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Neuer EU-Deal soll Ankunft von Geflüchteten verhindern

Die EU sieht sich mit einem neuen Flüchtlingsproblem konfrontiert. Zur Lösung soll ein Milliarden-Deal mit dem Libanon angekündigt werden. Es gibt Warnungen.

In das Gebiet von Wadi Khaled an der libanesisch-syrischen Grenze im Nordlibanon flüchten täglich Hunderte Menschen.
Foto: Marwan Naamani/dpa

Die EU plant laut Recherchen der Deutschen Presse-Agentur, mit Finanzhilfen in Höhe von etwa einer Milliarde Euro den Zustrom von Flüchtlingen aus Syrien, die bisher im Libanon leben, zu stoppen. EU-Beamten zufolge soll das Geld in das Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen im Libanon investiert werden.

Des Weiteren sind Finanzmittel für die Sicherheitsbehörden und die Streitkräfte des Landes sowie für den Kampf gegen Schleuserbanden und für Wirtschafts- und Finanzreformen vorgesehen. Gemäß den Plänen soll die legale Migration erleichtert werden.

Das Unterstützungspaket soll heute bei einer Libanon-Reise von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis angekündigt werden, wie Beamte mitteilten. Die zyprische Regierung hatte die wachsende Zahl syrischer Geflüchteter aus dem Libanon zuletzt als nicht mehr tragbar kritisiert und ein Eingreifen der EU gefordert.

Zahl der Ankünfte stieg zuletzt drastisch

Laut Staatschef Christodoulidis kamen in den letzten Monaten fast täglich Syrer aus dem etwa 160 Kilometer entfernten Libanon mit Booten in der EU-Inselrepublik im östlichen Mittelmeer an. Seit Jahresbeginn wurden bereits rund 4000 Migranten gezählt – im ersten Quartal des Vorjahres waren es lediglich 78.

In absoluten Zahlen sind das deutlich weniger als beispielsweise in Italien, Spanien und Griechenland, wo Bootsflüchtlinge aus Ländern wie Tunesien, Libyen, Ägypten, Marokko oder der Türkei ankommen. Gemessen an seiner Einwohnerzahl gibt aber nirgendwo in der EU so viele Asylanträge wie auf Zypern. Auf der Insel sind die Flüchtlingslager überfüllt. «Wir sind nicht in der Lage, noch mehr syrische Flüchtlinge aufzunehmen», sagte Christodoulidis vor wenigen Wochen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

EU-Kommissionschefin von der Leyen hat deswegen Hilfe zugesagt. «Es sind wir, die Europäer, die entscheiden, wer nach Europa kommt und unter welchen Umständen. Und nicht das organisierte Verbrechen der Schmuggler und Menschenhändler», erklärte sie am vergangenen Sonntag in einer Rede und verwies auf die bereits existierenden Abkommen mit Ländern wie Tunesien und Ägypten. Auch diese Staaten sollen im Gegenzug für Finanzhilfen in Milliardenhöhe unerwünschte Migration in die EU stoppen.

Der Betrag, der für den Libanon bestimmt ist, soll bis Ende 2027 verwendet werden. Es könnte bereits im Sommer ein erster hoher dreistelliger Millionenbetrag fließen.

Antisyrische Stimmung im Libanon

Ob das Geld der EU ausreicht, um die Situation im Libanon zu verbessern, ist jedoch zweifelhaft. Das Land befindet sich derzeit in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte und zählt gleichzeitig mit über 1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen zu den Ländern, die pro Kopf weltweit die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben. Dies hat dazu geführt, dass eine antisyrische Stimmung vorherrscht und viele Flüchtlinge sich aus Angst vor Angriffen nicht mehr auf die Straße trauen.

«Ich habe Angst, mein Haus zu verlassen. Wenn ich morgens aus dem Haus gehe, gehe ich in Angst. Ich habe immer die Befürchtung, dass meiner Familie während meiner Abwesenheit etwas zustoßen könnte», sagt etwa der Syrer namens Khaled, der seine Heimatstadt Aleppo 2012 wegen des Bürgerkriegs verlassen hat. Die Libanesen behandelten Syrer wie einen Feind.

Berichte über willkürliche Festnahmen und Folter

Laut Menschenrechtlern wenden libanesische Beamte seit Jahren diskriminierende Praktiken gegen Syrer an, um sie zur Rückkehr nach Syrien zu zwingen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtete, dass die libanesischen Behörden in den vergangenen Monaten Syrer, darunter Oppositionsaktivisten und Armeeüberläufer, willkürlich festgenommen, gefoltert und nach Syrien zurückgeschickt hätten.

Die Regierenden im Libanon sind der Ansicht, dass das Bürgerkriegsland stabil und sicher genug ist, um eine Rückkehr zu ermöglichen. Die Vereinten Nationen und andere Menschenrechtsorganisationen haben jedoch eine andere Meinung. Sie betonen, dass die wirtschaftliche Situation ein Überleben kaum möglich macht und politische Flüchtlinge um ihr Leben fürchten müssen. Darüber hinaus will auch der syrische Machthaber Baschar al-Assad die geflohenen Menschen nicht in sein Land zurücklassen.

Regierung nur eingeschränkt handlungsfähig

Die politische Situation im Libanon ist auch schwierig. Im Gegensatz zu den autoritär regierten Staaten Tunesien und Ägypten gibt es derzeit nicht einmal ein Staatsoberhaupt. Seit anderthalb Jahren scheitert die Wahl eines Präsidenten hier immer wieder an Machtkämpfen innerhalb der politischen Elite. Derzeit wird das Land von Ministerpräsident Nadschib Mikati interimsmäßig geführt. Die Regierung ist nur begrenzt handlungsfähig.

Auch deswegen will die EU nun auch die Streitkräfte des Landes stärken. Sie werden als ein stabilisierender Faktor in dem an Syrien und Israel grenzenden Land gesehen – auch angesichts der Aktivitäten der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz. Diese schießt aus dem Libanon mit Raketen, Artillerie- und Panzerabwehrgranaten auf Israel – nach eigenen Angaben aus «Solidarität» mit der Hamas im Gazastreifen. Israel wiederum bekämpft mit Luft- und Artillerieangriffen die Stellungen der Hisbollah.

Nahost-Experte warnt vor großem Fehler

Angesichts dieser Gemengelage werden die Pläne der EU auch kritisch gesehen. «Die EU macht im Libanon einen großen Fehler», sagt etwa Riad Kahwaji, Direktor des Institute for Near East and Gulf Military Analysis. Das Land habe eine lange Geschichte interner Probleme, getrieben von konfessionellen Konflikten, die bis heute immer wieder zu einem Machtvakuum führen. Der Libanon sei in keiner Weise bereit, ein Aufnahmeland für Flüchtlinge zu sein. Die gleichen Politiker, die jetzt Gelder von der EU in Empfang nähmen, würden auf Podien dazu aufrufen, die Syrer aus dem Land zu werfen. «Es ist irre, zu sehen, dass die Europäer an die Illusion glauben, dass die libanesischen Behörden in der Lage wären, den Flüchtlingsstrom einzudämmen.»

dpa