Das Palästinenserhilfswerk UNRWA kümmert sich um fast sechs Millionen palästinensische Flüchtlinge. Israel entzieht dem Hilfswerk nach mehr als 70 Jahren die Arbeitsgrundlage. Wie geht es weiter?
Millionen Menschen in Angst: Palästinenserhilfe vor dem Aus
Millionen palästinensische Flüchtlinge sind besorgt um ihre Zukunft, da Israel ab dem 30. Januar die Arbeit der UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) stark einschränkt. Worin besteht das Problem:
Was sind die Aufgaben der UNRWA?
Das Hilfswerk wurde seit 1950 im Auftrag der Vereinten Nationen (UN) für die Belange der Palästinenser tätig, die während des Krieges bei der Gründung des Staates Israel im Mandatsgebiet Palästina vertrieben wurden. Es gewährleistet die Grundversorgung, bis eine langfristige Lösung gefunden ist. Es handelt sich um Flüchtlinge in den von Israel besetzten Gebieten, gemäß der UN-Definition das Westjordanland, Ostjerusalem und der Gazastreifen, sowie in Jordanien, Libanon und Syrien. UNRWA ist zuständig für Trinkwasser, Abfallentsorgung, Sozialleistungen, sowie den Betrieb von Kliniken, Schulen und Ausbildungszentren. Das Hilfswerk beschäftigt etwa 30.000 Mitarbeiter, davon 13.000 im Gazastreifen.
Was wirft Israel der UNRWA vor?
Israel beschuldigt das Hilfswerk, von der islamistischen Hamas unterwandert zu sein. Es wird behauptet, dass mehrere Mitarbeiter der Terrororganisation in das Massaker vom 7. Oktober 2023 verwickelt waren. Die Regierung hat ein Video veröffentlicht, das angeblich einen UNRWA-Sozialarbeiter zeigt, der am Tag des Terrorüberfalls die Leiche eines Israelis in ein Auto trägt, um sie in den Gazastreifen zu bringen. Auch die UN kam zu dem Schluss, dass Mitarbeiter wahrscheinlich am Terror gegen Israel beteiligt waren. Laut israelischen Angaben wurden den UN Details über rund 100 UNRWA-Mitarbeiter übergeben, die Hamas-Mitglieder sein sollen.
Unabhängige Experten haben die israelischen Vorwürfe gegen zwölf UNRWA-Mitarbeiter im Auftrag des Hilfswerks untersucht. Es gebe zwar «robuste» Mechanismen zur Wahrung der Neutralität, aber auch Verbesserungsbedarf, hieß es in ihrem Bericht mit Empfehlungen, die laut UNRWA umgesetzt werden.
Was hat Israels Parlament genau beschlossen?
Israel verbietet dem Hilfswerk mit dem ersten Gesetz, eine Vertretung auf israelischem Territorium zu betreiben und Dienstleistungen anzubieten, einschließlich Ost-Jerusalem, das nach UN-Definition zu den besetzten Gebieten gehört. Dort befindet sich ein größeres UNRWA-Gelände mit Regionalbüro. Israel plant, das Gelände zu beschlagnahmen und 1.440 Wohnungen für Siedler zu errichten. Das zweite Gesetz verbietet israelischen Behörden jeglichen Kontakt mit UNRWA oder dessen Repräsentanten und sieht vor, dass UNRWA-Mitarbeiter Privilegien wie Immunität und Steuerbefreiungen verlieren sollen.
Wieso ist die UNRWA auf Zusammenarbeit mit Israel angewiesen?
Aufgrund der Kontrolle Israels über alle Zugänge zu den besetzten Gebieten könnte es schwierig sein, die Dienste der UNRWA aufrechtzuerhalten, selbst wenn die Arbeit in Gaza oder anderen Orten nicht direkt verboten wird. Israel hat auch Arbeitsvisa für die internationalen UNRWA-Mitarbeiter ausgestellt.
Was sagt UNRWA dazu?
«Wir planen nicht, unsere Arbeit einzustellen», sagt UNRWA-Sprecherin Tamara Alrifai. Die Umsetzung der Knesset-Gesetzgebung wäre verheerend, warnte UNRWA-Chef Philippe Lazzarini im UN-Weltsicherheitsrat: «Auf dem Spiel stehen das Schicksal von Millionen von Palästinensern, der Waffenstillstand und die Aussichten auf eine politische Lösung, die dauerhaften Frieden und Sicherheit bringt.» Allein im Gazastreifen fänden jeden Tag 17.000 medizinische Konsultationen statt.
Verstößt Israel mit den Gesetzen gegen UN-Vorschriften und das Völkerrecht?
Ja, laut einem Gutachten des Schweizer Außenministeriums. Israel ist als Besatzungsmacht verpflichtet, die Versorgung der Bevölkerung im besetzten Gebiet mit Lebensmitteln und Medikamenten zu gewährleisten. UNRWA spielt dabei eine zentrale Rolle und wenn Israel seine Arbeit behindert, ohne eine alternative Versorgung sicherzustellen, verstößt es gegen seine Pflichten als Besatzungsmacht gemäß den Genfer Konventionen.
UN-Generalsekretär António Guterres schrieb an den israelischen UN-Botschafter Danny Danon, die Aufforderung, den Betrieb einzustellen und die Räumlichkeiten in Ost-Jerusalem binnen weniger Tage zu verlassen, sei «offensichtlich unvernünftig» und stehe «im Widerspruch zu Israels internationalen Verpflichtungen».
Wie geht es weiter?
Das ist unklar. Die israelische Regierung will einen UNRWA-Ersatz, doch den gibt es bislang nicht. «Wir führen Gespräche mit UN-Beamten. Wir bieten an, eine Alternative mit anderen Nichtregierungsorganisationen zu finden, mit denen wir zusammenarbeiten möchten – vor allem mit dem (UN-Entwicklungsprogramm) UNDP», sagte Danon in New York. Es gebe noch keine Einigung. Er warf den UN vor, die Angelegenheit verschleppt zu haben.
Was für Möglichkeiten sehen die anderen UN-Hilfsorganisationen?
«Die Arbeit des UNRWA ist so umfangreich, das kann keine andere UN-Organisation ersetzen», sagt der Sprecher des UN-Nothilfebüros OCHA, Jens Laerke. «Mit mehr Schulen, Kliniken, Lagerhäusern, Büros und Mitarbeitern als alle anderen UN-Organisationen zusammen ist UNRWA unersetzlich für das Überleben der Zivilisten.»