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Parlamentswahl in Syrien: Schritt zum demokratischen Wandel?

In Syrien soll ein neues Parlament bestimmt werden – zum ersten Mal seit Assads Sturz. Die Wunden der Vergangenheit sitzen tief. Kritiker befürchten aber, dass Demokratie nur Fassade bleibt.

Der fast 14-jährige Bürgerkrieg hat Syrien tief gespalten.
Foto: Omar Albam/AP/dpa

Zum ersten Mal seit dem Ende der Assad-Herrschaft wird in Syrien heute das Parlament neu gewählt – ein wichtiger Schritt für die politische Neuordnung des Landes nach Jahren des Bürgerkriegs. Kritiker warnen jedoch vor einem Mangel an Demokratie. Die Befürchtung, dass die Regierenden selbst einen starken Einfluss auf das Ergebnis behalten, ist groß. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur anstehenden Wahl:

Derzeit wird Syrien mit seinen ungefähr 23 Millionen Einwohnern von einer Übergangsregierung unter der Führung von Interimspräsident Ahmad Al-Scharaa regiert. Al-Scharaa war der Anführer der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die die Rebellenallianz leitete, die den Machthaber Baschar al-Assad Anfang Dezember gestürzt und somit die über fünf Jahrzehnte andauernde Herrschaft der Assad-Familie beendet hat.

Wie wird gewählt?

Es handelt sich um keine allgemeine Wahl, bei der alle Bürger abstimmen können. Vielmehr gibt es einen komplizierten Prozess in mehreren Stufen: Das «Oberste Wahlkomitee» der Übergangsregierung hat im Juni regionale Wahlgremien bestimmt, die im Anschluss Wahlleute aus einem Bewerberpool ausgewählt haben. Diese Wahlleute wählen heute schließlich die Parlamentarier aus ihren eigenen Reihen.

Die Auswahl der Wahlleute erfolgte unter Berücksichtigung bestimmter Kriterien. Dazu gehört unter anderem, dass 20 Prozent von ihnen weiblich sein sollen. Ebenso sollen Vertriebene und Personen mit Beeinträchtigungen vertreten sein. Neben Akademikern müssen auch traditionelle Würdenträger wie Stammesführer vertreten sein. Anhänger der Assad-Regierung wurden nicht zugelassen.

Insgesamt nehmen ungefähr 6.500 Wahlleute teil, von denen 1.578 als Kandidaten zugelassen wurden. Laut Behördenangaben sind 14 Prozent der Bewerber um einen Sitz im Parlament Frauen. Es wurden keine Quoten für die Repräsentation von Frauen oder Minderheiten im Parlament festgelegt. Mit Ergebnissen wird am Montag oder Dienstag gerechnet.

Das Verfahren wurde mehrfach kritisiert. Es wurde behauptet, es sei von persönlichen Interessen geleitet und fördere Vetternwirtschaft, so die Bevölkerung.

Was sind Kritikpunkte?

Im neuen Parlament sollen 210 Abgeordnete sitzen. Allein ein Drittel davon soll von Präsident al-Scharaa selbst bestimmt werden. Unter Assad galten Wahlen in Syrien als Farce, die der Regierung einen demokratischen Anstrich geben sollten. Regelmäßig gewannen mehrheitlich Anhänger der herrschenden Baath-Partei und ihre Verbündeten Sitze im Parlament.

Beobachter erkennen jetzt eine ähnliche Bedrohung: Aufgrund des Verfahrens, das von der Übergangsregierung festgelegt wurde, könnte sich auch das neue Parlament größtenteils aus Regierungstreuen zusammensetzen.

Die Übergangsregierung erklärt ihr Vorgehen mit Verweis auf die Millionen Binnenflüchtlinge und Vertriebenen, von denen viele keine gültigen Ausweispapiere besitzen. Außerdem sind große Teile des Landes verwüstet, Treibstoff und Strom knapp, ganze Städte zerstört. Daher sei unter diesen Bedingungen eine landesweite Abstimmung nicht möglich.

Wie repräsentativ ist die Wahl?

Der fast 14-jährige Bürgerkrieg in Syrien hat das Land stark polarisiert. Aufgrund von Sicherheitsbedenken wurde die Wahl in mehreren Provinzen verschoben. In der südlichen Provinz Suwaida sowie in Teilen der nordöstlichen Provinzen Hasaka und Rakka soll sie zu einem späteren Zeitpunkt abgehalten werden. Es bleibt abzuwarten, wie diese Regionen im neuen Parlament vertreten sein werden.

Die Provinzen Hasaka und Rakka sind unter der Kontrolle der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Die drusische Gemeinde befindet sich in Suwaida im Süden Syriens. Die Beziehungen zwischen den Kurden und den Drusen sowie der syrischen Regierung sind angespannt. Im Juli kam es in Suwaida zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen drusischen Milizen und sunnitischen Stammesgruppen, die von der Regierung in Damaskus unterstützt wurden.

«Die bevorstehenden Wahlen lassen keine Anzeichen für einen echten Wandel in Syrien erwarten», sagte der SDF-Sprecher Farhad al-Schami der Deutschen Presse-Agentur. Das Vertrauen der Kurden in die neuen Machthaber sei gering.

Wie blickt die Bevölkerung auf die Wahl?

Die Bevölkerung Syriens betrachtet die Wahl mit gemischten Gefühlen. Nach Jahrzehnten autoritärer Herrschaft hoffen viele auf einen ersten Schritt in Richtung Demokratie.

Andere üben Kritik. Das Wahlsystem basiere nicht auf Kompetenz, sondern auf persönlichen Kalkülen, sagte ein Anwohner in Aleppo. «Wir haben uns von der Einheitsliste der Baath-Partei befreit, nur um nun einer Kleingruppen-Politik zu verfallen», sagte Abdulasis Chalaf. Weitere befürchten, Syriens Politik könnte ähnlich wie zuvor von Rivalitäten untereinander geprägt sein, bei denen qualifizierte Kandidaten ausgeschlossen würden, nur weil sie den falschen Gruppen angehörten. 

Welche Bedeutung hat die Wahl trotzdem?

Experten betrachten die Wahl trotz aller Mängel als einen wichtigen Zwischenschritt nach über einem Jahrzehnt Bürgerkrieg. Der Prozess wird international genau beobachtet, insbesondere hinsichtlich der Repräsentation von Minderheiten. Die Möglichkeit eines langfristigen demokratischen Wandels in Syrien hängt jedoch vor allem von zukünftigen Reformen und eventuellen freien Direktwahlen ab.

dpa