Einmal Kriegsrecht und zurück: Südkorea wird von äußerst turbulenten Entwicklungen in Atem gehalten. Die politische Zukunft des Präsidenten scheint mehr als ungewiss.
Kriegsrecht aufgehoben: Präsident Yoon verliert Machtkampf
Chaosstunden in Südkorea: Der in einem Umfragetief steckende Präsident Yoon Suk Yeol hat das von ihm überraschend verhängte Kriegsrecht binnen Stunden wieder aufgehoben. Zuvor hatten sämtliche 190 anwesenden Abgeordneten in der Nationalversammlung den Präsidenten in einer Abstimmung dazu aufgerufen, den Ausnahmezustand wieder zurückzunehmen. Die größte Oppositionspartei warf Yoon Verfassungsbruch vor und forderte ihn zum sofortigen Rücktritt auf. Anderenfalls werde man ein Amtsenthebungsverfahren einleiten.
Internationale Besorgnis
Die USA als wichtigster Verbündeter und Schutzmacht Südkoreas zeigten sich über die kurzzeitige Verhängung des Kriegsrechts durch Yoon zutiefst besorgt, ebenso wie Deutschland. Auch das benachbarte Japan reagierte überrascht. US-Außenminister Antony Blinken begrüßte die Kehrtwende Yoons und mahnte, politische Differenzen müssten «friedlich und im Einklang mit den Prinzipien des Rechtsstaats» ausgeräumt werden.
In Seoul waren in der Nacht Tausende Demonstranten vor das vom Militär abgesperrte Parlament gezogen, um lautstark gegen Yoons Vorgehen zu protestieren. Kritik kam auch aus seiner eigenen Regierung: «Die Republik Korea ist eine liberale demokratische Nation, und wir stehen an der Seite des Volkes, um die liberale Demokratie zu verteidigen, und werden uns dieser Erklärung des Kriegsrechts entschieden widersetzen», erklärte der Chef der Regierungspartei, Han Dong Hoon.
Präsident beschuldigt die Opposition
Dies war das erste Mal seit dem Übergang Südkoreas zur Demokratie Ende der 1980er Jahre, dass der Präsident des Landes das Kriegsrecht verhängte. Von der Unabhängigkeit von Japan im Jahr 1945 bis in die späten 1980er Jahre wurde Südkorea hauptsächlich von Militärdiktaturen regiert. Im Frühjahr 1980 verhängte der damalige Militärdiktator Chun Doo Hwan das bislang letzte Mal das Kriegsrecht in Südkorea.
Als Konsequenz des Schritts wurden vorübergehend alle politischen Aktivitäten untersagt. Yoons Maßnahme führte auch dazu, dass die Arbeit der Medien und Verlage faktisch eingeschränkt wurde.
Unklar blieb, was den 63-Jährigen zu seinem radikalen Schritt bewog. In einer live im Fernsehen ausgestrahlten Rede argumentierte der konservative Staatschef, das Kriegsrecht ziele auf den «Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung der Freiheit». «Gestern Abend um 23 Uhr habe ich den Ausnahmezustand ausgerufen, in der festen Absicht, die Nation vor den staatsfeindlichen Kräften zu schützen», sagte Yoon. Er beschuldigte die Opposition, mit dem kommunistischen Regime in Nordkorea zu sympathisieren.
Südkorea befindet sich seit dem Ende des Korea-Krieges 1953 formell weiter im Kriegszustand mit dem nördlichen Nachbarn, da der Krieg mit einem Waffenstillstand und nicht mit einem Friedensvertrag endete. Für die politische Rechte, der Yoon angehört, ist es ein gängiger Vorwurf, das linke Lager als kommunistisch und «pro-nordkoreanisch» zu diffamieren.
Yoon kämpft gegen schlechte Umfragewerte
Experten zufolge könnte die kurzzeitige Ausrufung des Kriegsrechts innenpolitisch motiviert sein. Der Präsident leidet seit Monaten unter miserablen Umfragewerten. In den vergangenen Wochenenden gingen vermehrt Demonstranten in der Seouler Innenstadt auf die Straßen, um die Amtsenthebung Yoons zu fordern. Zudem gibt es schon seit längerem Korruptionsvorwürfe gegen seine Ehefrau. Gleichzeitig gab es im Parlament Streit zwischen dem Regierungslager und der Opposition über den Staatshaushalt für das kommende Jahr.
Yoon beschuldigte das von der Opposition dominierte Parlament, die Regierungsgeschäfte durch Anträge zur Amtsenthebung von Ministern und anderen Amtsträgern behindert zu haben. Seit dem Amtsantritt der Regierung im Mai 2022 wurden 22 Amtsenthebungsanträge in der Nationalversammlung gestellt.
Im südkoreanischen Staatssystem hat der Präsident eine dominante Rolle. Der Ministerpräsident steht ihm klar untergeordnet. Die Macht des direkt gewählten Präsidenten ist daher ziemlich umfangreich, jedoch darf er nach einer einzigen, fünfjährigen Amtszeit nicht erneut gewählt werden. Aufgrund des öffentlichen Drucks halten Experten es für unwahrscheinlich, dass Yoon bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 2027 im Amt bleiben wird.
Trotz der Proteste vor dem Parlament in der Nacht auf Mittwoch blieb die Lage bis auf ein paar kleinere Rangeleien friedlich. Die deutsche Botschaft in Seoul sah zunächst «keine unmittelbare Gefahr für die persönliche Sicherheit und das Eigentum ausländischer Staatsangehöriger».