Ab heute blinkt die Ampel nur noch rot und grün. Die FDP-Minister erhalten ihre Entlassungsurkunden. Es startet eine Übergangsphase, von der man noch nicht weiß, wie lange sie dauert.
Nach dem Ampel-Crash kommt Rot-Grün ohne Mehrheit
Nachdem die Ampel-Koalition dramatisch geplatzt ist, werden heute die Trümmer aufgeräumt. Der Finanzminister Christian Lindner (FDP), der nach einem beispiellosen Zerwürfnis von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entlassen wurde, erhält am Nachmittag seine Entlassungsurkunde von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Scholz, der Lindner mehrfachen Vertrauensbruch und Kleinkariertheit vorgeworfen hat, wird wahrscheinlich anwesend sein – jedenfalls ist das so üblich.
Um sicherzustellen, dass ein reibungsloser Übergang stattfindet, soll der Nachfolger oder die Nachfolgerin von Lindner sofort nach der Ernennungsurkunde erhalten. Der Name ist bereits festgelegt, aber noch nicht öffentlich bekannt. Es wird auch erwogen, dass die Posten, die durch den angekündigten Rücktritt der anderen drei FDP-Minister frei werden, möglicherweise schon heute neu besetzt werden – jeweils zwei von SPD und Grünen.
Rückkehr von Rot-Grün nach 19 Jahren
Somit gibt es erstmals seit 2005 wieder eine rot-grüne Regierung, die jedoch keine Mehrheit im Parlament hat. Sie ist auch nur für eine Übergangsphase gedacht, deren Dauer noch ungewiss ist. Am 15. Januar plant Scholz, die Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen, um Neuwahlen einzuleiten. Diese müssen aufgrund zweier im Grundgesetz festgelegter Fristen von insgesamt 81 Tagen spätestens Anfang April stattfinden. Derzeit gilt der wahrscheinlichste Termin als der 30. März, da zu diesem Zeitpunkt kein Bundesland Ferien hat.
Der Zusammenbruch der ersten Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene erfolgte am Mittwochabend nach einem heftigen Richtungsstreit, insbesondere über den zukünftigen Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Scholz hatte in den Verhandlungen unter anderem eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse gefordert. Aufgrund der festgefahrenen Situation schlug Lindner dann in der Sitzung des Koalitionsausschusses mit allen Partei- und Fraktionsspitzen am Mittwochabend vor, gemeinsam Neuwahlen des Bundestags einzuleiten.
In einer späteren Sitzungspause wurde der Lindner-Vorschlag öffentlich bekannt, mehrere Medien berichteten darüber, woraufhin Scholz den Bundespräsidenten um die Entlassung seines Finanzministers bat. Als Reaktion zog die FDP alle ihre Minister aus dem bereits seit vielen Monaten zutiefst zerstrittenen Dreier-Bündnis ab – und besiegelte somit das Ende der Ampel.
Scholz rechnet knallhart mit Lindner ab
Die offensichtlich schon länger geplante Rede des Kanzlers, in der er den Rausschmiss Lindners ankündigte, wurde später von vielen Parteifreunden als der beste Auftritt seiner Amtszeit gelobt. Sie war hauptsächlich eine harte Abrechnung mit dem Finanzminister.
Scholz warf Lindner vor, in der gemeinsamen Regierungszeit Kompromisse durch öffentlich inszenierten Streit übertönt und Gesetze sachfremd blockiert zu haben. «Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.» Es gebe deswegen keine Basis für die weitere Zusammenarbeit. «So ist ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich.»
In einer Sitzung der SPD-Fraktion wurde Scholz danach mit stehendem Applaus und rhythmischen Klatschen gefeiert. Ein Moment, den der Kanzler in seiner politischen Laufbahn wohl nur selten erlebt hat. Das Verhältnis des 66-Jährigen zu seiner Partei gilt als kühl.
Lindner schlägt zurück: «Kalkulierter Bruch»
Der entlassene FDP-Chef gab die Vorwürfe an Scholz zurück. Der SPD-Politiker habe den Bruch der Ampel-Koalition gezielt herbeigeführt. «Sein genau vorbereitetes Statement vom heutigen Abend belegt, dass es Olaf Scholz längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung ging, sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition», sagte Lindner. Damit führe Scholz Deutschland in eine Phase der Unsicherheit.
Lindner warf SPD und Grünen vor, seine Vorschläge für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert zu haben. Scholz habe die wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost. «Seine Gegenvorschläge sind matt, unambitioniert und leisten keinen Beitrag, um die grundlegende Wachstumsschwäche unseres Landes zu überwinden, damit wir unseren Wohlstand, unsere soziale Sicherung und unsere ökologische Verantwortung erhalten können.»
Scholz habe ultimativ von ihm verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen, sagte Lindner. «Dem konnte ich nicht zustimmen, weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte. Deshalb hat der Bundeskanzler in der Sitzung des Koalitionsausschusses am heutigen Abend die Zusammenarbeit mit mir und der FDP aufgekündigt.»
Christian Dürr, der Fraktionschef, hat angekündigt, dass alle FDP-Minister gemeinsam ihren Rücktritt beim Bundespräsidenten einreichen wollen. Neben Lindner sind das Verkehrsminister Volker Wissing, Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger.
Neue Allianzen: Scholz will auf einmal auf Merz zugehen
Die SPD und die Grünen werden ab heute ohne Mehrheit regieren und sind bei jeder Entscheidung im Parlament auf Unterstützung aus der Opposition angewiesen. “Der Union kommt damit eine besondere Rolle zu.”
Scholz will Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) in der Übergangsphase anbieten, rasch gemeinsam nach Lösungen zur Stärkung der Wirtschaft und der Verteidigung zu suchen. «Ich werde nun sehr schnell auch das Gespräch mit dem Oppositionsführer, mit Friedrich Merz suchen», sagte der Kanzler. Er wolle Merz anbieten, in zwei oder gerne auch noch mehr Fragen, «die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv zusammenzuarbeiten: Bei der schnellen Stärkung unserer Wirtschaft und unserer Verteidigung.»
Die Wirtschaft könne nicht warten, bis Neuwahlen stattgefunden haben, ergänzte Scholz und fügte hinzu: «Und wir brauchen jetzt Klarheit, wie wir unsere Sicherheit und Verteidigung in den kommenden Jahren solide finanzieren, ohne dafür den Zusammenhalt im Land aufs Spiel zu setzen.» Auch mit dem Blick auf die Wahlen in Amerika sei das «vielleicht dringender denn je». Donald Trump hat die Präsidentschaftswahl in den USA kurz vor dem Ampel-Crash gewonnen.
Wie weit der Kanzler mit seinen Avancen an die Union kommt, wird man sehen. Scholz und Merz konkurrieren bei der nächsten Wahl um die Kanzlerschaft. Ihr persönliches Verhältnis gilt nach kernigen Auseinandersetzungen im Bundestag als ziemlich zerrüttet. Merz hat Scholz mal als «Klempner der Macht» bezeichnet. Und Scholz hat dem CDU-Chef erst im September in der Generaldebatte des Bundestags ins Gesicht gesagt: «Sie können es nicht, das ist die Wahrheit, mit der wir konfrontiert sind.»
Söder: «Jetzt darf keine Zeit mehr verloren werden»
Aus der Union kommen bereits Forderungen nach einer möglichst schnellen Bundestagswahl. «Die Ampel ist Geschichte. Jetzt darf keine Zeit mehr verloren werden», schrieb Söder beim Kurznachrichtendienst X. Deutschland brauche nun rasch Neuwahlen und eine neue Regierung. «Taktische Verzögerungen darf es nicht geben.»