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Nawalny bezahlt Kampf gegen Putin mit Leben

Nawalny galt als Hauptgegner von Kremlchef Putin seit Langem dem Tod geweiht. Nur knapp überlebte er einen Giftanschlag. Trotzdem stellte er sich dem Straflagersystem – und starb nun in Haft.

Das Videostandbild des Youtube-Kananals «Navalny Life» zeigt den Kremlkritiker Alexej Nawalny im Januar 2021 in einer Polizeistation in Chimki im Moskauer Gebiet.
Foto: --/Navalny Life/AP/dpa

Alexej Nawalny ist gestorben, nachdem er seinen mutigen Kampf gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wie viele andere prominente Kremlkritiker vor ihm mit dem Leben bezahlt hat. Gemäß den Angaben der Justiz in seiner sibirischen Strafkolonie verstarb der berühmteste politische Gefangene des Landes am Freitag im Alter von 47 Jahren. Es wurde berichtet, dass er nach einem Spaziergang zusammengebrochen sei und Wiederbelebungsversuche erfolglos blieben.

Immer wieder hatte der Familienvater fehlende medizinische Hilfe, Schikane und sogar Folter im Straflager beklagt. Bis zuletzt zeigte sich der abgemagerte und sichtlich geschwächte Politiker aber etwa bei Auftritten bei Gerichtsverhandlungen entschlossen in seinem Ziel, ein «Russland ohne Putin» erreichen zu können.

Vor allem mit seinem Kampf gegen Korruption im Machtapparat unter Putin machte sich der Jurist viele Feinde. Nawalnys Anti-Korruptions-Fonds baute in vielen Teilen des Riesenreichs jahrelang eigene Strukturen auf. Als sie zunehmend auch politisch an Einfluss gewannen und Nawalnys Leute gewählt wurden, ließ die Führung in Moskau das Netzwerk zerschlagen und als «extremistisch» verbieten. Führende Köpfe von Nawalnys Team flohen ins Ausland. Aus dem Exil heraus setzten sie den Kampf gegen die aus ihrer Sicht durch und durch kriminellen und mafiosen Machtstrukturen fort. Nawalny aber blieb. Nun muss sein Team ohne die Galionsfigur Nawalny auskommen.

Scharfer Gegner der Invasion

Seit dem 24. Februar 2022 hat der Politiker aus dem Straflager heraus als entschiedener Gegner von Putins Überfall auf die Ukraine nicht nur wiederholt russische Kriegsverbrechen angeprangert. Der charismatische Politiker mit den blauen Augen, der selbst gerne Präsident geworden wäre, warnte vor allem vor einer erneuten Wahl Putins in diesem Jahr. Nawalny mahnte, dass der Kremlchef, der das Land seit fast einem Vierteljahrhundert regiert, Russland ins Verderben führt.

Nawalny schätzte seine Familie und Freunde dafür, dass er sich seinem Kampf gegen das System anschloss. Er wollte sich jedoch im Land selbst stellen und nicht aus dem Ausland heraus. Aus diesem Grund kehrte er im Januar 2021 nach Russland zurück, obwohl er mit Haft bedroht war. Zuvor hatte er sich in der Berliner Charité von einem Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok behandeln lassen. Im selben Jahr nahm seine Tochter Dascha den Sacharow-Preis des Europaparlaments für geistige Freiheit entgegen.

Obwohl er inhaftiert war, schaffte es Nawalny bis zum Schluss, sich aus dem Straflager 6 in Melechowo nahe der Stadt Kowrow etwa 260 Kilometer nordöstlich von Moskau mit aufmunternden und oft humorvollen Texten an die Öffentlichkeit zu wenden. Die Strafe von insgesamt 19 Jahren Haft wurde im letzten Gerichtsverfahren erhöht, das wie alle vorherigen als politisch inszeniert angesehen wurde. Es drohten weitere Prozesse. Seine Auftritte vor Gericht sorgten jedoch immer wieder für Entsetzen, da seine Schwächung und körperlicher Verfall immer offensichtlicher wurden.

Ehefrau: Briefe sind unsere letzte Verbindung

Ärzte appellierten an Putin, er möge als Garant der Verfassung Nawalnys Recht auf ärztliche Behandlung sicherstellen. Auch Nawalnys Ehefrau Julia hatte dem Strafvollzug geschrieben und gefragt, ob dort überhaupt noch Menschen arbeiteten. Sie beklagte im vergangenen Jahr einmal, dass sie schon fast ein Jahr nicht mehr mit ihrem Mann habe telefonieren dürfen. «Briefe sind unser letztes Mittel der Verbindung.» Doch zuletzt seien weder Briefe von Nawalny noch Schriftstücke an ihn zugestellt worden, sagte seine Sprecherin Kira Jarmysch Anfang Dezember.

Seine Frau Julia und ihre beiden Kinder waren in steter Angst um Nawalnys Leben, seit er im August 2020 nur knapp das Attentat mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok überlebte. Nawalny hatte Putin als «Mörder» bezeichnet, der ein Killerkommando des Inlandsgeheimdienstes FSB damit beauftragt habe. Der Kreml wies das stets zurück.

Nawalny war sich der lebensgefährlichen Natur der Haft im Straflager bewusst, in dem viele Menschen unter ungeklärten Umständen sterben. Die zahlreichen Sonderstrafen in der Isolationshaft, in einer Strafzelle von zwei mal drei Metern Größe, hatten offensichtlich Auswirkungen auf ihn.

Einzelhaft mit einem psychisch kranken Mann

In einem bei Instagram veröffentlichten Beitrag zum zweiten Jahrestag seiner Inhaftierung schrieb Nawalny, dass ihm in der Einzelhaft ein psychisch kranker Mann in eine Zelle gegenübergesetzt worden sei. «Er schreit 14 Stunden am Tag und drei in der Nacht», teilte Nawalny mit. «Bekanntlich ist Schlafentzug eine der wirksamsten Foltern.» Er habe viel erlebt und gelesen, aber das sei etwas Neues.

«Alles, was Ihr lest über den Horror und die faschistischen Verbrechen unseres Gefängnissystems, das ist alles die Wahrheit. Mit einer Richtigstellung: Die Wirklichkeit ist noch schlimmer», schrieb Nawalny. Es gebe etwa die bekannten Vergewaltigungen mit dem Schrubber – Dinge, die normalen Menschen nie in den Sinn kämen. «Das Gefängnissystem wird nicht nur von einer wahren Ansammlung an Schurken geführt, sondern von echten kranken Perversen.»

Das Team von Nawalny beschuldigte den Kreml wiederholt, alles zu tun, um Putins wichtigsten Gegner aus dem Weg zu räumen. Die Warnungen wurden ignoriert. Die russische Opposition hatte lange Zeit die Hoffnung, dass Putin in seinem Krieg gegen die Ukraine eine Niederlage erleidet und zurücktritt. Doch seit Monaten befindet sich der 71-Jährige auf dem Weg zum Sieg.

Russlands liberale Opposition dürfte den Widerstand im Untergrund im In- und Ausland weiter organisieren. Millionen folgen in den sozialen Netzwerken Nawalnys Team, das auch aktuelle politische Nachrichtensendungen, Kommentare und Talkrunden bei Youtube bringt. Dort hatte zuletzt mit Blick auf die Präsidentenwahl die Kampagne «Russland ohne Putin» begonnen. Nawalny hatte dazu aufgerufen, für einen beliebigen Kandidaten zu stimmen – nur nicht für Putin.

dpa