Nach drei Jahren Krieg schlägt der Kreml eine Fremdverwaltung und Neuwahlen in der Ukraine vor. Die ukrainische Führung hat ganz andere Ziele – und bemüht sich in Paris um Unterstützung der Europäer.
Putin will Ukraine unter UN-Verwaltung stellen lassen
Kremlchef Wladimir Putin schlug vor, dass die von Russland angegriffene Ukraine unter Verwaltung der Vereinten Nationen gestellt wird und dort Neuwahlen abgehalten werden sollen. «So eine Praxis gibt es und im Prinzip kann man natürlich die Möglichkeit einer zeitweisen UN-Verwaltung mit den USA, den europäischen Staaten und – versteht sich – auch mit unseren Partnern und Freunden erörtern», sagte Putin bei einem Gespräch mit Matrosen eines nahe Murmansk eingeweihten Atom-U-Boots. Wahlen in Kriegszeiten sind in der Ukraine – wie auch in Deutschland – gesetzlich verboten.
Ziel seines Vorschlags seien demokratische Wahlen, bei denen eine handlungsfähige Regierung an die Macht komme, sagte Putin. «Mit dieser beginnen wir dann Verhandlungen über einen Friedensvertrag, unterzeichnen legitime Dokumente, die weltweit anerkannt werden und sicher und stabil sind.» Allerdings wird in der Ukraine befürchtet, dass Moskau Wahlen im – teils russisch besetzten – Nachbarland manipulieren und eine kremltreue Marionetten-Regierung an die Macht bringen könnte.
Die Forderung nach einer Fremdverwaltung für die Ukraine folgt bekannten Argumentationsmustern des Kremls. Moskau behauptet, dass die Ukraine ein gescheiterter Staat sei, in dem nationalsozialistische Gruppen die Macht ergriffen hätten – und dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seit Ablauf seiner regulären Amtszeit im vergangenen Jahr kein Mandat mehr habe. Ukrainische Juristen verweisen jedoch darauf, dass die Verlängerung der Vollmachten durch das Kriegsrecht gedeckt ist. Im Ausland wird Selenskyj ebenfalls weiterhin als Präsident anerkannt – zumal faire Neuwahlen wegen der Besetzung großer Gebiete durch Russland praktisch unmöglich wären.
Als Minimalkompromiss hatten sich Moskau und Kiew zuletzt unter Vermittlung der USA darauf verständigt, die Energieversorgung des Gegners nicht mehr anzugreifen. Doch Russland hält sich nach Angaben der ukrainischen Führung nicht an die Abmachung. Das russische Militär habe die Stadt Cherson mit Artillerie beschossen und dabei auch ein Energieobjekt beschädigt, sagte Selenskyj bei einer Pressekonferenz in Paris, wo er an einem Treffen europäischer Unterstützer der Ukraine teilnahm. «Ich denke, es sollte eine Reaktion der USA geben.» Statt Worten brauche es nun Taten, forderte er.
Moskau erhob ebenfalls Vorwürfe
Zuvor hatte Russland der Ukraine vorgeworfen, die Abmachung nicht einzuhalten. Laut Kremlsprecher Dmitri Peskow griff das russische Militär keine Energieanlagen mehr an, während die ukrainische Armee dies tat. Obwohl sich Russland über feindliche Attacken beschwerte, waren die technischen Details der Abmachung zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt.
Selenskyj: Seekorridor funktioniert auch ohne Russland
Während der Pressekonferenz in Paris äußerte sich Selenskyj auch zur diskutierten Waffenruhe im Schwarzen Meer. „Davon profitiere vor allem Russlands Marine, weil sie Verluste erleide,“ sagte er. Obwohl die Ukraine nur über begrenzte Seestreitkräfte verfügt, hat sie mit dem Einsatz von Seedrohnen erfolgreich die russische Flotte aus dem westlichen Teil des Schwarzen Meers verdrängt. Russland sieht eine wichtige Exportroute für Agrargüter gefährdet – der ukrainische Seehandel hat laut Regierungsangaben wieder das Vorkriegsniveau erreicht.
«Bei uns funktioniert der Seekorridor zur Lebensmittelsicherheit ohne die Russen – bereits seit langem», sagte Selenskyj. Er beklagte, die russische Seite habe Absprachen geändert und von den Amerikanern die Aufhebung von Sanktionen gefordert. Vor einer anvisierten Waffenruhe im Schwarzen Meer verlangt Moskau eine Sanktionslockerung für erleichterte Agrarexporte.
Selenskyj: Bedingungen für Rohstoffabkommen ändern sich
Laut Selenskyj gibt es noch kein Ergebnis beim Abschluss eines Rohstoffabkommens, das von den USA vorangetrieben wird. Die Bedingungen für das geplante Abkommen ändern sich ständig, daher ist es noch zu früh, darüber zu sprechen. US-Präsident Donald Trump hatte das Abkommen vorangetrieben, weil US-Investoren in der Ukraine dem Land nach einem Ende des russischen Angriffskriegs den besten Schutz vor einer weiteren Attacke bieten würden.
Medienberichten zufolge sollen die USA zuletzt den Erstzugriff auf alle künftigen Infrastrukturprojekte und neu erschlossenen Rohstoffvorkommen in der Ukraine gefordert haben. Laut «Financial Times» geht dieser am Sonntag an Kiew übermittelte Abkommensentwurf über vorherige Fassungen hinaus und enthält keinerlei Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Dem Finanzdienst Bloomberg zufolge würden die USA damit «ihren wirtschaftlichen Einfluss in Europas flächenmäßig größtem Land auf beispiellose Weise ausbauen» und Kontrolle über lukrative Projekte für Straßen- und Eisenbahnverbindungen, Häfen, Minen, Öl- und Gasvorkommen sowie seltene Erden bekommen.
Putin will mehr Soldaten in die Arktis schicken
Putin kündigte an, dass weitere Soldaten in der Arktis stationiert werden sollen, wo gewaltige Öl- und Gasvorkommen unter dem Eis vermutet werden. Er betonte die Notwendigkeit, den Bau und die Renovierung von Garnisonsstädten in der Polarzone voranzutreiben, während er bei einem Arktisforum in Murmansk sprach.
«Uns beunruhigt natürlich nur der Fakt, dass die Nato-Länder insgesamt den hohen Norden immer öfter als Brückenkopf möglicher Konflikte benennen und den Einsatz von Militär unter diesen Bedingungen proben», sagte Putin. Dabei kämen auch Soldaten aus Finnland und Schweden zum Einsatz, «mit denen wir bis vor kurzem noch keine Probleme hatten». Beide Länder sind nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine aus Sorge um ihre Sicherheit der Nato beigetreten.
Putin: Wir bedrohen niemanden
Putin betonte, dass Russland niemanden bedrohe. Dennoch werde man es nicht dulden, wenn andere Länder die Souveränität und die nationalen Interessen Russlands gefährden.
Russland hat bereits große Gebiete der Arktis beansprucht, die es als unterseeische Fortsetzung seiner Küste betrachtet. Putin zufolge wäre Russland auch bereit, die Rohstoffe in Partnerschaft mit westlichen Unternehmen zu erschließen.