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Minenräumung in der Ukraine: Gefahr im Verzug

Hunderttausende Minen und Kampfmittelrückstände gefährden das Leben von über sechs Millionen Ukrainern. Die Räumung gestaltet sich aufgrund neuer Technologien besonders kompliziert.

(Archivbild)
Foto: Kay Nietfeld/dpa

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat bereits mehr als zweieinhalb Jahre gedauert. Die Kampfhandlungen haben Hunderttausende Minen und andere Kampfmittelrückstände in Wohngebieten und auf Feldern hinterlassen, die noch detonieren können. Bei einer internationalen Konferenz zur Minenräumung in Lausanne, Schweiz, wird nun darüber diskutiert, wie die humanitäre Minenräumung – also die Beseitigung von Kampfmittelrückständen aus Dörfern und landwirtschaftlichen Flächen – ein zentraler Bestandteil des sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus werden kann.

Was ist die Gefahr?

Landminen, Streumunition, nicht explodierte Granaten, Raketen oder abgestürzte Kampfdrohnen können beim versehentlichen Berühren oder Hantieren explodieren. Seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar 2022 gab es in der Ukraine mehr als 1.000 Opfer durch Minen und nicht explodierte Kampfmittelrückstände. Davon kamen nach Regierungsangaben gut 300 ums Leben, allein 30 in diesem Jahr.

Ist das Minenproblem größer als etwa in Syrien oder anderswo? 

Die Vereinten Nationen sehen die Ukraine als das am stärksten verminte Land der Erde an. Potenziell gilt eine Fläche doppelt so groß wie Bayern als Gefahrengebiet, plus verminte Meeresgebiete. Das UN-Entwicklungsprogramm UNDP sagt zwar, dass womöglich nur auf zehn Prozent der Fläche wirklich Munition liege, aber das ganze Areal muss abgesucht werden. «Diese Risiken beeinflussen das Leben von über sechs Millionen Ukrainern negativ», sagt der Leiter der nationalen ukrainischen Minenräumbehörde, Ruslan Berehulja.

Was ist in der Ukraine anders als in anderen minenverseuchten Ländern?

Gary Toombs von der Organisation Handicap International sagt, dass Russland die Minen so dicht verlegt habe, wie es in kaum einem anderen Land vorkomme. Er fügt hinzu, dass es auch neue Technologien gebe, wie Minen, die durch Veränderung des Magnetfelds oder Erschütterungen im Boden aktiviert werden. Dies erschwere die Räumung zusätzlich.

«Es gibt Geschosse, die über dem Boden Spulen von Spann- und Stolperdrähten herausschleudern, die dann ein Spinnennetz bilden», sagt er. Wer hineinläuft, löst die Explosion aus. Andere Spanndrähte hingen mit einer Art Angelhaken im Baum, der sich beim Vorbeigehen in Kleidung verfängt. Durch den Zug werde der Zünder ausgelöst.

Wie schränkt dies das Leben der Menschen ein?

«Landwirte können ihre Felder nicht bestellen, beschädigte Kraftwerke bleiben außer Betrieb und Zivilisten bleiben aus ihren Häusern vertrieben», sagt Jaco Cilliers, Vertreter des UN-Entwicklungsprogramms in der Ukraine. So bleibt auch die Wirtschaft teils lahmgelegt. An der Front ist das Militär für Minenräumung zuständig, bei großer Infrastruktur die Minenräumbehörde. In Dörfern und Feldern geht es um humanitäre Minenräumung. 

Wie funktioniert die humanitäre Minenräumung?

Markus Schindler, ein 36-jähriger Mitarbeiter der FSD, einer schweizerischen Stiftung für Minenräumung, erklärt, dass Felder oft nach dem ersten Einsatz von Maschinen Meter für Meter mit Metalldetektoren abgesucht werden müssen.

«Unser Fokus liegt darauf, Dörfer in ländlichen Regionen, die die Ukraine zurückerobert hat, wieder bewohnbar zu machen», sagt Schindler. Die FSD hat mehrere Hundert lokale Minenräumer. «Wir haben mehr Bewerber als Stellen, sehr viele Menschen möchten die Möglichkeit haben, etwas für ihr Land zu tun», sagt Schindler. 

An zwei Fußballplätzen in der Region Charkiw haben Minenräumer mehrere Monate lang gearbeitet. An diesen Orten musste aus Sicherheitsgründen jeder Munitionssplitter entfernt werden. An anderen Orten können zehnmal größere Flächen innerhalb weniger Wochen geräumt werden. In Kürze plant die FSD, die Fußballplätze mit einem Freundschaftsspiel FSD gegen die Dorfjugend wieder der Gemeinschaft zu übergeben, sagt Schindler.

Was muss darüber hinaus getan werden?

Handicap International konzentriert sich auf Risikoaufklärung, «wie man sicher in einem Gebiet leben kann, bis die Minenräumer kommen», sagt Toombs. Schulungen gibt es in Gemeindesälen, Bunkern, Schulen und anderswo. Hauptbotschaft: «Wenn Du etwas Verdächtiges siehst, nicht anfassen, sondern Hilfe holen.» 

Was ist schon gemacht worden?

Laut ukrainischen Behörden sind in der Ukraine mehr als 2.100 Minenräumer tätig. Sie haben nach Angaben des Zivilschutzes bereits über 1.500 Quadratkilometer – eine Fläche so groß wie Berlin und Hamburg zusammen – untersucht und dabei mehr als 530.000 explosive Gegenstände entschärft. Die Regierung schätzt die Kosten für eine weitgehende Räumung des gesamten Landes auf etwa 30 Milliarden Euro.

dpa