Die SPD ringt um Einigkeit und klare Linien, während interne Spannungen und Machtverluste sichtbar werden.
SPD-Parteitag: Neue Doppelspitze, alte Probleme

Nach diesem Parteitag hat die SPD viel zu bewältigen. Das Desaster bei der Bundestagswahl ist noch lange nicht überwunden: 16,4 Prozent, ein Tiefpunkt in der Geschichte der Partei. Dann der Schock: Die SPD versetzt dem eigenen Vizekanzler einen schweren Schlag, der selbst seine Kritiker überrascht. Dann droht sie auch noch, ihrem beliebtesten Mann, Verteidigungsminister Boris Pistorius, bei der Wehrpflicht in die Quere zu kommen. Wie sollen die Sozialdemokraten also auf gleicher Höhe mit der CDU und Kanzler Friedrich Merz kommen?
Die SPD wählt ihre neue Doppelspitze mit Ergebnissen, die kaum ungleicher sein könnten: Bärbel Bas, die Neue, die Parteilinke mit der traditionellen SPD-Vita, erhält stolze 95 Prozent. Lars Klingbeil, der Vizekanzler, der Machtstratege, erreicht weniger als 65 Prozent – kein SPD-Chef, der ohne Gegenkandidaten antrat, war bisher so schlecht.
Ist Klingbeil dauerhaft beschädigt?
Der Parteichef hat durch seine Personalpolitik nach der Wahl das Vertrauen in den eigenen Reihen verloren. Er umgab sich mit Vertrauten auf wichtigen Posten und ließ die Debatte um die umstrittene Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz lange Zeit laufen. Ebenso wie später die interne Demontage seiner Co-Parteichefin Saskia Esken. Beim Parteitag erhalten jene, die im Machtkarussell von Klingbeil leer ausgegangen sind, immer wieder energischen Applaus: besonders Esken und der ehemalige Arbeitsminister Hubertus Heil.
Klingbeil hätte alle Gründe, das Ergebnis persönlich zu nehmen. Doch er macht direkt nach dem Wahlschock klar, dass er seinen Kurs deswegen nicht ändern wird. Pistorius unterstützt den Landsmann aus Niedersachsen: «In einem Jahr spätestens, wahrscheinlich schon früher, redet darüber gar keiner mehr, weil wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten so sind.» Doch Klingbeil wird hart arbeiten müssen, um wieder positiv wahrgenommen zu werden.
Ist Bärbel Bas jetzt die starke Stimme der SPD?
Die Arbeitsministerin wird von der Partei voll unterstützt und vertritt äußerst sozialdemokratische Themen. Auf dem Parteitag hat niemand die Arbeiter-SPD glaubwürdiger vertreten als die klare sprechende Duisburgerin, die seit der technischen Berufsfachschule auch Schweißen kann.
Kurz vor dem Parteitag legte sie einen milliardenschweren Gesetzentwurf für das SPD-Herzensthema sichere Renten vor. Die Delegierten begeistert die einstige Frauenfußballerin auch mit der Kritik, Frauen seien in der Politik «noch zusätzlich diesem sexistischen Müll ausgesetzt».
All das dürfte Bas helfen, als gleichberechtigte Partnerin des zuvor sehr dominanten Vizekanzlers wahrgenommen zu werden. «Für Alibi-Parität bin ich nicht zu haben», sagt Bas. Das war durchaus auch als Ankündigung ihres Auf-Augenhöhe-Anspruchs neben dem machtbewussten Klingbeil zu verstehen. Ob sie einander das Rampenlicht gönnen werden, wie in der Parteizentrale kolportiert, bleibt abzuwarten.
Was bedeutet das Parteitagsergebnis für die schwarz-rote Koalition?
Merz betrachtet Klingbeil als den wichtigsten Ansprechpartner der SPD – und gleichzeitig als den wichtigsten Konkurrenten mit Blick auf die nächste Bundestagswahl. Klingbeils schwaches Ergebnis könnte das Machtgefüge der beiden verändern und die Autorität erschüttern. Merz kann jetzt immer in Frage stellen, ob der SPD-Chef tatsächlich die volle Unterstützung seiner Partei und Fraktion hat, wenn es um strittige Entscheidungen geht. Wenn die Union ihren Koalitionspartner angreifen will, ist Klingbeil die Schwachstelle.
Der Vizekanzler steht unter Druck, sozialdemokratische Politik in der Koalition durchzusetzen. Er möchte beweisen, dass er das Vertrauen seiner Partei verdient hat. Normalerweise verfolgt der Finanzminister und Vizekanzler einen moderierenden Kurs, aber die Konflikte zwischen Schwarz und Rot könnten jetzt härter werden. Es bleibt abzuwarten, ob Parteitagsstar Bas in ihrem Arbeitsministerium – eine Gesetzesmaschine mit großem Etat – nun reine SPD-Politik durchsetzen will.
Hat die SPD ihre Haltung zu zentralen Themen der Koalition verändert?
In einer Debatte zur Wehrpflicht kam sie dem am nächsten, wo die Meinungen weit auseinandergehen. In stundenlangen Krisengesprächen hinter den Kulissen wurde verhindert, dass es am Rednerpult zu einer offenen Feldschlacht zwischen Minister Pistorius und Juso-Chef Philipp Türmer kommt. Am Ende gibt es einen Kompromiss.
«Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind. Maßnahmen zur Musterung, Erfassung und Wehrüberwachung wehrpflichtiger junger Männer wollen wir ermöglichen», heißt es nun im beschlossenen Text.
Die Bemühungen, einen Wechsel zu einem nachgiebigeren Kurs gegenüber Russland zu erreichen, scheiterten offensichtlich. Jedoch wurden die Stimmen gegenüber der israelischen Regierung und der Kriegsführung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zunehmend kritischer.
«Unsere Solidarität gilt auch den Menschen im Gaza-Gebiet, die nun schon so lange in ihrem eigenen Bereich von einer in die andere Ecke vertrieben werden», sagte der niedersächsische Ex-Ministerpräsident Stephan Weil, der den Ton gleich am ersten Tag setzte. Sie müssten inzwischen schon Angst haben, «nicht mehr lebend nach Hause zurückkehren zu können, wenn sie morgens versuchen, Lebensmittel zu ergattern».
Hat die SPD einen Plan für den Weg aus der Krise?
Auf dem Parteitag wollte die SPD ein Aufbruchsignal senden. Doch in vielen Feldern wirkt sie orientierungslos. Viele Reden strotzten vor sozialdemokratischer Rhetorik. «Veränderung beginnt mit uns», das Motto des Parteitags, ist noch nicht mit Inhalt gefüllt.
Die SPD plant jetzt, sich zwei Jahre Zeit zu nehmen, um ein neues Grundsatzprogramm zu entwickeln. Es scheint, dass die Partei im Zweifel zu ihren Wurzeln zurückkehren will. Es sieht so aus, als ob die SPD traditionelle sozialdemokratische Themen betonen wird: den Kampf um Industriearbeitsplätze und Respekt für Aufstiegsgeschichten. Außerdem soll eine einfachere Sprache verwendet werden und weniger Floskeln. Zumindest hat man sich das vorgenommen.
Was bedeutet das für die anstehenden Landtagswahlen?
Im kommenden Jahr werden fünf Landesparlamente gewählt – auch in Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern, wo die SPD mit Alexander Schweitzer und Manuela Schwesig starke Ministerpräsidenten stellt. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Wahlen von der bundespolitischen Stimmung entschieden werden.
Doch letztlich wird es darauf ankommen, ob die SPD mit einem Ruck aus dem Parteitag hinausfindet oder in alte Muster zurückfällt. Heil, ein Verlierer von Klingbeils Personalpolitik, mahnte seine Partei eindringlich, «Streit in der Sache nicht mit autoaggressiver Selbstzerfleischung der SPD verwechseln». «Keine Kabale», forderte er, «das hatten wir, das hat uns kaputtgemacht».