Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Rechte Umtriebe: Einige Spremberger sehen sich verunglimpft

Die Bürgermeisterin der Stadt in Südbrandenburg hat mit einem Brandbrief gegen zunehmenden Rechtsextremismus viele aufgerüttelt. Ihre Kritiker sehen Spremberg hingegen zu Unrecht am Pranger.

Der sogenannte Dritte Weg ist an diversen Orten in Brandenburg aktiv.
Foto: Patrick Pleul/dpa

Am Laternenpfahl in der Nähe der Schule prangt ein Aufkleber der rechtsextremen Kleinstpartei «Dritter Weg»: «Deutschland den Deutschen». Unweit davon an einem Verkehrsschild Sticker der «Nationalrevolutionären Jugend». Jeder in Spremberg merke, wie das zugenommen habe, sagt Bürgermeisterin Christine Herntier. In ihrer Sprechstunde säßen Menschen voller Angst und Wut über die rechten Umtriebe in ihrer Stadt, manche in Tränen. Das könne man nicht einfach geschehen lassen, meint Herntier. Und darüber dürfe man nicht länger schweigen.

Mit einem Brandbrief zum Erstarken des Rechtsextremismus hat die parteilose Unternehmerin, die seit 2014 Bürgermeisterin der Kleinstadt mit 22.000 Einwohnern im Südosten Brandenburgs ist, seit Tagen auch bundesweit für Aufsehen gesorgt. Nun hat sie die Stadtverordnetenversammlung zur Diskussion gebeten. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger steht hinter Herntier. Doch vor der Sitzung an diesem Mittwoch erhält sie zunächst Widerworte. In einer Telegram-Gruppe wird zu Protesten aufgerufen.

Rücktrittsforderungen an die Bürgermeisterin

Schon am Vormittag versammelt sich eine kleine Gruppe auf dem Marktplatz, einige fordern den Rücktritt Herntiers. Auf einem Plakat heißt es, die Bürgermeisterin habe dem Ansehen geschadet. «Als Bürger der Stadt Spremberg fühle ich mich mit ihren Auftritten in die rechtsradikale Schiene gedrückt.» 

Eine Teilnehmerin sagt, dass dies kein gutes Licht auf die Stadt wirft. Sie hat keine Angst vor Rechtsextremen, sondern vor zugereisten Männern. An Schulen sind nicht Rechtsextreme das Problem, sondern ausländische Jugendliche. Eine andere Frau meint, die Stadt werde in den Dreck gezogen. Sie hat noch nie von einer rechtsextremen Szene hier gehört.

Vor Beginn der Stadtverordnetenversammlung sagt dann auch der AfD-Stadtverordnete Michael Hanko, die Bürgermeisterin habe imageschädigend gehandelt. «Heute gebe ich ihr nicht die Hand», meint Hanko.

Hilferuf der Bürgermeisterin

Macht die Bürgermeisterin, die zuletzt 2021 mit über 60 Prozent wiedergewählt wurde, wirklich ihre Stadt schlecht? Mit ihrer Perspektive steht sie zumindest nicht allein. Verfassungsschützer in Südbrandenburg weisen immer wieder auf eine rechtsextremistische Szene hin. Bereits vor mehr als zehn Jahren wurden in Spremberg Angriffe rechtsextremer Gewalttäter bekannt.

Lorenz Blumenthaler von der Amadeu Antonio Stiftung, die das Ziel hat, die demokratische Zivilgesellschaft zu stärken und Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus einzudämmen, sieht in der Region sogar «rechtsextreme Landnahme aus dem rechtsextremen Playbook». Gemeint ist das Besetzen von Räumen: Billige Immobilien in der vom Kohleausstieg betroffenen Region werden aufgekauft, öffentliche Plätze zum Beispiel mit Plakaten und Aufklebern als Revier markiert, Jugendliche ohne viele Freizeitoptionen angesprochen. 

«Gespräche mit der Deutschen Jugend»

Der «Dritte Weg» kommuniziert das ganz offen auf seiner Homepage. «Gespräche mit der Deutschen Jugend vor Ort bestärkten in unserem Handeln», schreibt die laut Verfassungsschutz rechtsextremistische Gruppe. Es gebe gesteigertes Interesse bei Jugendlichen.

Blumenthaler sagt, es handele sich um «eine militant streng hierarchisch organisierte Neonaziformation» mit Führerprinzip und NS-Ideologie. Sie biete Jugendlichen Ideologie, Kampfsport, aber auch «kulturell völkische Veranstaltungen» wie etwa Sonnwendfeiern. Etabliert habe sich die Gruppe in einem Umfeld, in dem auch die AfD stark sei. Bei der Bundestagswahl im Februar erreichte die AfD in Spremberg 45,5 Prozent der Zweitstimmen.

Die Stadt ist kein Einzelfall 

Für den Experten ist es offensichtlich, dass Spremberg kein isolierter Fall ist. Dieser Ansicht ist auch der brandenburgische Verfassungsschutz. Nach seinen Erkenntnissen hat die Zahl der Rechtsextremisten in Brandenburg im vergangenen Jahr einen Höchststand erreicht. Es wurden 3.650 Personen erfasst – fast ein Fünftel mehr als im Vorjahr. Vier von zehn Rechtsextremisten gelten als gewaltorientiert.

Blumenthaler sieht die Corona-Pandemie als Beschleuniger der Entwicklung in den vergangenen fünf Jahren: Es sei eine existenzielle Krisenerfahrung, die den selbsterklärten Widerstand gegen «die da oben» scheinbar legitimiert habe. Jugendliche hätten im Lockdown Ohnmacht erlebt und zugleich viel Zeit für Tiktok und Co gehabt, wo die AfD und andere rechte Gruppen stark seien.

Auf der Suche nach einem Rezept

Aber was soll die Entwicklung stoppen? «Das gebe ich ja gerne zu, dass wir bisher nicht das richtige Rezept gefunden haben», sagt Bürgermeisterin Herntier zuletzt im ZDF. «Aber mit Sicherheit ist es falsch, so zu tun, als ob das alles nicht stattfinden würde.» Sie erhofft sich Erkenntnisse und neue Ansatzpunkte von Verfassungsschützern, die sich für Freitag zum Gespräch angekündigt haben.

Einige Schüler warten am Busbahnhof in Spremberg am Mittwoch, dem letzten Schultag vor den großen Ferien. Als die Medienvertreter eintreffen, erkennen sie sofort die Situation und reagieren teils spöttisch, teils provokativ. Einer zeigt auf einen der rechten Aufkleber.

dpa