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Minister stellt Israels Regierungschef Ultimatum

Eine Schlüsselfigur im Kriegskabinett fordert von Netanjahu einen Plan für die Nachkriegsordnung in Gaza. Sonst trete er aus der Regierung aus. Die News im Überblick.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu steht unter Druck.
Foto: Ohad Zwigenberg/AP/dpa

Mitten im Gaza-Krieg eskaliert innerhalb der israelischen Regierung der Konflikt über die Zukunft des umkämpften Küstengebiets. Benny Gantz, Minister im Kriegskabinett, drohte am Samstagabend mit dem Austritt aus der von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geführten Regierung. Lege der Regierungschef nicht bis zum 8. Juni einen Plan für die Nachkriegsordnung im Gazastreifen vor, würden er und weitere Mitglieder seiner an sich oppositionellen Zentrumspartei Nationale Union die Regierung verlassen, sagte der Ex-General in Tel Aviv. Dies könnte die Regierung in eine Krise stürzen. «Ein Krieg wird nur mit einem klaren und realistischen strategischen Kompass gewonnen», sagte Gantz. Netanjahu warf seinem Koalitionspartner und politischen Rivalen daraufhin vor, dem Ministerpräsidenten Israels ein Ultimatum zu stellen – anstatt der islamistischen Hamas.

Proteste in Israel 

Gantz’ Erklärung erfolgte nur drei Tage, nachdem bereits Israels Verteidigungsminister Joav Galant öffentlich Netanjahus Kriegsführung angeprangert hatte. Es müsse eine politische Alternative zur Hamas in Gaza geschaffen werden. Sonst blieben nur eine Fortsetzung der Hamas-Herrschaft oder eine israelische Militärherrschaft, sagte Galant, der mit Gantz und Netanjahu das Kriegskabinett bildet. Am Abend, an dem Gantz sein Ultimatum gestellt hatte, gingen Tausende von Menschen in Tel Aviv auf die Straßen und forderten die Rückholung der Geiseln. Der deutsche Botschafter in Israel, Stefan Seibert, sagte dabei in einer Ansprache: «Wir müssen allen sagen, dass es nichts Wichtigeres gibt, als die Entführten nach Hause zu bringen. Das sollte das oberste Ziel sein», sagte er der «Times of Israel» zufolge. 

Eine Woche nach dem Eurovision Song Contest (ESC) in Malmö sang die israelische Teilnehmerin Eden Golan bei der Großdemonstration ihr Lied mit dem ursprünglichen Text, wie Medien meldeten. Beim ESC hatte Israel den Text mit dem Titel «October Rain» auf Druck der Veranstalter ändern müssen, weil er ihnen zu politisch erschien – wegen möglicher Hinweise auf die am 7. Oktober von der Hamas in Israel verübten Massaker. Derweil kam es laut Medien auch in Jerusalem zu Protesten gegen Netanjahu. Demonstranten forderten auch hier die Rückholung der noch immer mehr als 100 Geiseln. «Derjenige, der sie im Stich gelassen hat, muss sie zurückbringen!», hieß es. «Beendet den Krieg» stand auf Plakaten. Am selben Abend gab die Armee bekannt, die Leiche einer weiteren Geisel geborgen zu haben. 

Leiche einer weiteren Geisel entdeckt

Der Mann sei bei dem Massaker der Hamas am 7. Oktober ermordet und seine Leiche in den Gazastreifen verschleppt worden, hieß es. Bereits am Freitag hatte die Armee mitgeteilt, drei Leichen von Geiseln geborgen zu haben, unter ihnen die der Deutsch-Israelin Shani Louk. Das Massaker war Auslöser des Krieges. Viele in Israel beanstanden, dass er selbst nach mehr als sieben Monaten keinen entscheidenden Sieg gebracht hat. Wichtige Entscheidungen der Führung, um den Sieg zu sichern, seien nicht getroffen worden, sagte Gantz. «Eine kleine Minderheit hat die Kommandobrücke des israelischen Staatsschiffes übernommen und steuert es auf die Klippen zu», sagte er mit Blick auf Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner, die zuletzt mit dem Ende der Regierung gedroht hatten. 

Gantz fordert Pläne für Alternativregierung in Gaza

Gantz verlangte laut israelischen Medienberichten von Netanjahu bis zu dem genannten Datum einen Plan, um sechs «strategische Ziele» zu erreichen: dazu zählte er unter anderem die Festlegung einer Verwaltung unter Beteiligung der USA, Europas, der arabischen Staaten und der Palästinenser, die die zivilen Angelegenheiten des Gazastreifens regeln und die Grundlage für eine künftige alternative Regierung dort bilden soll. Keinesfalls könnten dies die Hamas oder Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sein. Zudem müssten die Geiseln aus dem Gazastreifen zurückkehren und die Beziehungen zu Saudi-Arabien normalisiert werden. Gantz rief zudem dazu auf, ein Konzept für den Militärdienst für alle Israelis zu verabschieden.  

Netanjahu weist Forderungen zurück

Das Büro von Netanjahu teilte laut Medienberichten mit, dass die Forderungen von Gantz eine Niederlage für Israel bedeuten würden, einschließlich des Aufgebens der Mehrheit der Geiseln, des Verbleibens der Hamas an der Macht und der Schaffung eines palästinensischen Staates. Netanjahu regiert seit Ende 2022 zusammen mit rechtsextremen und ultra-religiösen Parteien. Gantz trat nach dem beispiellosen Angriff der Hamas und anderer Terrorgruppen am 7. Oktober als Minister ohne Ressort und Mitglied des Kriegskabinetts in Netanjahus Regierung ein. Dies sollte ein Zeichen der Geschlossenheit setzen.

Wenn Gantz seine Drohung umsetzen würde und mit Mitgliedern seiner Partei die Regierung verlassen würde, wäre das nicht sofort das Ende der Regierung. Netanjahu würde jedoch nach Ansicht von Beobachtern künftig noch stärker unter Druck geraten und den Forderungen seiner extremistischen Koalitionspartner ausgesetzt sein. Diese verlangen unter anderem den Bau jüdischer Siedlungen im Gazastreifen. Netanjahu, der sich seit geraumer Zeit einem Korruptionsprozess gegenübersieht, ist für sein politisches Überleben auf seine rechtsextremen Koalitionspartner angewiesen. Ohne Gantz und seine Parteimitglieder hätte er nur noch eine knappe Mehrheit im Parlament. Sollte es zu einer Regierungskrise und anschließend zu Neuwahlen kommen, würde Gantz laut aktuellen Umfragen der neue Regierungschef werden.

UNRWA-Chef: Rund 800.000 Menschen haben Rafah verlassen

Seit Beginn des Militäreinsatzes in Rafah vor knapp zwei Wochen haben laut Angaben des UN-Palästinenserhilfswerks (UNRWA) etwa 800.000 Menschen die Stadt im Süden Gazas verlassen. UNRWA-Chef Philippe Lazzarini beklagte am Samstagabend auf der Plattform X, dass erneut fast die Hälfte der Bevölkerung von Rafah auf der Straße sei. Die israelische Führung plant, die letzten vermuteten Bataillone der Hamas in Rafah zu zerschlagen. Israel wurde von Verbündeten wie den USA vor einem großangelegten Angriff auf die Stadt an der Grenze zu Ägypten gewarnt, aufgrund der vielen Binnenflüchtlinge. Dennoch hält Israels Führung an ihren Angriffsplänen für Rafah fest.

Was am Sonntag wichtig wird

Der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan will in Israel mit Regierungschef Netanjahu, Verteidigungsminister Galant und anderen Beamten zusammentreffen, um über den umstrittenen Vorstoß des israelischen Militärs in Rafah sowie über Nachkriegspläne für den abgeriegelten Gazastreifen zu sprechen. Auch die US-Regierung erwartet von Netanjahus Regierung, sich aktiv an der Entwicklung eines konkreten Plans für die Zukunft des Gazastreifens zu beteiligen. Die USA befürworten keine Kontrolle durch die Hamas. Es dürfe aber auch keine Anarchie und kein Vakuum geben, das «wahrscheinlich durch Chaos» gefüllt werde, mahnte US-Außenminister Antony Blinken kürzlich. Es müsse daher einen klaren Plan geben. Israel solle Ideen einbringen, forderte er.

“Der Zug nach Berlin fährt um 10:30 Uhr ab”, sagte der Schaffner.

dpa