Baerbock möchte sich aus dem grellen Scheinwerferlicht zurückziehen und mehr Zeit für ihre Familie nehmen.
Annalena Baerbock verzichtet auf Führungsrolle in Grünen-Fraktion

Annalena Baerbock möchte aus persönlichen Gründen keine Führungsrolle in der Grünen-Bundestagsfraktion einnehmen. Das geht aus einem Schreiben an die Fraktion und den Grünen-Landesverband Brandenburg hervor. Darüber berichtet der «Spiegel», der Brief liegt auch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor. Baerbock war als neue Co-Fraktionschefin gehandelt worden. «Nach Jahren auf Highspeed» habe sie ein paar Tage nachdenken wollen, «was dieser Moment für meine Familie und mich bedeutet», so Baerbock.
«Immer alles gegeben»
Seit 2008 habe sie bei den Grünen politische Verantwortung getragen, schreibt die 44-jährige Baerbock. «In all dieser Zeit habe ich immer alles gegeben.» Und weiter: «Zugleich hatten diese intensiven Jahre auch einen privaten Preis. Daher habe ich mich aus persönlichen Gründen entschieden, erst einmal einen Schritt aus dem grellen Scheinwerferlicht zu machen und mich für kein führendes Amt in der Bundestagsfraktion zu bewerben.» Ihren Sitz im Bundestag hat Baerbock bereits angenommen. Beim Parteivorstand steht keine Wahl an. Baerbock betont: «Auch wenn die Rollen sich ändern, ist dies kein Abschied.»
Im November gaben Baerbock und ihr Ehemann Daniel Holefleisch ihre Trennung bekannt. Die beiden möchten weiterhin gemeinsam für ihre beiden Töchter sorgen, die heute 9 und 13 Jahre alt sind. Auch in ihrem gemeinsamen Zuhause in Potsdam wollte die Familie weiterhin wohnen.
Derzeit ist Baerbock Außenministerin in der scheidenden rot-grünen Minderheitsregierung – ein Amt, das sie sehr gerne behalten hätte. Noch am Wahlabend war sie als wahrscheinliche neue Grünen-Fraktionschefin gehandelt worden, neben der amtierenden Katharina Dröge vom linken Flügel. Nun dürften Dröge und ihre Co-Vorsitzende Britta Haßelmann, die gerade erst kommissarisch im Amt bestätigt wurden, die Fraktion gemeinsam weiter führen. Beide stehen Baerbock nahe. «Mit zwei starken Frauen an ihrer Spitze beginnt jetzt ein neues Kapitel für unsere Fraktion», schreibt sie.
Sorge um die Familie
In einer über mehrere Jahre geführten Interview-Serie, die das «Zeit»-Magazin im Januar veröffentlichte, schilderte Baerbock die Belastungen, die das Amt als Außenministerin für ihre Familie mit den beiden Töchtern bedeutete. Im Juli 2023 berichtete sie, ihre Kinder hätten zwischendurch auch Sicherheitsschutz benötigt. Sie habe sich gefragt: «Wie viel kann ich meiner Familie zumuten?»
Im September schilderte Baerbock dem «Zeit»-Magazin einen Vorfall mit einem Stalker, den eine ihrer Töchter miterleben musste. «Und natürlich schwirrt da wieder die Sorge, dass richtig was kaputtgeht oder schon kaputtgegangen ist», sagte sie damals.
Baerbock und Habeck prägten die Grünen
Schon am Tag nach der Bundestagswahl kündigte Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck seinen Rückzug aus der ersten Reihe an. Baerbock, die ihn als Spitzenkandidatin unterstützt hatte, brauchte länger. Mit Habeck als Co-Parteichef hatte Baerbock die Partei zwischen 2018 und 2022 breiter aufgestellt: Die Grünen sollten zu einer Art Volkspartei mit mehreren möglichen Koalitionspartnern werden.
Auch nach ihrem Wechsel in Ministerämter blieben Baerbock und Habeck die dominierenden Köpfe ihrer Partei. «Wir haben heute fast 100.000 Mitglieder mehr als Anfang 2018, dem Zeitpunkt an dem Robert Habeck und ich als Bundesvorsitzende gewählt wurden. Wir regieren weiter erfolgreich in sieben Bundesländern», schreibt sie.
Die erste Kanzlerkandidatin der Grünen
Baerbock führte als erste Kanzlerkandidatin ihrer Partei die Grünen 2021 in den Bundestagswahlkampf. Nach einem misslungenen Wahlkampf erzielte sie ein bescheidenes Ergebnis im Vergleich zu den Umfragen einige Monate zuvor. Ihr Buch wurde aufgrund von Plagiatsvorwürfen schließlich nicht mehr veröffentlicht. Als Außenministerin in der Ampel-Regierung mit SPD und FDP setzte Baerbock auf feministische Außenpolitik, was viele Parteifreunde stolz machte. Bei Parteitagen argumentierte sie für die von vielen Grünen kritisierte EU-Asylreform und setzte sich durch.
Die Grünen diskutieren nach dem enttäuschenden Ergebnis von 11,6 Prozent bei der Bundestagswahl über Konsequenzen. Vertreter des linken Parteiflügels fordern angesichts von Verlusten an die Linkspartei eine liberalere Migrationspolitik und einen stärkeren Fokus auf soziale Themen. Realos betonen hingegen, dass gerade Habeck mit seinem Mitte-Kurs, der auf frühere Wähler von CDU-Kanzlerin Angela Merkel abzielte, der Partei im Wahlkampf einen Mitgliederboom beschert hat. Außerdem haben die Grünen auch Stimmen an die Union verloren.
Zum Abschied ein Ratschlag
In ihrem Schreiben zählt Baerbock Punkte auf, die sie als Erfolg der Grünen in der ungeliebten Ampel-Regierung verbucht, darunter die Sicherung der Energieversorgung und Lockerungen beim Staatsbürgerschaftsrecht. «Und bei all dem sind wir anständig geblieben im Ampelstreit – trotz all der Zumutungen, die das Regieren uns als Partei abverlangt hat. Mein unendlicher Dank gilt Euch allen dafür, dass wir immer in der Sache hart gestritten und dennoch loyal und freundschaftlich miteinander sein konnten.» Das Wahlergebnis und der Tatsache, dass die Grünen nicht mehr regierten, schmerzten. «Noch mehr treiben mich die rechtsextremen Ergebnisse um und der Backlash gegenüber allem Progressiven.»
Den Grünen gibt Baerbock mit, sie würden die aktuellen Herausforderungen meistern, wenn sie auf ihren Erfolgen aufbauten und dazulernen wollten. «Denn in einer sich so rasant verändernden, ruchloseren Welt, werden die Rezepte von gestern die heutigen Herausforderungen nicht lösen. Wir werden den Weg fortsetzen, die Sicherung unserer Freiheit vor Parteitaktik zu stellen. Wir werden uns immer wieder schütteln und uns klar machen, dass in dieser turbulenten Welt unsere Rolle größer ist als wir selbst.»