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NKR warnt vor Verwaltungskollaps

Die Verwaltung ächzt, da mehr Mitarbeiter in den Ruhestand gehen als neue nachkommen. Fundamentale Änderungen sind nötig für effizientere Prozesse.

Lutz Goebel, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrats (NKR), im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Um langfristig einen Zusammenbruch der öffentlichen Verwaltung zu verhindern, ist es nach Ansicht des Nationalen Normenkontrollrats (NKR) dringend erforderlich, dass die nächste Bundesregierung beim Abbau von Bürokratie schneller vorankommt. «Die Verwaltung ächzt», sagt der NKR-Vorsitzende Lutz Goebel der Deutschen Presse-Agentur. In den Behörden gehen mittlerweile mehr Mitarbeiter in den Ruhestand als neue nachkommen. Daher wird die Verwaltung langfristig nicht in der Lage sein, die viel zu komplexen Gesetze umzusetzen, geschweige denn deren Einhaltung zu kontrollieren.

Prozesse verändern – nicht viele kleine einzelne Maßnahmen 

Die nächste Bundesregierung muss grundlegende Veränderungen angehen, den Vollzug ihrer Reformen bei der Gesetzgebung gleichzeitig berücksichtigen und Prozesse ändern. So kann mehr erreicht werden als mit vielen kleinen Einzelmaßnahmen.

Die Ampel-Koalition hat in diesem Jahr gemeinsam das Bürokratie-Entlastungsgesetz IV verabschiedet, das am 1. Januar 2025 in Kraft tritt. Die Änderungen darin sollen insgesamt zu einer finanziellen Entlastung von 944 Millionen Euro pro Jahr führen. Zum Beispiel wird die Hotelmeldepflicht für deutsche Übernachtungsgäste abgeschafft. Buchungsbelege müssen nur noch acht statt bisher zehn Jahre aufbewahrt werden.

Spätestens vor den nächsten Koalitionsverhandlungen werde der NKR eine Reihe von Empfehlungen für die nächste Regierung geben, kündigt Goebel an. Man müsse endlich weg von dem kräftezehrenden typisch deutschen Wunsch nach «Einzelfallgerechtigkeit» – also einer Gesetzgebung, die alle Situationen und Lebenslagen berücksichtigt. Hier sei ein «Kulturwandel» notwendig, denn «die Verwaltung kann das nicht mehr». Pauschale Regelungen und Stichproben seien besser als Überkomplexität und 100-Prozent-Kontrolle. «Wir müssen uns davon verabschieden, gegenüber dem Bürger und der Wirtschaft so misstrauisch zu sein.»

Goebel unterstützt auch einige der nicht umgesetzten Maßnahmen aus der sogenannten Wachstumsinitiative, auf die sich im Sommer Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und der damalige Finanzminister, Christian Lindner (FDP), geeinigt hatten. Es wurde unter anderem vereinbart, dass die Bundesregierung sich verpflichtet, jährlich ein Bürokratie-Entlastungsgesetz vorzulegen. Dies soll sicherstellen, dass die Belastung durch alle Bundesgesetze im jeweiligen Jahr auch unter Berücksichtigung neu geschaffener Regelungen insgesamt abnimmt.

Registermodernisierung – ein sperriger Begriff

Ein Schlüssel zum Erfolg sei zudem eine erfolgreiche «Registermodernisierung», sagt der NKR-Vorsitzende. Das dafür verantwortliche Bundesinnenministerium müsse endlich dafür sorgen, dass Informationen und Dokumente, die bei den Behörden bereits vorhanden sind, von Unternehmen, Bürgern und anderen Behörden nicht erneut angefordert würden. 

Klar sei aber auch: «Ohne Digitalisierung wird die Verwaltung nie nachkommen.» Mindestens genauso wichtig seien «einfachere Gesetze», bei denen mögliche Schwierigkeiten im Vollzug gleich mitgedacht würden, sagt Goebel, der selbst Unternehmer ist. 

Österreichische Autohalter müssen Fahrzeug nicht selbst anmelden

Österreich und mehrere skandinavische Länder seien da schon viel weiter. Goebel nennt ein Beispiel für einen Prozess, der seiner Ansicht nach pfleglich mit der Zeit und dem Nervenkostüm der Bürger umgeht: «In Österreich macht die Kfz-Anmeldung die Versicherung.» 

Für sein Unternehmen habe er nur ein einziges Mal Fördermittel beantragt, berichtet der NKR-Vorsitzende. Aufgrund der damit verbundenen Nachweispflichten habe er sich anschließend entschieden, dies künftig nicht mehr zu tun, erzählt Goebel. Sein Fazit: «Das ist viel zu aufwendig.»

Normenkontrollrat setzt Arbeit trotz Neuwahl fort

Der NKR ist ein unabhängiges Gremium mit zehn ehrenamtlichen Mitgliedern. Es ist seine Aufgabe, Gesetzentwürfe der Bundesregierung daraufhin zu überprüfen, ob die Kosten korrekt dargestellt werden, ob es praxistauglichere Alternativen gibt und ob die Ministerien eine digitale Umsetzung von Anfang an berücksichtigen.

Die zuvor im Kanzleramt angesiedelte Ampel-Koalition hatte den Normenkontrollrat im damals noch FDP-geführten Bundesjustizministerium untergebracht. Die Amtszeit der Mitglieder des Normenkontrollrats beträgt fünf Jahre. Eine Wiederernennung ist möglich. Die Mitglieder dürfen weder in der öffentlichen Verwaltung arbeiten noch Abgeordnete sein.

Das ifo-Institut schätzte kürzlich die Kosten für entgangene Wirtschaftsleistung in Deutschland aufgrund übermäßiger Bürokratie auf 146 Milliarden Euro pro Jahr. Laut einer Umfrage unter Managern im Mai gaben fast 80 Prozent der teilnehmenden Unternehmen an, dass sie externe Dienstleister beauftragen müssten, um den bürokratischen Anforderungen gerecht zu werden.

dpa