Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Polen vor Richtungswahl bei Präsidentschaftsstichwahl

Spannender Wahlkrimi erwartet zwischen Trzaskowski und Nawrocki um diametral entgegengesetzte Visionen für Polen.

In der Stichwahl um das Präsidentenamt in Polen trifft der Rechtskonservative Karol Nawrocki (links) auf den Liberalen Rafal Trzaskowski. (Archivbild)
Foto: Piotr Nowak/Czarek Sokolowski/PAP/dpa

Heute wählen die Polen in einer Stichwahl einen neuen Präsidenten. Die letzten Umfragen vor der Abstimmung deuten auf einen spannenden Wahlkrimi hin. Der Liberale Rafal Trzaskowski und der Rechtskonservative Karol Nawrocki liegen praktisch gleichauf. Trotzdem sind ihre Visionen für das Land völlig unterschiedlich. Das stark gespaltene Polen steht vor einer Richtungswahl, die den Kurs des EU- und Nato-Mitglieds maßgeblich beeinflussen wird – mit Konsequenzen für Deutschland und Europa.

«Nach vorn oder zurück?», titelte das Magazin Polityka in seiner neuesten Ausgabe – und darin zeigt sich das Dilemma von Deutschlands östlichem Nachbarn. Gewinnt der Warschauer Oberbürgermeister Trzaskowski das Rennen, dann hat der proeuropäische Regierungschef Donald Tusk einen Parteifreund und starken Verbündeten im Präsidentenpalast, der ihn bei seinem Reformkurs unterstützen wird.

Wenn der unabhängige Historiker Nawrocki erfolgreich ist, wird Tusk in Schwierigkeiten sein. Denn Nawrocki wird von der rechtskonservativen PiS unterstützt, der größten Oppositionspartei Polens. Nawrocki könnte Gesetzentwürfe mit seinem Vetorecht blockieren und damit die Regierungsführung von Tusk praktisch unmöglich machen. Dies könnte zu einem instabilen Polen und vorgezogenen Neuwahlen führen – und möglicherweise zur Rückkehr der PiS an die Macht.

Wirtschaftslokomotive Polen

Polen ist seit 2004 Mitglied der EU. In den letzten zwei Jahrzehnten hat das Land mit seinen 37,5 Millionen Einwohnern ein konstantes Wirtschaftswachstum verzeichnet – mit Ausnahme einer kleinen Delle aufgrund der Corona-Pandemie. Seit 2015 hat sich das Durchschnittseinkommen mehr als verdoppelt, derzeit liegt es bei umgerechnet 2113 Euro.

Ein Netz von Autobahnen, das auch mit EU-Mitteln subventioniert wird, erstreckt sich über das Land. Funklöcher sind nicht zu finden, die Züge der polnischen Eisenbahn fahren in der Regel pünktlich. Schmucke Eigenheime mit Doppelgarage und Solaranlage bezeugen vielerorts, dass der Wohlstand auch auf dem Land angekommen ist. Und überall bezahlen die Menschen bargeldlos mit Blik, einem landeseigenen mobilen Bezahlsystem.

Gewachsene militärische Bedeutung durch Ukraine-Krieg

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat Polens Position als Nato-Partner gestärkt. Das Land fungiert als bedeutende logistische Drehscheibe für die Militärhilfe des Westens an Kiew.

Polen fühlt sich auch von Russland bedroht und rüstet massiv auf. In diesem Jahr plant es, 4,7 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Die Streitkräfte Polens umfassen 206.000 Soldatinnen und Soldaten – deutlich mehr als die Bundeswehr.

Liberale Städter, konservative Landbewohner

Die Meinungen darüber, wie sich Polen mit seiner steigenden Bedeutung positionieren sollte, sind innerhalb der Bevölkerung jedoch stark unterschiedlich. Die erste Wahlrunde hat gezeigt: Der liberale Proeuropäer Trzaskowski hat hauptsächlich Wähler in den Städten. Der 53-jährige Bürgermeister von Warschau setzt sich für die Rechte der LGBT-Community ein, spricht fünf Fremdsprachen und ist international gut vernetzt aus seiner Zeit als stellvertretender Außenminister.

Doch auf dem Land wächst die Zahl derer, die das Gefühl haben, dass ihre Interessen bei dem rasanten Wandel der Gesellschaft auf der Strecke bleiben. Viele Anhänger von Karol Nawrocki sagen, sie wollten «Normalität». Sie meinen die Rückkehr zu einem traditionellen, katholisch geprägten Familienbild. Und sie wollen weniger Europa, weniger Migration und mehr Nation.

Ängste vor dem Verlust der Souveränität

Der 42-jährige Nawrocki hat eine schwierige Vergangenheit. In seiner Jugend war er Amateurboxer und Türsteher, wodurch er Verbindungen ins Rotlichtmilieu knüpfte. Zudem war er 2009 an einer Massenschlägerei von Fußball-Hooligans beteiligt. Dies deutet nicht unbedingt auf Normalität hin.

Doch Nawrocki spielt geschickt mit den Ängsten der Menschen. Die EU wolle aus Polen einen «Landkreis mit polnischstämmiger Bevölkerung» machen und dem Land die Souveränität nehmen, warnt er im Wahlkampf. «Wieso sollen wir das Kommando über die polnischen Streitkräfte an Brüssel abgeben, wenn Ursula von der Leyen nicht mal die Bundeswehr im Griff hatte?» Das gefällt dem Publikum – und niemand hinterfragt, ob es denn überhaupt solche Pläne gibt.

Rechtsextreme profitieren von Politikverdrossenheit

Ein weiterer Faktor bei dieser Wahl ist Politikverdrossenheit. Viele Menschen haben einfach genug davon, dass der Kampf zwischen dem 68-jährigen Donald Tusk und dem 75-jährigen Jaroslaw Kaczynski seit mehr als 20 Jahren die Politik ihres Landes bestimmt. Das sei eine Erklärung dafür, dass in der ersten Wahlrunde mehr als 21 Prozent der Wähler für zwei rechtsextreme Kandidaten gestimmt hätten, sagte Agnieszka Lada-Konefal vom Deutschen Polen-Institut. «Das war die Rote Karte für diese beiden Herren. Besonders die jungen Wähler finden sich da nicht mehr wieder.»

Slawomir Mentzen, ein Rechtsextremer, und Grzegoz Braun, der offen antisemitisch handelt, sind in der ersten Wahlrunde ausgeschieden. Viele ihrer Anhänger sind Protestwähler, und es ist schwierig vorherzusagen, wie sie sich in der Stichwahl verhalten werden. Es wird jedoch angenommen, dass die Mehrheit von ihnen Nawrocki wählen wird.

dpa