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Neues Lindner-Papier könnte Diskussion über Ampel anheizen

Die rot-grün-gelbe Koalition ist uneins, wie die Wirtschaft angekurbelt werden soll. In dieser schwierigen Phase kommt ein neues Papier. Zweien der Koalitionspartner dürfte es nicht gefallen.

Finanzminister und FDP-Chef Lindner legt ein neues Grundsatzpapier zur Wirtschaftspolitik vor und heizt die Koalitionsdiskussion weiter an.
Foto: Kay Nietfeld/dpa

Im Zuge des Streits in der Ampel-Koalition über den wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs ist ein neues Grundsatzpapier von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner aufgetaucht. Darin wird unter anderem die sofortige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener gefordert sowie ein unverzüglicher Stopp aller neuen Regulierungen.

«Deutschland braucht eine Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik», hieß es darin. Diese solle grundsätzlicher Art sei. Das Papier hat den Titel «Wirtschaftswende Deutschland – Konzept für mehr Wachstum und Generationengerechtigkeit.» Es liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. Zuerst hatte der «Stern» darüber berichtet.

In dem Papier ohne Datum wird eine «Wirtschaftswende» gefordert mit einer «teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen», um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden. Die deutsche Wirtschaft ist in einer Wachstumskrise. Eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik könne das Vertrauen von Unternehmen und privaten Haushalten stärken.

Herbst der Entscheidungen

Die FDP fordert seit längerem eine «Wirtschaftswende» und hat den «Herbst der Entscheidungen» ausgerufen. Auch Forderungen wie eine vollständige Soli-Abschaffung sind grundsätzlich bekannt. Der Zeitpunkt des neuen Papiers ist aber brisant.

Vor anderthalb Wochen schlug Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erneut einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Staatsfonds vor, um Investitionen von Firmen zu fördern. Die FDP lehnt dies unter Verweis auf die Schuldenbremse ab.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zu einem Industriegipfel eingeladen, zu dem jedoch weder Habeck noch Lindner eingeladen wurden. Die FDP-Fraktion hatte eine Art Gegengipfel mit Verbänden organisiert. Scholz plant – genauso wie die FDP – weitere Treffen in ähnlichem Format. Am Ende strebt der Kanzler einen “Pakt für die Industrie” an, dessen Ergebnis noch vor Weihnachten vorliegen soll, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit angekündigt hat.

Erst im Juli hatte die Bundesregierung eine «Wachstumsinitiative» angekündigt. Das Paket mit vielen Maßnahmen ist aber noch nicht umgesetzt worden. 

Verschiedene Maßnahmen gefordert

In Lindners aktuellem Papier wird konkret von einem sofortigen Moratorium zum Stopp aller neuen Regulierungen gesprochen. Neue Gesetzesvorhaben sollten entweder ganz entfallen oder, falls dies nicht möglich ist, so gestaltet sein, dass die Bürokratie und Regulierung durch das Vorhaben sinken und keinesfalls steigen. Als Beispiele werden hier die Pläne des Arbeitsministers Hubertus Heil (SPD) für ein Tariftreuegesetz sowie das Lieferkettengesetz genannt.

Es wird weiterhin vorgeschlagen, dass der Solidaritätszuschlag, der hauptsächlich von Unternehmen, Selbständigen, Freiberuflern und Hochqualifizierten gezahlt wird, als Sofortmaßnahme abgeschafft werden sollte. Im Jahr 2025 sollte er zunächst um 2,5 Prozentpunkte auf 3 Prozent gesenkt werden. Im Jahr 2027 könnte er dann vollständig entfallen. Für 90 Prozent der Steuerzahler wurde der Soli bereits abgeschafft.

Weiter heißt es im Papier, nationale müssten durch europäische Klimaziele ersetzt werden. «Es hilft dem Klimaschutz nicht, wenn Deutschland als vermeintlicher globaler Vorreiter möglichst schnell und folglich mit vermeidbaren wirtschaftlichen Schäden und politischen Verwerfungen versucht, seine Volkswirtschaft klimaneutral aufzustellen.» Deutschland solle auf europäischer Ebene insbesondere die Abschaffung der Regulierungen zur Energieeffizienz, Gebäudeenergieeffizienz und der Flottengrenzwerte für Autokonzerne durchsetzen.

Haushalt wegweisend 

Die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 14. November gilt als entscheidend für den Fortbestand der Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Bei diesem Treffen wird über den Haushalt 2025 abgestimmt.

Spekulationen über eine vorzeitige Auflösung der Ampel-Koalition trat Regierungssprecher Hebestreit am Freitagmittag – vor Bekanntwerden des neuen Lindner-Papiers – zurück. «Ich habe nicht den Eindruck, dass irgendwer dabei ist, sich in die Büsche zu schlagen», sagte Hebestreit in Berlin. Er machte deutlich, «dass man konstruktiv die nächsten knapp elf Monate bis zum regulären Wahltermin für die nächste Bundestagswahl miteinander zusammenarbeiten wird».

Im Papier Lindners wird die Notwendigkeit einer weiteren Senkung der Ausgaben angesichts der bestehenden Milliardenlücken im Haushaltsentwurf erwähnt.

Der Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 2025 und der Finanzplan bis 2028 unternähmen Schritte zur «quantitativen Normalisierung und qualitativen Verbesserung des Bundeshaushalts». Mit Blick auf die gesenkte Konjunkturprognose und die trübere Steuerschätzung heißt es, diese Schritte seien nicht ausreichend.

Laut dem Papier soll der höhere Spielraum für Verschuldung durch die Anpassung der Konjunkturkomponente der Schuldenbremse nur zur Kompensation der Mindereinnahmen genutzt werden.

Gegen Subvention für Intel 

Laut dem Dokument sollte die geplante Subvention für Intel nicht nur verschoben, sondern vollständig gestrichen werden. Die bisher gebundenen Mittel in Höhe von insgesamt 10 Milliarden Euro könnten aus dem Klima- und Transformationsfonds entnommen werden, einem Sondertopf des Bundes. Der kriselnde Chipkonzern Intel hatte den Bau eines Werks in Magdeburg verschoben.

Migrationspolitik und Bürgergeld 

Im Papier ist die Rede von einer «Wende in der Asyl- und Arbeitsmarktpolitik». Durch eine niedrigere Zahl der Asylerstanträge fielen die Zahlungen an Länder und Kommunen zur Unterstützung durch den Bund niedriger aus.

Die Bürgergeld-Regelsätze seien 2024 überproportional gestiegen. «Sie liegen im Jahr 2025 weiter über dem Bedarf und sollten daher durch die Abschaffung der “Besitzstandsregelung” abgesenkt werden, um Arbeitsanreize zu stärken.» Weiter heißt es im Papier, Abschläge bei frühzeitigem Renteneintritt sollten angepasst werden.

CSU: Nackte Verzweiflung

Der finanz- und haushaltspolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Sebastian Brehm, nannte Lindners Grundsatzpapier «Ausdruck nackter Verzweiflung über eine ausweglose Finanzlage und eine desaströse Lage seiner Partei». Lindner und die FDP seien aber Teil und Mitverursacher der Probleme, die das Land quälten

dpa