Die Abkehr vom EU-Kurs des Landes treibt die Menschen in der Südkaukasusrepublik Georgien auf die Straße. Auch der große Nachbar Russland schaut genau hin.
Proeuropäischer Protest in Georgien – Lage spitzt sich zu
Die proeuropäischen Proteste in Georgien gegen die nationalkonservative Regierungspartei Georgischer Traum nehmen in Tiflis an Gewalt zu. Es kommt zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Polizei. Gemäß den georgischen Behörden gab es erneut viele Verletzte und Festnahmen wie in den vergangenen Tagen. Russland vergleicht die Situation mit der proeuropäischen Revolution auf dem Kiewer Maidan vor gut zehn Jahren.
Die Proteste in Tiflis (Tbilissi) und anderen großen Städten des Landes sind gegen die Abkehr der Regierung vom EU-Kurs gerichtet. Ministerpräsident Irakli Kobachidse hatte am vergangenen Donnerstag die EU-Beitrittsverhandlungen bis 2028 ausgesetzt.
Das Innenministerium hat in den letzten Tagen mehr als 200 Festnahmen gemeldet. Es wird mit weiteren Protesten gerechnet.
Georgien hat den EU-Beitritt in der Verfassung verankert. Kritik an der Abkehr wird daher nicht mehr nur auf der Straße geäußert. Laut verschiedenen Berichten haben sich Mitarbeiter des Außen-, Verteidigungs- und Bildungsministeriums sowie einige Richter von der Regierungsentscheidung distanziert. Universitäten haben vorübergehend den Betrieb eingestellt. Die georgischen Botschafter in Bulgarien und den Niederlanden haben angeblich ihren Rücktritt eingereicht.
Ausland schaut auf Südkaukasusrepublik
Auch im Ausland gibt es drastische Reaktionen. Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen haben sich auf nationale Sanktionen gegen die georgische Führung geeinigt, wie die Außenminister wortgleich in Posts auf der Plattform X mitteilten. Die Strafmaßnahmen sollen sich demnach gegen diejenigen richten, die legitime Proteste unterdrücken.
Die USA setzen ihre strategische Partnerschaft mit der Südkaukasusrepublik vorübergehend aus. Die Entscheidung der Regierungspartei Georgischer Traum, den EU-Beitrittsprozess auszusetzen, sei ein «Verrat an der georgischen Verfassung», teilte der Sprecher des US-Außenministeriums mit.
Ursula von der Leyen bedauerte in einer Mitteilung die Entscheidung der Regierung gegen die EU und ihre Werte. Die Europäische Union steht dennoch an der Seite der Georgier und ihrer Entscheidung für eine europäische Zukunft, schrieb sie auch am Wochenende.
Russland zieht Parallele zu Ukraine
Auch Russland blickt auf die Proteste in dem kleinen Nachbarland. «Wir haben ähnliche Ereignisse in einer ganzen Reihe von Ländern gesehen», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Russland wirft dem Westen immer wieder vor, im postsowjetischen Raum sogenannte Farbenrevolutionen anzuzetteln.
«Die direkteste Parallele, die man ziehen kann, sind die Ereignisse auf dem Maidan in der Ukraine», sagte Peskow russischen Agenturen zufolge. Damals hatten in Kiew auf dem Unabhängigkeitsplatz Menschen für einen EU-Kurs des Landes demonstriert und letztlich den russlandfreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch gestürzt.
Fälschungsvorwürfe bei Parlamentswahl
Die Parlamentswahl Ende Oktober wurde von Fälschungsvorwürfen überschattet. Die Wahlkommission erklärte die Regierungspartei Georgischer Traum mit etwa 54 Prozent zum Sieger. Dies führte zu Protesten gegen das offizielle Ergebnis. Die prowestliche Opposition und Präsidentin Salome Surabischwili erkennen das Ergebnis nicht an und fordern eine Neuwahl. Die Opposition weigert sich, ihre Mandate anzunehmen und betritt das Parlament nicht. Aufgrund einer Klage von Surabischwili vor dem Verfassungsgericht gibt es Uneinigkeit über die Rechtmäßigkeit des Parlaments. Der Georgische Traum tagt derzeit ohne die Opposition.