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Politische Abschiede: Warum immer mehr Abgeordnete nicht mehr antreten wollen

Einige Politiker ziehen sich aus persönlichen Gründen zurück, andere aufgrund fehlender Unterstützung für ihre politischen Ziele. Das politische Klima und familiäre Verpflichtungen spielen eine Rolle.

Als Staatsminister im Auswärtigen Amt sitzt Tobias Lindner (Grüne) oft in der ersten Reihe. Was er nach seinem Ausscheiden aus der Berufspolitik beruflich machen will, habe er noch nicht entschieden, sagt er. (Archivfoto)
Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Alexander Gauland (83) und Albrecht Glaser (82) von der AfD werden bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten – aus Altersgründen. Dass Renate Künast (Grüne) und Petra Pau (Linke) sich ebenfalls gegen eine erneute Kandidatur entschieden haben, kommt nicht überraschend. Es gibt jedoch auch andere Abgeordnete, die in den letzten Wochen und Monaten angekündigt haben, nicht mehr im Wahlkampf anzutreten, obwohl sie gute Chancen auf einen sicheren Listenplatz und herausgehobene Positionen nach der nächsten Wahl gehabt hätten.

In manchen Fällen hängt dies wohl auch damit zusammen, dass Prominenz und Bürgerkontakt in diesen politisch aufgeheizten Zeiten nicht immer angenehm sind. Einige der Aussteiger sind außerdem frustriert, da sie mit ihren politischen Zielen selbst in der eigenen Fraktion nicht erfolgreich waren. Oft geht es jedoch einfach darum, mehr Zeit mit den eigenen Kindern, dem Ehepartner oder pflegebedürftigen Eltern zu verbringen – insbesondere, wenn der Wahlkreis weit von Berlin entfernt ist.

Die Erfolgreichen: 

Tobias Lindner von den Grünen ist 42 Jahre alt, Vater, und seit 2011 im Bundestag. Dass er nicht mehr antreten will, finden sogar einige Angehörige anderer Fraktionen schade, die seine sachliche, ruhige Art schätzen. Er selbst sagt: «Ich finde, man sollte gehen, wenn es am schönsten ist.» Seine jetzige Aufgabe als Staatsminister im Auswärtigen Amt sei zwar sehr fordernd, mache ihm aber gleichzeitig viel Freude. Er gehe «ohne Frust und Groll» und habe auch noch keinen neuen Job in petto. Politik sei das Spannendste, was er in seinem Leben gemacht habe, «aber es ist nicht mein ganzes Leben». Er kenne einige Parlamentarier, die in seinem Alter seien, Familie hätten und nicht mehr kandidieren wollten, die das so ähnlich sähen. 

Wie Lindner, sind auch der FDP-Mann Mario Brandenburg (41), der derzeit Parlamentarischer Staatssekretär im Bildungsministerium ist, und der 42-jährige Thomas Hitschler (SPD), der Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium ist, aus der Südpfalz. Beide haben Kinder und möchten nicht erneut für den Bundestag kandidieren.

Tatsächlich kommt es häufig vor, dass Politikerinnen und Politiker nach einer Sitzungswoche in Berlin nach Hause kommen und feststellen, dass ihre Parteikollegen im Wahlkreis wenig Verständnis dafür haben, wenn familiäre Verpflichtungen Vorrang haben vor Terminen bei örtlichen Unternehmen oder Treffen mit Ehrenamtlichen.

Drei Frauen aus der CDU: 

In der Union ist auffällig, dass mit Nadine Schön (41), Yvonne Magwas (44) und Katja Leikert (49) gleich drei bekannte Frauen mittleren Alters angekündigt haben, dass es ihnen jetzt – vorerst – genug ist. Schön ist seit 2014 stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion. Magwas wurde 2021 zur Bundestagsvizepräsidentin gewählt. Leikert ist Obfrau der CDU/CSU-Fraktion im Familienausschuss.

Familiäre Gründe: 

Bei ihr sei es «ein klassischer Frauenabgang», sagt Leikert. Auch wenn ihre Kinder nun schon Teenager seien, sei es ihr wichtig, mehr Zeit mit ihnen zu verbringen. Das sei auch kein vorgeschobener Grund, denn «es gibt kein Pöstchen in einem Verband, das auf mich wartet». Leikert, die fehlende Kita-Plätze und Fragen rund um die Organspende zu ihren Herzensthemen zählt, sagt, sie habe kein Problem mit dem aktuellen Kurs ihrer Partei, sondern sei «der Idee der CDU nach wie vor stark verbunden» und wolle sich auch weiterhin politisch engagieren. 

Michelle Müntefering (SPD) gab an, aus familiären Gründen mehr Zeit mit ihrem Ehemann, dem ehemaligen SPD-Bundesvorsitzenden Franz Müntefering (84), verbringen zu wollen.

Frust über die eigene Partei: 

Ganz anders hat Canan Bayram (Grüne) ihren Abschied angekündigt. Die 58-jährige Juristin, die dem linken Flügel der Partei angehört, schrieb in einer öffentlichen Erklärung, sie sei nicht bereit, ein «Feigenblatt für meine Fraktion zu werden, die weniger Menschenrechte als populistische Diskurse in den Fokus ihrer Arbeit nimmt». Allerdings war wohl auch nicht sicher, ob ihr Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg, Prenzlauer Berg Ost sie erneut als Direktkandidatin aufstellen würde. Zu den Themen, für die sich Bayram besonders im Bundestag engagiert hat, zählte jahrelang die inzwischen beschlossene Legalisierung des Cannabiskonsums für Erwachsene.

Katrin Schmidberger, die von den Grünen im Wahlkreis von Bayram zur neuen Direktkandidatin gewählt wurde, ist ebenfalls Mitglied des linken Parteiflügels. In ihrer Bewerbungsrede betonte sie die Solidarität mit Geflüchteten und versprach, sich im Bundestag gegen steigende Mieten einzusetzen.

Auch Gesine Lötzsch (63), die für Die Linke sechsmal in Berlin-Lichtenberg ein Direktmandat geholt hat, nutzte ihre Abschiedserklärung für eine Abrechnung. Sie forderte: «Wir müssen wieder als Friedenspartei erkennbar werden.»

Bundestagsneuling Claudia Raffelhüschen von der FDP hat schon nach einer Wahlperiode genug. Die 55-Jährige begründete ihren Ausstieg unter anderem damit, «dass die Politik der Ampel-Koalition nicht immer mit meinen liberalen Grundüberzeugungen im Einklang steht».

Stress, Beleidigungen und Hetze: 

Die Ankündigung von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert (35) am 7. Oktober, aus gesundheitlichen Gründen sein Parteiamt aufzugeben und nicht mehr zu kandidieren, kam für viele überraschend.

Die CDU-Politikerinnen Magwas gehört zu den Abgeordneten, die sich für ein AfD-Verbot einsetzen. Sie hat ihren Rückzug aus der aktiven Politik im Juli öffentlich gemacht. In einer persönlichen Erklärung schrieb sie: «Zur Wahrheit gehört auch, dass das gesellschaftliche Klima in den letzten Jahren erheblich rauer geworden ist, insbesondere in Sachsen (…) Es wird gelogen, diskreditiert, gehetzt; die Demokratie und ihre Institutionen werden von AfD, Freien Sachsen, III. Weg, NPD und wie sie alle heißen, Tag für Tag und systematisch infrage gestellt mit dem Ziel, sie abzuschaffen.» Als Abgeordnete stehe man dabei besonders im Feuer. «Ich habe viel an Beleidigungen, Bedrohungen, aber leider auch viel Gleichgültigkeit erlebt. Das raubt Kraft», klagte Magwas.

In einigen Landesverbänden der AfD wurden bereits Kandidaten aufgestellt. Christina Baum und Mariana Harder-Kühnel konnten sich dabei nicht durchsetzen. Beatrix von Storch, bekannt als notorische Zwischenruferin, wurde erneut auf den Spitzenplatz der Berliner AfD-Kandidatenliste gewählt. Einige in der Fraktion vermuten, dass sich nur wenige Abgeordnete im mittleren Alter freiwillig aus dem Bundestag verabschieden, weil es in einigen Fällen möglicherweise schwierig sein könnte, mit einer AfD-Biografie in bestimmten Branchen und Regionen in den alten Beruf zurückzukehren.

dpa