Der Weg zur Macht kann holprig sein: Der CDU-Politiker Mario Voigt schmiedete in Thüringen trotz Widerständen eine ungewöhnliche Koalition. Nun stellt er sich zur Wahl – mit ungewissem Ausgang.
Risiko AfD? Heikle Ministerpräsidentenwahl in Thüringen
Brombeertörtchen, violettes Licht und «Brombeer-Bier» in Flaschen: Am Tag vor der Ministerpräsidentenwahl feierten CDU, Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und SPD in Thüringen ihren Koalitionsvertrag, nun kommt die erste Bewährungsprobe – Ausgang offen. Ohne eigene Mehrheit und gegen eine starke AfD mit dem Rechtsaußen Björn Höcke geht Deutschlands erste Brombeer-Koalition in die Wahl des Regierungschefs.
Es wäre nach Brandenburg die zweite Regierungsbeteiligung der Wagenknecht-Partei in ihrem Gründungsjahr. Thüringens CDU-Chef Mario Voigt kandidiert zumindest im ersten Wahlgang konkurrenzlos. Doch er braucht mindestens eine Stimme aus der Opposition, will er die in den ersten beiden Wahlgängen erforderliche absolute Mehrheit erreichen.
Wie ist die Ausgangslage?
Die Landtagswahl hat in Thüringen, genauso wie in Sachsen, wo eine Brombeer-Koalition gescheitert ist, zu schwierigen Mehrheitsverhältnissen im Parlament geführt. CDU, BSW und SPD haben sich nach langen, harten Verhandlungen auf einen Koalitionsvertrag geeinigt und verfügen gemeinsam über 44 von 88 Abgeordneten im Landtag. Die AfD ist erstmals die stärkste Fraktion im Landesparlament mit 32 Abgeordneten. Der Thüringer Verfassungsschutz stuft die AfD als gesichert rechtsextremistisch ein. Die Linke, bisherige Regierungspartei, hat mit 12 Abgeordneten die Oppositionsbank erreicht. Um das Patt aufzulösen, benötigt die Brombeer-Koalition Unterstützung aus der Opposition.
Was macht die Wahl so heikel?
Die Brombeer-Koalition Voigt kann nicht aus eigener Kraft im ersten und zweiten Wahlgang zum Ministerpräsidenten wählen, da 45 Stimmen für die absolute Mehrheit benötigt werden. Im dritten Wahlgang könnten die Koalitionsstimmen ausreichen. Gemäß der Thüringer Verfassung wird derjenige gewählt, der die meisten Stimmen erhält. Es besteht jedoch die Befürchtung, dass die AfD-Fraktion von Höcke Voigt einfach unterstützen könnte. Dies würde für Teile der SPD einen Bruch der Koalitionsvereinbarungen darstellen. Die Sozialdemokraten bestehen darauf, dass keine wechselnden Mehrheiten mit der AfD gebildet werden.
Würde Voigt eine Wahl mit AfD-Stimmen annehmen?
Das ist unklar. Der Koalitionspartner BSW hat bereits öffentlich signalisiert, dass er damit kein großes Problem hätte. Die BSW-Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht sagte vor einigen Tagen auf einem Landesparteitag: «Wir können doch nicht der AfD die Entscheidung darüber geben, ob jemand Ministerpräsident wird. Die Macht an Herrn Höcke auszuliefern, das wäre doch völlig verrückt.» Voigt könne die Wahl «selbstverständlich» annehmen, schließlich würde er in einem dritten Wahlgang ohnehin gewählt. Teile der CDU denken ähnlich. Voigt selbst hat bisher noch nicht öffentlich erklärt, ob er die Wahl in einem solchen Fall annehmen würde.
Droht also die gleiche Situation wie im Februar 2020?
Die Anzeichen sind ähnlich, aber es gibt große Unterschiede. Am 5. Februar 2020 stellte die AfD bei der Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen zwar einen eigenen Kandidaten auf, wählte dann aber überraschend den FDP-Politiker Thomas Kemmerich und verhalf ihm ins Amt des Regierungschefs. Thüringen stürzte damals in eine Regierungskrise, in vielen Städten bundesweit gab es Proteste gegen diese Wahl. Kemmerich trat nach öffentlichem Druck drei Tage später zurück.
Diesmal wäre Voigt im dritten Wahlgang ohnehin gewählt, laut Thüringer Verfassung reicht dann die relative Mehrheit. Er würde also auch ohne die AfD ins Amt kommen, die Stimmen seiner Koalition reichen dann aus. Außerdem steckt vielen Abgeordneten das politische Beben von 2020 noch in den Knochen, die Fraktionen dürften für einen solchen Fall besser vorbereitet sein.
Gibt es einen Ausweg?
Spitzenpolitiker der CDU, BSW, SPD und der Linken arbeiten seit Wochen an einer Lösung. Es wird diskutiert, ob Voigt die fehlende Stimme von der Linken erhalten soll, um die absolute Mehrheit zu erreichen. Dadurch würde die AfD im ersten oder zweiten Wahlgang keine Rolle spielen. Die Linke besteht jedoch auf einer schriftlichen Vereinbarung, wie zukünftig Mehrheiten im Thüringer Landtag ohne die AfD gebildet werden sollen. Eine Entscheidung steht noch aus und wird wahrscheinlich kurz vor Beginn der Landtagssitzung getroffen.
Wer ist der mögliche neue Ministerpräsident?
Voigt wurde in Thüringen geboren und wohnt mit seiner Frau und zwei Kindern in Jena. Als erfahrener Landespolitiker sitzt er seit 15 Jahren im Parlament in Erfurt. Seine Koalitionspartner bestätigen, dass er die Verhandlungen konstruktiv und beharrlich geführt hat, wodurch ein Vertrauensverhältnis zwischen den ungleichen Partnern entstanden ist. Voigt hat einen Doktortitel in Politikwissenschaft und trägt den Titel eines Professors.
Er hat das politische Geschäft von Anfang an gelernt: Mit 17 Jahren klopfte er an die Tür der CDU, wurde Landesvorsitzender der Jungen Union und später CDU-Generalsekretär. Er unternahm auch Ausflüge in die Wirtschaft und die Wissenschaft. Kurz nach der Thüringer Regierungskrise 2020 wurde Voigt Fraktions- und Parteichef.
Wie nahe stehen sich die Parteien der Brombeer-Koalition?
Es scheint eine menschliche Verbindung zwischen den Spitzenpolitikern von CDU, BSW und SPD in Thüringen zu geben – das zeigen sie auch gerne bei gemeinsamen Auftritten. Obwohl es inhaltliche Unterschiede zwischen den Parteien gibt, gibt es auf Landesebene viele Gemeinsamkeiten, insbesondere in Bereichen wie Bildung, Digitalisierung und Sicherheit.
Wegen des Themas Krieg und Frieden stand die Koalition zwischenzeitlich auf der Kippe, ein Kompromiss stellte dann aber auch BSW-Gründerin Wagenknecht zufrieden. Das ungewöhnliche Bündnis gilt in Thüringen als Experiment. Erst kürzlich bezeichnete Wagenknecht CDU-Chef Friedrich Merz als «Kriegshasardeur». Merz wiederum lehnt eine Koalition auf Bundesebene mit der Partei von Wagenknecht, der früheren Frontfrau der kommunistischen Plattform der Linken, ab.