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Risiko für Kreml? – Kriegsgegner will Putin herausfordern

Dass Boris Nadeschdin die Präsidentenwahl in Russland gewinnen könnte, gilt als ausgeschlossen. Doch die Bewerbung des Kriegsgegners stößt bei vielen Russen auf unerwartet großen Zuspruch.

Der Oppositionspolitiker Boris Nadeschdin will Putin heruafordern.
Foto: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa

An einem kalten Januartag in Moskau ist es ungemütlich. Die Temperaturen sind um den Gefrierpunkt, es schneit immer wieder und die Gehwege sind matschig. Trotzdem hat sich vor dem Büro von Boris Nadeschdin erneut eine lange Schlange von Menschen gebildet. Nadeschdin ist ein oppositioneller Kriegsgegner, der bei der Präsidentenwahl am 17. März gegen Kremlchef Wladimir Putin antreten will. Um überhaupt als Kandidat zugelassen zu werden, benötigt Nadeschdin jedoch mindestens 105.000 Bürgerunterschriften. Diese Moskauer wollen dazu beitragen.

Junge und alte Menschen sind gekommen, Studenten und Rentner, Männer und Frauen. Die Leute vorn in der Schlange erzählen, sie hätten rund eine Stunde lang angestanden. Auf der anderen Straßenseite hat die Polizei Stellung bezogen. «Er ist der einzige Bewerber, der offen gegen die militärische Spezialoperation auftritt», sagt der 68 Jahre alte Juri über Nadeschdin. «Ein Kandidat mit Anti-Kriegs-Politik ist meiner Meinung nach das, was wir brauchen», sagt auch die 20-jährige Anna, die wenige Schritte hinter Juri steht.

Putin strebt fünfte Amtszeit an

Ursprünglich hat die Präsidentenwahl, die von Betrugs- und Manipulationsvorwürfen überschattet wird, aus Sicht des Kremls vor allem einen Zweck: Sie soll sicherstellen, dass der 71-jährige Putin seine fünfte Amtszeit erhält und gleichzeitig zeigen, wie sehr das Volk angeblich auch nach rund zwei Jahren immer noch den Krieg gegen die Ukraine unterstützt. Jedoch sorgt nun ausgerechnet der Kandidat für Aufsehen, der als einziger diese Invasion entschieden ablehnt – und damit in Russland überraschend große Zustimmung erhält.

Der 60-jährige Nadeschdin, der zu Sowjetzeiten in Taschkent im heutigen Usbekistan geboren wurde, ist in der russischen Politik alles andere als ein Newcomer. Für den liberalen Block «Union der rechten Kräfte» saß er von 1999 bis 2003 in der Staatsduma, später wechselte er die Partei mehrfach. Er hat Kontakte in die Präsidialverwaltung und trat jahrelang in Polit-Talkshows des Staatsfernsehens auf – zum Ärger anderer Oppositioneller. Nadeschdin galt bislang als Pragmatiker, der auch mal mit den Mächtigen kooperierte, wenn ihm das für eigene Ziele nützlich schien.

Kritik am Krieg

Nun aber ist der Liberale auf Konfrontationskurs zum Kreml gegangen. Zwar formuliert er vorsichtig, sobald es um Kriegskritik geht – immerhin hat die in den vergangenen Monaten schon viele andere Oppositionelle ins Straflager gebracht. Nadeschdin spricht also immer wieder von «all dem», wenn er den Krieg meint, und von «dort», wenn es um die Ukraine geht.

Doch seine Botschaft ist klar: «Das Land will, dass all das aufhört. Die Leute wollen, dass die, die dort sind, zurückkehren», sagte er etwa kürzlich bei einem Wahlkampfauftritt, bei dem er sich an der Seite von Frauen zeigte, die ihre mobilisierten Männer von der Front zurückhaben wollen.

Michail Chodorkowski, der sich im Exil befindet, und Alexej Nawalny, ein inhaftierter Gegner Putins, rufen mittlerweile zur Unterstützung von Nadeschdin auf, was ihm Auftrieb gibt. Jekaterina Dunzowa, eine Kremlkritikerin, die selbst Präsidentschaftskandidatin werden wollte, hat sich ebenfalls auf Nadeschdins Seite gestellt, nachdem Russlands Wahlkommission sie bereits Ende Dezember vorzeitig aus dem Rennen genommen hat.

Mehr Unterschriften als nötig

Mit all diesem Rückhalt erreicht Nadeschdin schließlich ein Etappenziel: Am Ende der vergangenen Woche hat sein Team bekannt gegeben, dass landesweit etwa 200.000 Bürgerunterschriften gesammelt wurden – deutlich mehr, als für seine Registrierung als Kandidat erforderlich sind. Trotzdem ist es äußerst fraglich, ob Nadeschdin letztendlich auf dem Wahlzettel stehen wird.

«Ich halte das nicht für sehr realistisch, denn sie wollen die Wahlen vollständig kontrollieren», sagt der Journalist und politische Analyst Andrej Perzew im Interview der Deutschen Presse-Agentur über die Interessen des Kremls. «Nadeschdin aber versammelt die Protestwählerschaft hinter sich.»

Perzew, der im Exil lebt und für das unabhängige russische Portal Meduza sowie für die Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace tätig ist, meint, dass der Kreml möglicherweise anfangs wohlwollend gegenüber der Bewerbung Nadeschdins gestanden habe und ihn für einen willkommenen Pseudo-Rivalen gehalten habe, der eine Wahlmöglichkeit suggeriert, wo in Wirklichkeit gar keine ist. Doch mit seiner offenen Kriegskritik sei Nadeschdin längst unbequem geworden.

Zwar sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow erst kürzlich, als Journalisten ihn auf Nadeschdin ansprachen: «Wir betrachten ihn nicht als Konkurrenten.» Doch Perzew ist überzeugt: Würde man Nadeschdin tatsächlich als Kandidaten zulassen, wäre das angesichts der Kriegsmüdigkeit vieler Russen ein «echtes Risiko» für den Kreml.

Der Experte erklärt, dass der Zeitpunkt, um Nadeschdin zu stoppen, aus Sicht des Machtapparats nun besonders günstig sei: Die Anforderungen für eine Zulassung als Kandidat seien komplex und die Formalitäten bei den Bürgerunterschriften hoch. Es sei für die Wahlkommission, die die Unterschriften bis zum 10. Februar prüfen müsse, daher einfach, Nadeschdin den Kandidatenstatus unter einem Vorwand zu verweigern.

Zeichen des Protests

Auch viele der Anhänger von Nadeschdin sind sich bewusst, dass ein Kriegsgegner wie er in Putins Russland kaum Chancen haben wird, da das Land immer repressiver gegen Andersdenkende vorgeht. Aus diesem Grund haben viele ihre Unterschriftabgabe vor allem als Gelegenheit betrachtet, endlich wieder ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen, während Anti-Kriegs-Proteste schon seit langem mit großer Härte unterdrückt werden.

Eine Frau – Natalja, 34 Jahre alt – bittet explizit darum, auch in diesen Artikel aufgenommen zu werden. Es gebe viele Kriegsunterstützer in Russland, aber die Welt solle sehen, dass es auch Kriegsgegner gebe, sagt sie. Die vielen Menschen in der Warteschlange hätten ihr Mut gemacht. Mit Blick auf Nadeschdin fügt sie hinzu: «Selbst wenn er nicht gewinnt, weiß ich nun, dass ich nicht alleine bin. Dass es viele Leute gibt, die das alles nicht unterstützen (…) und die ein schnellstmögliches Kriegsende wollen.»

dpa