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Ukraine: Drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges

Die Ukraine steht vor existenziellen Herausforderungen. Die EU und die USA suchen nach Lösungen für die bedrohte Sicherheitsarchitektur Europas.

Soldatenbegräbnisse sind für die Ukraine trauriger Alltag. (Archivbild)
Foto: Efrem Lukatsky/AP/dpa

Drei Jahre nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges bleibt die Lage der Ukraine so schwierig wie noch nie. Am 24. Februar jährt sich der Start der Invasion zum dritten Mal, an diesem Tag im Jahr 2022 gab Russlands Präsident Wladimir Putin seinen Truppen im Morgengrauen den Befehl zur Invasion des Nachbarlandes. Seitdem schwebt das zweitgrößte Land Europas in seiner Existenz. Die Sicherheitsarchitektur des Kontinents ist gefährdet.

Bisher waren die Vereinigten Staaten der größte Unterstützer der Ukraine. Unter Präsident Donald Trump suchen sie jedoch einen Ausgleich mit Russland und wollen ein schnelles Ende der Kämpfe. Die europäischen Länder tagen im Krisenmodus: Wie können sie der Ukraine helfen und auf den schwindenden Schutz Amerikas reagieren?

Die EU-Kommission mit Ursula von der Leyen und zahlreiche andere europäische Politiker werden am Montag in Kiew erwartet. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron spricht in Washington mit Trump. Fragen und Antworten zu einem bitteren Jahrestag:

Wie viele Menschen sind in drei Jahren Krieg getötet worden? 

Es gibt keine genauen Zahlen, aber die Anzahl der Toten beläuft sich auf Zehntausende und möglicherweise sogar Hunderttausende. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erwähnte zuletzt mehr als 46.000 getötete Soldaten. Allerdings hat das Internetprojekt UA Losses allein anhand öffentlicher Quellen und Daten im Netz mindestens 65.500 Namen von verstorbenen ukrainischen Soldaten gezählt. Tausende werden vermisst.

Laut Angaben der Vereinten Nationen wurden bis Ende Januar der Tod von 12.600 ukrainischen Zivilisten bestätigt. 29.200 wurden verletzt. Allerdings sind auch dort Zehntausende Menschen nicht in der Bilanz enthalten, darunter Opfer des russischen Beschusses auf die Hafenstadt Mariupol zu Beginn des Krieges.

Auf russischer Seite wurden bei Internet-Recherchen mindestens 93.600 tote Soldaten festgestellt. Der russische Dienst der BBC nannte eine Spanne von 159.500 bis 223.500 toten Soldaten. Offiziell gibt die russische Führung keine Zahlen bekannt. In den Grenzgebieten Russlands zur Ukraine sollen laut Medienberichten bisher mehrere Hundert Zivilisten getötet worden sein.

Wie ist derzeit die militärische Lage?

Die ukrainische Armee zieht sich seit Herbst 2023 zurück. Besonders im Osten, im Gebiet Donezk, steht sie unter Druck. Seit Anfang 2025 gingen weitere 400 Quadratkilometer verloren. Fast ein Fünftel der Ukraine ist unter russischer Kontrolle. Obwohl sich die ukrainischen Truppen seit August 2024 im russischen Gebiet Kursk aufhalten, schrumpft auch dieser Brückenkopf.

Die Ukrainern haben Schwierigkeiten mit der Übermacht des Gegners an Soldaten und Technik sowie den von der russischen Luftwaffe eingesetzten Gleitbomben. Fahnenflucht und die langsame Mobilmachung reduzieren die Anzahl der Verteidiger weiter. Die Ukraine erzielt Erfolge mit verbesserten Kampfdrohnen, die Industrieanlagen im russischen Hinterland angreifen. Russische Kriegsschiffe wagen sich kaum noch ins Schwarze Meer, um Angriffe von See auszuführen.

Wie lebt die Ukraine unter dem Druck von drei Jahren Krieg?

Drei Jahre Krieg haben in der ukrainischen Gesellschaft tiefe Spuren hinterlassen. Viele Städte im Osten und Süden wurden durch russische Angriffe schwer verwüstet. Trotzdem fließen weiterhin ausländische Hilfsgelder und Kredite von mehr als 39 Milliarden Euro jährlich, um einen Zusammenbruch zu verhindern. Renten und Gehälter werden weiterhin pünktlich ausgezahlt. Die Armee erhält stabile Finanzierung. Die Landwirtschaft arbeitet trotz Schwierigkeiten weiter. Die Inflation stieg jedoch im Jahr 2024 unerwartet von fünf auf zwölf Prozent an.

Abseits der Front sind die Probleme nicht offensichtlich. Die Geschäfte sind belebt, Restaurants geöffnet, Tankstellen in Betrieb und der Verkehr stark. „Jedoch gibt es fast jede Nacht Luftalarm. Dennoch haben sich Geschäfte, Cafés und Bars gegen Stromausfälle nach russischen Angriffen mit Generatoren gerüstet. Für große Unternehmen stellt die Strombeschaffung jedoch ein Problem dar und führt zu Produktionsausfällen.“

Umfragen zeigen auch nach drei Jahren der russischen Invasion, dass immer noch über die Hälfte der Ukrainer Präsident Selenskyj unterstützen – auch wenn dies von Trump lautstark angezweifelt wurde. Es gibt weiterhin eine Mehrheit gegen Gebietsabtretungen und andere Zugeständnisse an Russland. Allerdings nimmt der Anteil derjenigen stetig zu, die sich ein Ende des Krieges durch Verhandlungen und Kompromisse wünschen.

Wie will die Ukraine ein Ende des Krieges erreichen?

Offiziell wird die Ukraine kaum auf ihre von Russland besetzten Gebiete verzichten. Die Forderungen, dass die Russen sich hinter die Grenze zurückziehen, sind aber praktisch verstummt. Selenskyj spricht weniger von Sieg, als von einem gerechten Frieden. Die entscheidende Frage ist, wie die Ukraine nach einem Ende der Kämpfe geschützt werden kann.

«Die erste Priorität sind Sicherheitsgarantien – nicht nur in Worten, sondern in realer wirtschaftlicher und militärischer Stärke», sagte Selenskyj. «Die Ukraine kann nicht unter der Drohung eines erneuten Angriffs leben.» Er versteht darunter eine Kombination von Nato- und EU-Mitgliedschaft, die Stationierung von Truppen freundlich gesonnener Staaten und eine starke eigene Armee. 

Und auf der Gegenseite: Wie hat der Krieg Russland verändert? 

In Moskau gibt es nur wenige Anzeichen für Krieg – selbst die Plakate, die hohe Prämien für den Fronteinsatz versprechen, sind weniger geworden. Soldaten sind höchstens an Bahnhöfen vermehrt zu sehen. Dennoch hat die Militarisierung Russlands landesweit stark zugenommen. Russland hat sich voll auf Kriegswirtschaft umgestellt. Laut Medienberichten hat die russische Führung in diesem Jahr rund 135 Milliarden Euro für Militär und Sicherheit ausgegeben, was etwa 40 Prozent der Haushaltsausgaben entspricht.

Der Rüstungssektor treibt das Wachstum der russischen Wirtschaft voran. Die „hohen Soldzahlungen an die Frontsoldaten und die Entschädigungen an die Hinterbliebenen“ führen zu einem bescheidenen Aufschwung in der Provinz.

Gleichzeitig durchdringt die Kriegsrhetorik Gesellschaft und Politik. Kritische Äußerungen über Putins Invasion und die Gräueltaten russischer Soldaten sind verboten. Andersdenkende sitzen im Gefängnis, schweigen oder sind im Exil. Aufgrund der fortwährenden Propaganda hat sich in weiten Teilen eine Festungsmentalität ausgebreitet. Anfangs war bei vielen einfachen Russen der Schock über den Angriff auf das Nachbarland zu spüren. Nun hat sich ein Großteil damit arrangiert und sieht sich in einem Konflikt mit dem Westen.

Ist Moskau zu einem Ende des Krieges bereit? 

Putin freut sich, dass Trump wieder mit ihm sprechen will. Er hat immer wieder seine grundsätzliche Bereitschaft zur Verhandlung betont. Aber da er sich militärisch im Aufwind sieht, hält er an seinen Maximalforderungen fest. Diese zielen auf eine politische Unterordnung des Nachbarlandes ab.

Russland betrachtet nach wie vor die Halbinsel Krim sowie die ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson als sein Staatsgebiet. Das würde bedeuten, dass die Ukraine auch die von ihr bisher verteidigten Großstädte Saporischschja und Cherson aufgeben müsste.

Eine Rest-Ukraine in irgendeiner Form soll auch weiterhin unter Moskauer Einfluss stehen. Deshalb ist Russland gegen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine. Es fordert eine umfassende Abrüstung des Nachbarn und Mitspracherecht bei der Sprachenpolitik für die russische Minderheit im Land.

(Keine) Aussicht auf ein Ende?

Die Beziehungen zwischen der neuen US-Regierung und dem Kreml nehmen schnell Gestalt an: Trump und Putin haben miteinander telefoniert, die Außenminister trafen sich in Saudi-Arabien, ein Gipfel steht bevor. Die Ukraine läuft Gefahr, dass sich die großen Atommächte hinter ihrem Rücken einigen.

Denn die USA haben erklärt, dass eine Kiewer Nato-Mitgliedschaft und die Rückeroberung verlorener Gebiete unrealistisch seien. Trump hat seinen Zorn auf Selenskyj gerichtet und ihn einen Diktator ohne Wahlen genannt. Selenskyj hat den USA Rohstoffe im Austausch für Sicherheitsgarantien angeboten. Er wehrt sich jedoch gegen Trumps Versuch, US-Hilfen nachträglich mit Rohstoffen zu bezahlen.

Die europäischen Staaten sind durch die US-Ansage belastet, dass sie nicht über die Ukraine mitreden dürfen, aber die Verantwortung für die Friedenssicherung tragen sollen – möglicherweise mit eigenen Soldaten. Die EU-Staaten diskutieren in ständig neuen Runden über die bedrohliche Situation. Eine Verteidigung der Ukraine wäre kostspielig. Doch den Europäern ist bewusst, dass ein erzwungener Frieden mit einer kaum lebensfähigen Ukraine erneut Millionen Menschen zur Flucht zwingen könnte.

dpa