frau Klette irgendetwas mit den Überfällen zu tun hatte», räumte Anwältin Undine Weyers kurz vor dem Prozess in einem Interview der «taz» ein. «Aber es gibt keinen einzigen Beweis, dass sie an einem der Tatorte war oder welche Rolle sie dabei hatte.» Klette selbst werde sich über ihre Verteidigung am ersten Prozesstag äußern, jedoch nicht zu einzelnen Vorwürfen.
Es bleibt abzuwarten, ob die mutmaßliche Raubserie vor Gericht aufgeklärt werden kann. Es wird voraussichtlich nur wenige Einblicke in die Strukturen und Taten der RAF geben. Eine weitere Anklage wird zu diesem Komplex erwartet. Dabei könnte es unter anderem um Klettes mögliche Rolle bei Anschlägen auf die Deutsche Bank 1990, die US-Botschaft in Bonn 1991 und ein hessisches Gefängnis 1993 gehen.
Das Landgericht Verden hat zunächst Termine bis Dezember für die Verhandlung der Raubüberfälle festgelegt, aber der Prozess wird voraussichtlich wesentlich länger dauern.