Die Gespräche über einen neuen Geisel-Deal zwischen Israel und der Hamas kommen seit Monaten nicht voran. Doch nun scheint es Bewegung zu geben.
Nach Umsturz in Syrien: Hoffnung auf Gaza-Deal
Nach dem Umsturz in Syrien schöpfen die Vermittler im Gaza-Krieg Hoffnung auf einen Durchbruch bei den Verhandlungen um eine Waffenruhe zwischen Israel und der islamistischen Hamas. Die Hamas sei jetzt zu einer Vereinbarung bereit, die es Israels Truppen bei Einstellung der Kämpfe erlauben würde, vorübergehend im Gazastreifen zu bleiben, berichtete das «Wall Street Journal» unter Berufung auf arabische Vermittler. Die Hamas habe zudem den Vermittlern eine Liste mit Geiseln übergeben, die sie im Rahmen einer Waffenruhe-Vereinbarung freilassen würde. Damit hätten die Islamisten zwei Kernforderungen der Israelis nachgegeben, berichtete die Zeitung.
UN-Vollversammlung fordert sofortige Waffenruhe in Gaza
Kurz zuvor hatte die Vollversammlung der Vereinten Nationen per Resolution eine unverzügliche, bedingungslose und dauerhafte Waffenruhe gefordert sowie die sofortige Freilassung der Geiseln. Deutschland und 157 weitere Mitgliedsländer stimmten für den Entwurf, 9 dagegen – darunter die USA und Israel. Israels Verteidigungsminister Israel Katz sagte jedoch seinem US-Kollegen Lloyd Austin, es gebe jetzt eine Chance für ein Abkommen.
Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, plant heute in Israel mit Regierungschef Benjamin Netanjahu zu sprechen, bevor er seine Reise nach Katar und Ägypten fortsetzt. Die beiden arabischen Länder arbeiten seit Monaten gemeinsam mit den USA an der Vermittlung zwischen Israel und der Hamas, da direkte Verhandlungen zwischen den beiden Kriegsparteien nicht stattfinden. Auch US-Außenminister Antony Blinken führt erneut Gespräche im Nahen Osten und wird heute in Jordanien und der Türkei erwartet, wie das Außenministerium in Washington bekannt gab.
Die Hamas scheint sich zu bewegen
Die Hamas hatte monatelang darauf bestanden, dass sie einem neuen Abkommen nur zustimmen würde, wenn es ein dauerhaftes Ende des Krieges und einen vollständigen Abzug der israelischen Truppen aus Gaza beinhaltet. Nun gibt es anscheinend neue Entwicklungen. Die Deutsche Presse-Agentur hatte bereits vor Tagen aus Hamas-Kreisen erfahren, dass Katar und Ägypten Namen einiger Geiseln für eine mögliche Freilassung genannt haben. Bei den Verhandlungen zeigt sich die Hamas jetzt flexibler als zuvor, so Vermittlerkreise.
Die Hamas und andere Gruppen entführten am 7. Oktober des letzten Jahres mehr als 250 Israelis in das abgeriegelte Küstengebiet. Bei dem beispiellosen Terroranschlag wurden rund 1.200 Menschen getötet. Dies löste den Gaza-Krieg aus, bei dem laut – unabhängig nicht zu überprüfbaren – palästinensischen Angaben mehr als 44.500 Menschen in Gaza ums Leben kamen.
Im Rahmen einer Waffenruhe Ende November 2023 hat die Hamas 105 Geiseln freigelassen. Im Gegenzug wurden 240 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen entlassen. Einige Geiseln wurden seitdem vom Militär befreit, andere tot aufgefunden. Derzeit ist nicht bekannt, wie viele der Geiseln noch am Leben sind.
Netanjahu: Wir zerlegen Irans «Achse des Bösen»
Der Hamas-Anführer Jihia al-Sinwar, der inzwischen in Gaza getötet wurde, hatte gehofft, mit dem Terrorüberfall auf Israel vor mehr als 14 Monaten die gesamte sogenannte Widerstandsachse des Irans im Kampf gegen den Erzfeind Israel zu vereinen. Doch nach den Schlägen Israels gegen die mit dem Iran verbündete Hisbollah-Miliz im Libanon und nun auch mit dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad schwindet die Macht Teherans in der Region.
Israel sei dabei, Irans «Achse des Bösen» zu zerlegen, sagte Netanjahu am Mittwoch. Während die Armee vor allem im Norden des Gazastreifens weiter intensiv gegen die Hamas vorgeht und nach eigenen Angaben zwei weitere am Oktober-Massaker beteiligte Terroristen tötete, kamen auch im Südlibanon nach Angaben des örtlichen Gesundheitsministeriums bei israelischen Angriffen erneut mehrere Menschen ums Leben – trotz einer Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah. Ob es sich um Mitglieder der Schiitenmiliz handelte, war unklar. Israels Militär äußerte sich zunächst nicht.
Die israelische Armee hat sich aus der Stadt Chiam im Süden des Libanons zurückgezogen. Das Militär gab bekannt, dass die Mission vor Ort abgeschlossen sei. Gemäß dem Waffenstillstandsabkommen werden nun Soldaten der libanesischen Armee und der UN-Friedenstruppe Unifil dort positioniert. Die israelische Armee bleibt vorerst jedoch in mehreren Gebieten im Südlibanon stationiert, um weiterhin Bedrohungen gemäß dem Waffenstillstandsabkommen zu bekämpfen.
Israels Armee weiter in Pufferzone in Syrien
Laut Militärangaben sind vier Kampfgruppen der israelischen Armee weiterhin im Süden Syriens im Einsatz. Eine Brigade-Kampfgruppe bekämpft dort Bedrohungen entlang der Grenze, wie die Streitkräfte am Abend mitteilten. Dabei wurden auch mehrere nicht mehr genutzte Panzer der syrischen Armee beschlagnahmt. Das Ziel des israelischen Einsatzes ist es, die Sicherheit der Zivilbevölkerung im Norden Israels zu gewährleisten.
Israels Armee hat nach der Übernahme der Kontrolle durch Rebellen in Syrien Truppen in die Pufferzone zwischen den von Israel besetzten Golanhöhen und dem Nachbarland verlegt. Laut israelischen Medienberichten sind die Kampftruppen gelegentlich auch außerhalb dieser Pufferzone aktiv. Frankreich hat Israel aufgefordert, sich aus der Zone zurückzuziehen und die Souveränität und territoriale Integrität Syriens zu respektieren.
Pistorius: Nicht aus Region zurückziehen
Verteidigungsminister Boris Pistorius macht sich nach dem Umsturz in Syrien für eine verstärkte Zusammenarbeit zur Stabilisierung der Lage im Nahen Osten stark. «Wir dürfen uns keinesfalls zurückziehen», sagte Pistorius in der irakischen Hauptstadt Bagdad in einem für die ARD-«Tagesthemen» geführten Interview. «Durch den Sturz Assads in Syrien ist nicht klar, in welche Richtung sich die Region, in welche Richtung Syrien sich entwickelt.»
Europa und Deutschland könnten und dürften «sich nicht erlauben, hier nur Zuschauer zu sein. Dafür ist die Region zu wichtig», sagte der Minister. Für Deutschland könne das auch bedeuten, mit den neuen Machthabern in einem «neuen Syrien» zusammenzuarbeiten, «wenn sie denn die Chance nutzen, die sich ihnen jetzt bietet und sie schnell für etwas Ruhe sorgen können, auf der man dann aufsetzen kann».
Die Baath-Partei von Assad hat laut eigenen Angaben ihre Arbeit auf unbestimmte Zeit unterbrochen, während das loyal ergebene Militär deutliche Anzeichen von Auflösung zeigt. Es wird spekuliert, dass der internationale Flughafen in der syrischen Hauptstadt Damaskus möglicherweise bereits am kommenden Sonntag wieder in Betrieb gehen könnte. Laut dem Verkehrsministerium kam es nach dem Umsturz zu Plünderungen, Vandalismus und Diebstahl auf dem Gelände. Derzeit werden Reparaturarbeiten durchgeführt.