Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Putin will sich fünfte Amtszeit sichern

Russlands Präsidentenwahl an diesem Wochenende ist weder frei noch fair und soll mitten im Krieg vor allem Putins Macht stärken. Trotzdem lohnt genaueres Hinsehen – und ein Blick in die Zukunft.

Putins Russland ist mittlerweile mehr als nur ein autoritärer Staat, sagt der russische Politikwissenschaftler Andrej Kolesnikow: «Es gibt definitiv Elemente von Totalitarismus oder Neototalitarismus.»
Foto: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa

Nach mehr als zwei Jahren Krieg gegen die Ukraine hält Russland ab diesem Freitag (15. März) drei Tage lang eine Präsidentenwahl ab, deren Sieger jetzt schon feststeht: Kremlchef und Kriegsherr Wladimir Putin wird sich aller Voraussicht nach ein Rekordergebnis bescheinigen lassen und so seine fünfte Amtszeit sichern. Echte Oppositionspolitiker sind von der Wahl ausgeschlossen, ins Ausland geflohen, sitzen im Gefängnis – oder sind tot. Hinzu kommen laut Beobachtern Betrug und Manipulation. Die Abstimmung ist so weit von demokratischen Standards entfernt, dass einige nur noch von «Scheinwahlen» sprechen. Im Folgenden einige Fragen und Antworten:

Wie läuft der Urnengang ab?

Die Wahl in Russland wurde von der zentralen Wahlkommission für drei Tage angesetzt: Vom 15. bis zum 17. März sind insgesamt mehr als 112 Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen – darunter 4,5 Millionen Menschen in den völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Gebieten Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson. Hinzu kommen rund zwei Millionen Wahlberechtigte in anderen Ländern. Russland erstreckt sich über elf Zeitzonen; die Wahl beginnt im äußersten Osten und endet um 19.00 Uhr MEZ im Westen in der Ostsee-Exklave Kaliningrad. Mit Schließung der letzten Wahllokale werden Prognosen veröffentlicht, die aller Voraussicht nach auf einen haushohen Sieg Putins hinweisen. Das Endergebnis will die Wahlkommission spätestens am 28. März verkünden.

Die „Scheinabstimmungen in den besetzten Gebieten sind völkerrechtswidrig und werden international nicht anerkannt. Die Abstimmungen haben bereits begonnen und sorgen für Verstörung, da Bilder zeigen, wie ukrainische Bürger teilweise unter Anwesenheit schwer bewaffneter russischer Soldaten zur Stimmabgabe gedrängt werden. Neben Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson organisiert Moskau auch Abstimmungen auf der bereits 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Selbst auf russischem Staatsgebiet werden demokratische Standards so schwer verletzt, dass nach Beobachtern von freier Wahl keine Rede sein kann.

Was genau macht die Abstimmung so unfair?

Wie bereits bei vorherigen Abstimmungen wird auch diesmal mit groß angelegtem Betrug gerechnet – auch, weil es vor Ort keine Kontrolle durch unabhängige internationale Wahlbeobachter geben wird. Die Online-Stimmabgabe wird als besonders anfällig für Manipulation angesehen, weshalb Kremlkritiker den Russen davon abraten.

Die unabhängige Wahlbeobachtungsorganisation «Golos», die seit Jahren in Russland als «ausländischer Agent» gebrandmarkt ist, hat auch an anderer Stelle Kritik geübt: So werde in den einzelnen Regionen schon im Vorfeld «massenhaft» Druck auf Angestellte großer, teils staatlicher Unternehmen ausgeübt, damit diese ihre Stimme abgeben und so die Wahlbeteiligung in die Höhe treiben, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Bericht. Orientiert man sich an den Daten des staatlichen russischen Meinungsforschungsinstituts Wziom, dann strebt der Kreml eine Beteiligung von mehr als 70 Prozent an. 

Vor allem wird darauf hingewiesen, dass viele echte Oppositionspolitiker entweder ins Ausland geflohen oder in Russland festgenommen und zu teils drakonischen Haftstrafen verurteilt wurden, so unabhängige Beobachter. Besonders schockierend war Mitte Februar auch der Tod des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny, der selbst vor einigen Jahren Präsidentschaftskandidat werden wollte.

Gibt es bei dieser Wahl überhaupt ernstzunehmende Gegenkandidaten neben Putin?

Nein. Die drei Konkurrenten Putins – der Kommunist Nikolai Charitonow, der Liberale Wladislaw Dawankow und Leonid Sluzki von der nationalistischen Partei LDPR – haben keine Chance und unterstützen im Wesentlichen auch den Kreml. Die staatlichen Meinungsforscher sagen jedem von ihnen fünf bis sechs Prozent der Stimmen voraus. Putin hingegen werden 82 Prozent vorhergesagt – so viel wie noch nie seit seinem Amtsantritt als russischer Staatschef vor fast einem Vierteljahrhundert im Jahr 2000.

Die einzigen Bewerber, die wirklich oppositionell waren, Jekaterina Dunzowa und Boris Nadeschdin, wurden von der Wahlkommission überhaupt nicht als Kandidaten zugelassen. Dennoch ermutigten die beiden Kriegsgegner viele kritisch denkende Russen: Die rund 200.000 Menschen, die im Januar teilweise in langen Schlangen standen, um Nadeschdin mit ihrer Unterschrift zu unterstützen, sorgten damals weit über Russland hinaus für Schlagzeilen.

Welche Rolle spielt der Krieg gegen die Ukraine bei dieser Wahl?

Putin wird das hohe Wahlergebnis, das er sich produzieren lässt, sicherlich dazu nutzen, um die angeblich riesige Zustimmung für seinen brutalen Angriffskrieg zu unterstreichen. Zugleich aber wird die zunehmende Kriegsmüdigkeit vieler Russen sichtbar: Da sind nicht nur die Schlangen für Nadeschdin, sondern beispielsweise auch die Proteste von Ehefrauen mobilisierter Männer, die es seit Wochen immer wieder in der Nähe des Roten Platzes gibt.

Genau deshalb habe der Kreml das Thema Krieg im Wahlkampf bewusst ausgeklammert, sagt der Politikwissenschaftler Alexander Kynew im Interview der Deutschen Presse-Agentur in Moskau: «Jedes Gespräch über den Krieg führt zu der Frage: Wann hört er auf? Die Staatsmacht hat darauf keine Antwort. Deshalb geht sie der Diskussion aus dem Weg.»

Ist mit Protesten am Wahltag zu rechnen?

Die Unterstützer des verstorbenen Nawalny und andere Oppositionelle rufen tatsächlich die Russen dazu auf, am Wahltag um genau 12.00 Uhr vor den Wahllokalen zu erscheinen. An den langen Schlangen – so ihre Hoffnung – soll sich dann ablesen lassen, wie hoch die Unzufriedenheit im Land ist. Ob die Aktion erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Es wird befürchtet, dass es zu Festnahmen kommen könnte.

Dass sich Bilder wie von der Nawalny-Beerdigung in nächster Zeit wiederholen könnten, gilt unterdessen als ausgeschlossen. Zu der Beisetzung Anfang März waren Tausende Menschen erschienen und hatten zur Überraschung vieler Beobachter offen kremlkritische Sprechchöre wie «Nein zum Krieg!» und «Russland ohne Putin!» angestimmt. Für gewöhnlich aber werden Kritiker und Andersdenkende seit Kriegsbeginn direkt festgenommen, wenn sie ihren Unmut in irgendeiner Form öffentlich äußern. 

Wie wird es nach der Wahl weitergehen?

Putin, 71 Jahre alt, hat sich sechs weitere Jahre als Führer Russlands gesichert – und könnte theoretisch auch im Jahr 2030 erneut antreten. Um so viele Amtszeiten zu ermöglichen, ließ der Kremlchef vor knapp vier Jahren die Verfassung ändern. Nach der Präsidentenwahl folgt traditionell die Ernennung einer neuen Regierung.

Einige Politologen gehen davon aus, dass die Repressionen gegen Kritiker in Russland nach der Wahl noch zunehmen. Der russische Politikwissenschaftler Andrej Kolesnikow sagte in einem Medien-Briefing, das die Deutsche Sacharow-Gesellschaft organisierte: «Dieses Regime wird sich zweifellos ausschließlich in eine schlechte Richtung entwickeln. Es wird keine Schwachstellen zulassen. Es wird sich nicht liberalisieren. Es wird sich nicht normalisieren. Und genau darin liegt die Gefahr.» Seiner Einschätzung nach ist Putins Russland mittlerweile mehr als nur ein autoritärer Staat: «Es gibt definitiv Elemente von Totalitarismus oder Neototalitarismus.»

Gibt es irgendeine Aussicht auf politischen Wandel?

In naher Zukunft sieht den kaum jemand. Ein bedeutender Teil der russischen Gesellschaft bestehe aus «passiven Konformisten», die den Krieg mittrügen, sagt Kolesnikow. Zwar gebe es trotz aller Repressionen weiter auch verantwortungsvolle Bürger, die sich dagegenstellten. Doch für Wandel brauche es zusätzlich auch einen «Impuls von oben» – wie am Ende der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow.

Eine Oppositionspolitikerin, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will, betont unterdessen, wie wichtig die Bedeutung von Zivilgesellschaft und Vernetzung auch im Stillen und im Kleinen dennoch sei: «Putin wird früher oder später gehen, aber die Gesellschaft wird bleiben.»

dpa