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Netanjahu drängt auf vollständige Besetzung Gazas,Spekulationen über Verhandlungstaktik und Bedenken des Militärs.

Netanjahu setzt auf Unterstützung des Kabinetts für Plan zur Besetzung Gazas, trotz Warnungen des Militärs und internationaler Sorge.

Nach UN-Angaben wird ein Großteil der Hilfsgüter in Gaza geplündert.
Foto: Mariam Dagga/AP/dpa

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu dringt Medienberichten zufolge trotz Einwänden der Militärführung auf eine vollständige Einnahme des Gazastreifens. Die israelische Nachrichtenseite «ynet» zitierte ranghohe Beamte aus Netanjahus Umfeld mit den Worten: «Die Würfel sind gefallen – wir beabsichtigen, den Gazastreifen vollständig zu besetzen.» In dem Bericht wird jedoch darüber spekuliert, dass dies auch Teil einer Verhandlungstaktik sein könnte, um die islamistische Terrororganisation Hamas angesichts der festgefahrenen Gespräche über eine Waffenruhe und Freilassung der Geiseln unter Druck zu setzen.

Netanjahu selbst hatte zuvor nur gesagt, er werde in dieser Woche das Sicherheitskabinett einberufen, um über das weitere Vorgehen in dem abgeriegelten und großflächig zerstörten Küstenstreifen zu entscheiden. «Ich verstehe genau, was die Hamas will. Sie will keinen Deal», hatte der Regierungschef in einer Video-Botschaft gesagt. Er sei nun noch entschlossener, die Geiseln zu befreien, die Hamas zu eliminieren und dafür zu sorgen, dass vom Gazastreifen nie wieder eine Gefahr für Israel ausgeht.

Armeeführung hat Bedenken gegen Besetzung ganz Gazas 

Israels Militär kontrolliert derzeit rund 75 Prozent der Fläche des Gazastreifens. Die Beseitigung aller Hamas-Tunnel und -Bunker könne Jahre dauern, beschrieb die «Times of Israel» Bedenken der Armeeführung gegen eine volle Einnahme. Auch könnten die Geiseln in Gefahr geraten und von ihren Entführern getötet werden, sollten sich Israels Truppen den Orten nähern, wo sie festgehalten werden. Nach israelischer Einschätzung befinden sich derzeit noch 50 Geiseln in der Gewalt der Hamas, von denen noch 20 am Leben sein sollen. 

Trotz der Bedenken des Militärs habe Netanjahu Ministern mitgeteilt, dass er sich um die Unterstützung des Kabinetts für einen Plan zur vollständigen Besetzung Gazas bemühen werde, berichtete die «Times of Israel». Die Nachrichtenseite «ynet» zitierte einen Beamten mit den Worten: «Wenn der Generalstabschef (Ejal Zamir) damit nicht einverstanden ist, dann soll er zurücktreten.» Berichten zufolge soll sich Zamir bei vergangenen Sitzungen des Sicherheitskabinetts heftige Diskussionen mit ultrarechten Ministern geliefert haben, die die Einnahme des ganzen Gazastreifens, die Abschiebung der palästinensischen Bevölkerung in andere Länder und die Errichtung jüdischer Siedlungen fordern.

Ex-Armeesprecher übt scharfe Kritik

Netanjahu, gegen den ein Korruptionsprozess läuft, ist für sein politisches Überleben auf seine rechtsextremen Koalitionspartner angewiesen. Zu den Berichten, wonach er nun entschieden habe, ganz Gaza einnehmen zu lassen, schrieb Israels früherer Armeesprecher Peter Lerner auf der Plattform X: «Dies ist politisches Überleben, maskiert als nationale Sicherheit. Netanjahu stürmt blindlings voran und zieht unsere Söhne und Töchter in einen endlosen Sumpf.» Mit jedem Tag, den sich der Krieg hinziehe, seien die Geiseln in größerer Gefahr. Er bete, dass Zamir «den Mut hat, sich diesem absurden Plan zu widersetzen, der sich nicht gegen die Hamas richtet. Er richtet sich gegen Israel», schrieb er.

Die «Times of Israel» schrieb, es sei unklar, was eine vollständige Besetzung des weitgehend zerstörten Küstengebiets für die rund zwei Millionen palästinensischen Bewohner sowie die dort tägigen Hilfsorganisationen bedeuten würde. Nach UN-Angaben droht in Gaza eine Hungersnot. Seit einigen Tagen lässt Israel zwar wieder mehr Hilfslieferungen in das abgeriegelte Gebiet. Doch viele der Hilfsgüter kommen nicht bei denen an, die sie am meisten benötigen. 

UN: Großteil der Hilfslieferungen wird geplündert

Ein Großteil wird im nach 22 Monaten Krieg herrschenden Chaos schon auf dem Weg geplündert. Seit dem 19. Mai wurden nach UN-Angaben von rund 2.600 Lkw rund 2.300 abgefangen, «entweder friedlich von hungrigen Menschen oder gewaltsam von bewaffneten Akteuren», heißt es. Eine vollständige Eroberung des Küstenstreifens könnte die Lage der Menschen, die ohnehin schon unter unerträglichen Bedingungen in dem Gebiet hausen, erheblich verschärfen. 

CNN berichtet, dass es unklar ist, ob der Ansatz von Netanjahu mit der Linie des US-Sondergesandten Steve Witkoff übereinstimmt. Witkoff soll am Wochenende bei einem Treffen mit Geiseln in Tel Aviv gesagt haben, dass der Plan nicht darauf abzielt, den Krieg auszuweiten, sondern ihn zu beenden. Statt wie bisher nur über eine Waffenruhe und die stufenweise Freilassung der Geiseln zu verhandeln, strebt US-Präsident Donald Trump nun einen umfassenden Deal an, der den Krieg beenden und alle verbleibenden Geiseln auf einmal zurückbringen würde.

Sorge im Libanon vor neuem Krieg 

Unterdessen herrscht auch im Libanon die Sorge vor einem erneuten Krieg mit Israel. Seit Ende November besteht zwar zwischen dem jüdischen Staat und der libanesischen Hisbollah-Miliz eine Waffenruhe. Doch greift das israelische Militär weiterhin nahezu täglich in dem nördlichen Nachbarland an. Auch zu Wochenbeginn wurde dabei nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums wieder ein Mensch getötet. Nach Angaben des israelischen Militärs handelte es sich um einen «Hisbollah-Terroristen». 

Eine Kabinettssitzung ist heute im Libanon geplant. Es wird diskutiert, die Kontrolle aller Waffen durch den libanesischen Staat zu übernehmen und die Hisbollah zu entwaffnen. Die Hisbollah hat bisher abgelehnt, einer verbindlichen Entwaffnung mit konkretem Zeitplan zuzustimmen.

Es besteht die Befürchtung, dass der Libanon erneut in eine politische Krise geraten könnte, wenn Mitglieder der Hisbollah – die auch eine politische Partei ist – die Regierung verlassen. Der Staat ist unter Druck, die Entwaffnung der Miliz durchzusetzen. Dies ist eine zentrale Forderung Israels und der USA. Israelische Soldaten sind nach wie vor an fünf Posten im Süden des Libanons stationiert.

dpa