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Israel greift Syrien an, politischer Übergang im Gange

Israel greift Syrien an, um das "Gesicht des Nahen Ostens" zu verändern. Der politische Übergang in Syrien wird intern gesteuert, ohne UN-Führung.

Israels Premier Netanjahu will das «Gesicht des Nahen Ostens» verändern.
Foto: Maya Alleruzzo/AP

Nach dem Sturz von Baschar al-Assad ebnet die Rebellenallianz den Weg für eine Übergangsregierung. Mohammed al-Baschir, bisher Regierungschef in Idlib, wurde beauftragt, eine neue Regierung zu bilden. Israel flog unterdessen laut Aktivisten schwere Angriffe in Syrien, um die militärischen Anlagen der Assad-Regierung zu zerstören. Berichten zufolge stehen israelische Panzer in der Nähe von Damaskus.

Israel sei dabei, «das Gesicht des Nahen Ostens zu verändern», sagte der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu am Abend. Assads Syrien sei «das wichtigste Glied in Irans Achse des Bösen» gewesen. Der Zusammenbruch der Assad-Herrschaft sei eine «direkte Folge der schweren Schläge», die Israel der islamistischen Hamas im Gazastreifen, der Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon und dem Iran versetzt habe. Der Kampf sei aber noch nicht beendet.

Netanjahu: Wir wollen ein anderes Syrien 

«Der Staat Israel etabliert sich zu einem Machtzentrum in unserer Region, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr der Fall war», sagte Netanjahu. «Wir wollen ein anderes Syrien», das sowohl Israel als auch den Einwohnern Syriens zugutekomme, sagte er. Israel hatte zuvor Streitkräfte in die Pufferzone auf den besetzten Golanhöhen und anderen Orten verlegt, darunter auch auf der syrischen Seite des Berges Hermon. Es sei eine vorübergehende Maßnahme.

Nach Beratungen des UN-Sicherheitsrats in New York hinter verschlossenen Türen sagte der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja zu Journalisten: «Der Rat war sich mehr oder weniger einig mit Blick auf die Notwendigkeit, die territoriale Integrität und Einheit Syriens zu bewahren, den Schutz der Zivilisten zu sichern und sicherzustellen, dass humanitäre Hilfe zu der bedürftigen Bevölkerung kommt». Der Rat war auf Antrag Russlands zusammengekommen.

UN-Sicherheitsrat: Syriens territoriale Integrität bewahren

«Alle sind von den Ereignissen überrascht worden, alle, auch die Mitglieder des Rats», sagte Nebensja im Anschluss an die Beratungen. «Also müssen wir abwarten, beobachten und bewerten, wie sich die Situation entwickeln wird.» Der scheidende US-Präsident Joe Biden betonte nach Angaben des Weißen Hauses in einem Telefonat mit dem König von Jordanien seine «volle Unterstützung für einen von Syrien geleiteten Übergangsprozess unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen» gemäß einer UN-Resolution.

Der politische Übergang in Syrien sei bereits im Gange und werde intern gesteuert, zitierte das Magazin «Foreign Policy» vier mit der Rebellenallianz in Verbindung stehende Quellen. Ein von den Vereinten Nationen geführter politischer Übergangsprozess sei unnötig, man lehne dies ab. «Wir weigern uns, in die Fallen der Vergangenheit zu tappen», wurde eine der Quellen zitiert.

Die Baath-Partei des gestürzten Machthabers Assad will den politischen Übergang unterstützen. «Wir werden für eine Übergangsphase in Syrien sein mit dem Ziel, die Einheit des Landes zu verteidigen», teilte der Generalsekretär der Partei, Ibrahim al-Hadid, arabischen Medien zufolge mit. Auch die örtlichen Anführer in Kardaha, dem Herkunftsort der Assad-Familie im alawitischen Kernland, erklärten ihre Unterstützung für die aufständischen Milizen.

Scholz telefoniert mit Macron

Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron tauschten sich am Telefon über die Lage in Syrien aus. «Beide waren sich einig, dass man bereit sei, mit den neuen Machthabern zusammenzuarbeiten, auf der Basis grundlegender Menschenrechte und dem Schutz ethnischer und religiöser Minderheiten», sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. Es sei wichtig, die territoriale Integrität und Souveränität Syriens zu erhalten.

«Das syrische Volk muss selbst über seinen Weg und seine Zukunft entscheiden», sagte US-Außenminister Antony Blinken bei einer Rede in Washington. Zugleich betonte er, die USA hätten «klare und dauerhafte Interessen in Syrien». So wolle man ein Erstarken der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien verhindern sowie sicherstellen, dass in Syrien verbliebene Massenvernichtungswaffen nicht «in die falschen Hände geraten». 

 

Israel greift Syriens Militäranlagen massiv an

Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte hat der US-Verbündete Israel Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftflotten in Syrien angegriffen. Nach den Luftangriffen auf ein Forschungszentrum berichteten Anwohner von einem starken Gasgeruch. Präsident Assad hat im Bürgerkrieg gegen Zivilisten und Rebellen wiederholt Giftgas eingesetzt. Es wurde auch berichtet, dass Syriens Luftabwehr in Damaskus, Homs, Hama, Latakia und Daraa durch die Angriffe Israels außer Betrieb gesetzt wurde.

Es seien die «schwersten Angriffe (Israels) in der Geschichte Syriens», sagte der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdel-Rahman, der Deutschen Presse-Agentur. Die Organisation mit Sitz in Großbritannien stützt sich auf Informanten in Syrien. Israels Militär äußerte sich auf Nachfrage nicht zu den Angriffen. Alles, was die syrische Armee über Jahrzehnte gehalten und aufgebaut hat, sei zerstört worden, sagte ein Militärreporter des israelischen Armeesenders. 

Auch Italien und Großbritannien setzen Asylverfahren aus

Auch Großbritannien und Italien haben vorübergehend Asylverfahren für Menschen aus Syrien ausgesetzt. Dies geschieht in Anlehnung an andere europäische Partner, wie die italienische Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mitteilte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Deutschland hat ebenfalls vorerst alle Entscheidungen über Asylanträge aus Syrien gestoppt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hofft darauf, dass mit der Wiederherstellung von Stabilität in Syrien mehr Flüchtlinge freiwillig in ihre Heimat zurückkehren werden. Um sicherzustellen, dass dies geordnet abläuft, hat er die Öffnung eines weiteren Grenzübergangs in der südtürkischen Provinz Hatay angeordnet. Die Türkei hat weltweit die meisten syrischen Flüchtlinge aufgenommen, derzeit leben laut UN-Angaben etwa drei Millionen im Land.

Weißhelme: Keine Häftlinge mehr in Assads «Schlachthaus»

Nach dem Sturz der Assad-Regierung befinden sich laut Aktivisten keine Gefangenen mehr im berüchtigten Militärgefängnis Saidnaja in Syrien. Die systematische Durchsuchung des riesigen Komplexes nördlich von Damaskus nach geheimen Zellen und verborgenen Kellerräumen wurde abgeschlossen. Die als Weißhelme bekannten Mitglieder des syrischen Zivilschutzes drückten ihr Mitgefühl für die vielen Familien aus, die vergeblich gehofft hatten, dass vermisste Angehörige nach Assads Sturz lebend im Gefängnis gefunden würden.

dpa