Der Verteidigungsminister reist in schwieriger Lage nach Kiew. Kann die Ukraine weiter auf ihre Verbündeten bauen?
Pistorius will in Kiew Signal für Unterstützung geben
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist zu Gesprächen in Kiew eingetroffen, um mit der ukrainischen Regierung über die weitere militärische Unterstützung im Abwehrkampf gegen Russland zu beraten. «Mir kommt es darauf an, mit dieser Reise zu zeigen, dass wir die Ukraine weiterhin tatkräftig unterstützen», sagte Pistorius der Deutschen Presse-Agentur in Kiew.
«Es ist ein Signal, dass Deutschland als größtes Nato-Land in Europa an der Seite der Ukraine steht. Nicht alleine, sondern mit der Fünfer-Gruppe und vielen anderen Verbündeten», sagte er. Russische Truppen waren im Februar 2022 in das Nachbarland einmarschiert.
Wenige Tage vor dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump hatte Pistorius am Vorabend in Warschau mit seinen Kollegen aus Polen, Frankreich, Italien und Warschau über die weitere Ukraine-Hilfe beraten. Deutschland will nun gemeinsam mit vier großen europäischen Partnern größere Anstrengungen für eine Stärkung der ukrainischen Rüstungsindustrie unternehmen. «Wenn das Geld da ist, wenn die Rüstungskapazitäten für die Produktion da sind, dann ist die Ukraine selbst am schnellsten damit, die eigenen Truppen zu mit Material und Waffen zu versorgen», sagte Pistorius noch in Polen.
Die Treffen der europäischen Verteidigungsminister im Fünfer-Format wurden nach dem Wahlsieg Trumps ins Leben gerufen. Das Ziel ist eine Stärkung der europäischen Sicherheit und Verteidigungsbereitschaft.
Mit Trump als Präsident ist unklar, wohin die Entwicklung geht
Vor dem geplanten Amtsantritt von Trump am 20. Januar in den USA ist unklar, wie es mit der westlichen Unterstützung für die Ukraine weitergeht. Trump hatte wiederholt ein Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zur schnellen Beendigung des Kriegs in der Ukraine in Aussicht gestellt, ohne dass die europäischen Verbündeten genau über seine Vorschläge informiert sind – zumindest soweit öffentlich bekannt. In der Ukraine besteht die Sorge, dass Trump die US-Hilfe drastisch reduzieren und Kiew somit eine Niederlage bescheren könnte.
Jedoch gibt es auch Unklarheiten über die Details der weiteren Unterstützung aus Deutschland – dem größten Geber in Europa. Der Grund dafür ist, dass die Ampel-Koalition zerbrochen ist, ohne einen Haushalt auf die Beine gestellt zu haben.
In der vergangenen Woche berichtete der «Spiegel» über einen innerhalb der Regierung stattfindenden Disput, der sich um zusätzliche Waffenlieferungen in Höhe von drei Milliarden Euro an die Ukraine dreht. Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) unterstützen dies, während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) keinen Bedarf für eine weitere Erhöhung sieht.
Die Nöte im Kampf der Ukraine werden immer größer
Zu Beginn des Jahres wurde in Kiew berichtet, dass Russland im letzten Jahr fast 3600 Quadratkilometer ukrainisches Gebiet erobert hat – eine Fläche, die fast 1,5-mal so groß ist wie das Saarland. Die größten Gebietsverluste erlitt die Ukraine im November mit 610 Quadratkilometern, als die Russen täglich etwa 20 Quadratkilometer besetzten. Die Verluste im Jahr 2024 sind ein Vielfaches des Vorjahres. Auffällig ist, dass die Gebietsverluste für Kiew nach der eigenen Sommeroffensive und den Eroberungen im westrussischen Gebiet Kursk deutlich zugenommen haben.
Gleichzeitig verbreitet sich Kriegsmüdigkeit und die Anzahl der ukrainischen Fahnenflüchtigen steigt rasch an. Nach Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft wurden im Jahr 2024 über 22.000 Fälle von Desertion gemeldet. Dazu kommen noch mehr als 62.000 Fälle von unerlaubtem Fernbleiben von der Truppe. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies eine fast dreifache Zunahme bei Deserteuren und fast eine Vervierfachung beim unerlaubten Fernbleiben. Insgesamt wurden seit Beginn des Krieges fast 120.000 Fälle von Fahnenflucht registriert. Beobachter vermuten eine hohe Dunkelziffer.
Bei einer Niederlage der Ukraine: «Wer kommt als nächstes»
Auch während des Wahlkampfs in Deutschland wird über eine Änderung des Kurses in Bezug auf die Ukraine-Hilfe diskutiert. Die Tatsache, dass das politische Ringen zwischen den Parteien in Deutschland vor der Neuwahl des Bundestages am 23. Februar nun schneller als geplant verlaufen muss, könnte den Regierungsparteien und der Union einige Debatten ersparen.
Auch Pistorius warnt im Wahlkampf davor, bei der Unterstützung der Ukraine nachzulassen. Er sagte: «Wenn wir das morgen tun, wäre das übermorgen das Ende der Ukraine, eines freien, souveränen, demokratischen Landes. Und wer kommt als nächstes?»