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Putin im Interview: «Kein Interesse» an Invasion in Polen

Bei Fox News gefeuert, vom Kreml in Moskau hofiert: Tucker Carlson bekommt als erster US-Interviewer seit Beginn des Ukraine-Kriegs ein Gespräch mit dem Kremlchef gewährt. Und meidet kritische Fragen.

Das 127 Minuten lange Interview mit Wladimir Putin (r) erschien auf Tucker Carlsons (l) Website und der Plattform X, vormals Twitter.
Foto: Gavriil Grigorov/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Erstmals seit dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin ausführlich von einem US-Interviewer befragen lassen.

Im Gespräch mit dem rechten Talkmaster Tucker Carlson sagte der Kremlchef unter anderem, ein Einmarsch Russlands in die Nato-Staaten Polen und Lettland stehe im Grunde «komplett außer Frage» – mit einer Ausnahme. Auf die Frage, ob er sich ein Szenario vorstellen könne, in dem er russische Truppen nach Polen schicken würde, entgegnete Putin: «Nur in einem Fall: wenn Polen Russland angreift.»

Das Interview, das 127 Minuten dauerte, wurde bereits am Dienstag aufgezeichnet und in der Nacht veröffentlicht. Der Fernsehmann Carlson, der bei seinem früheren Arbeitgeber Fox News für die Verbreitung von Falschmeldungen und Verschwörungstheorien bekannt war, stellte Putins langatmige Ausführungen nicht infrage. Kritiker hatten dies bereits im Vorfeld des Gesprächs als Grund angesehen, warum der Kremlchef dem Amerikaner ein Interview gewährt haben könnte.

Putin spricht von einer «imaginären russischen Bedrohung»

Wie erwartet beherrschte Putin das Gespräch, während Carlson es vermied, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als solchen zu bezeichnen oder von einer Invasion zu sprechen. Putin erklärte wiederum, dass Russland keinerlei Interesse an Polen, Lettland oder anderen Ländern habe und dass Ängste vor einem russischen Angriff daher unbegründet seien.

«Warum sollten wir das tun? Wir haben einfach kein Interesse.» Es widerspreche dem gesunden Menschenverstand, sich auf «eine Art globalen Krieg» einzulassen. Den Nato-Staaten warf Putin vor, die eigene Bevölkerung mit dem Vorgaukeln einer «imaginären russischen Bedrohung» einzuschüchtern.

Mit Blick auf den Ukraine-Krieg sagte Putin gegen Ende des Interviews, man sei zum Dialog bereit – die Zeit für Gespräche sei gekommen, weil der Westen erkennen müsse, dass der Konflikt für ihn militärisch nicht zu gewinnen sei. «Früher oder später wird das in einer Einigung enden», sagte Putin. «Wenn diese Erkenntnis eingesetzt hat, müssen sie (der Westen) darüber nachdenken, was als nächstes zu tun ist.»

Ausschweifungen bis ins 13. Jahrhundert

Das in Moskau aufgezeichnete Interview erschien auf Carlsons Webseite und der Plattform X, vormals Twitter. Darin machte Putin zunächst langatmige Ausführungen über die Geschichte Russlands, holte bis ins 13. Jahrhundert aus und überreichte Carlson eine Mappe mit Dokumenten, «damit Sie nicht denken, dass mir etwas entgeht».

Im Verlauf des Interviews rechtfertigte er den russischen Einmarsch in die Ukraine erneut mit angeblichen historischen Gebietsansprüchen und übte scharfe Kritik an der Nato sowie den USA. Carlson ließ den Kremlchef weitestgehend ausreden und hakte selten ein, baute mitunter aber auch rhetorische Rampen für Putin. An einer Stelle unterbrach er die historischen Ausschweifungen des russischen Präsidenten: «Können Sie uns sagen, in welcher Zeit? Ich verliere den Überblick darüber, wo in der Geschichte wir uns befinden.»

US-Journalist Gershkovich bald frei?

Am Ende sprach er Putin direkt auf den in russischer Untersuchungshaft sitzenden US-Journalisten Evan Gershkovich an und fragte, ob es Chancen auf dessen Freilassung gebe. Putin gab sich gesprächsbereit und deutete die Möglichkeit eines Gefangenenaustauschs an. «Es macht keinen Sinn, ihn in Russland im Gefängnis zu halten», so der Kremlchef.

Es wäre angebracht, dass die USA darüber nachdenken, wie sie zur Lösung beitragen können. Die Aussagen von Putin könnten so interpretiert werden, dass er möglicherweise die Freilassung des im Dezember 2021 verurteilten Tiergarten-Mörders Vadim K. meint, der in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Im Dezember hatte das Weiße Haus mitgeteilt, Moskau habe ein Angebot Washingtons zur Freilassung des für das «Wall Street Journal» arbeitenden Journalisten abgelehnt. Gershkovich war Ende März 2023 auf einer Reportagereise in Jekaterinburg am Ural festgenommen worden. Die russische Staatsanwaltschaft wirft ihm Spionage vor. Der US-Amerikaner mit russischen Wurzeln und die Zeitung weisen die Vorwürfe ebenso zurück wie die US-Regierung.

Verschwörungstheorien, Falschmeldungen und Hetze

Carlson hatte das vorab aufgezeichnete Interview über mehrere Tage hinweg als bedeutendes Medienereignis beworben. Laut der russischen Politologin Tatjana Stanowaja dürfte das Gespräch mit dem 54-jährigen Talkmaster dem international kritisierten Kremlchef als willkommene Plattform vor der Präsidentenwahl am 17. März in Russland gedient haben.

Putin hat Carlson benutzt, um Zugang zum amerikanischen Publikum zu bekommen. Insbesondere die Anhänger von Donald Trump, der wieder ins Weiße Haus einziehen möchte, sind weniger kritisch gegenüber Putin als viele andere Amerikaner.

Der ehemalige Moderator von Fox News, Carlson, erreicht über soziale Netzwerke ein Millionenpublikum. Im vergangenen Jahr wurde er von dem konservativen US-Sender ohne Angabe von Gründen entlassen. Er moderierte dort lange Zeit eine beliebte Abendsendung. In dieser nutzte Carlson Falschbehauptungen, um gegen die Demokratische Partei und Minderheiten zu hetzen. Kurz nach seinem Ausscheiden bei Fox News startete er eine eigene Show auf X.

Kirby warnt vor Putins Worten

Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, wies darauf hin, dass nichts, was in dem Interview gesagt wurde, für bare Münze zu nehmen sei. «Erinnern Sie sich daran, Sie hören Wladimir Putin zu», sagte er am Donnerstag in Washington.

Inzwischen hat Carlson Moskau wieder verlassen. Die Nachrichten-Website «Semafor» berichtete, er habe sich vor seiner Abreise auch mit Edward Snowden getroffen. Der US-Whistleblower, der 2013 das Ausmaß der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken der Vereinigten Staaten öffentlich gemacht hatte, lebt seit rund zehn Jahren im Exil in Russland. Nähere Details zu dem angeblichen Treffen waren zunächst nicht bekannt.

dpa