Am Morgen hatten die russischen Besatzer mitgeteilt, dass die Ukraine Soldaten vor Cherson zusammengezogen hat. Zivilisten wurden zur Flucht aufgerufen. Kiew spricht von «Propaganda».
Ukraine startet Gegenangriff – Zivilisten flüchten
Im von Moskau annektierten Gebiet Cherson haben ukrainische Streitkräfte Angaben der russischen Besatzer zufolge mit Gegenangriffen begonnen. Die Ukrainer seien in Richtung der Orte Nowa Kamjanka und Beryslaw in die Offensive gegangen, schrieb der Vizechef der Chersoner Besatzungsverwaltung, Kirill Stremoussow, am Mittwoch auf seinem Telegram-Kanal. Bislang seien aber alle Angriffe abgewehrt worden.
Von ukrainischer Seite gab es zunächst keine Angaben. Kiew erklärte am Vormittag nur, im Gebiet Cherson einen russischen Kampfhubschrauber vom Typ Ka-52 abgeschossen zu haben.
Am Morgen hatte Stremoussow mitgeteilt, die ukrainische Armee habe Zehntausende Soldaten an der Front zusammengezogen. Zivilisten wurden zur Flucht aufgerufen. Auch die Besatzungsverwaltung sollte auf das linke Ufer des Flusses Dnipro evakuiert werden. Zugleich betonte der von Moskau eingesetzte Gebietschef Wladimir Saldo: «Niemand wird Cherson aufgeben, und die Armee weiß, was zu tun ist.»
Der Chef des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak, warf den russischen Besatzern vor, die Menschen in Cherson durch «gefälschte Nachrichten» über ukrainische Angriffe auf die Stadt einschüchtern zu wollen. «Eine ziemlich primitive Taktik, wenn man bedenkt, dass die ukrainischen Streitkräfte nicht auf ukrainische Städte schießen, das tun ausschließlich russische Terroristen», schrieb er in seinem Telegram-Kanal. Auch die Evakuierung sei bloß «Propaganda».
Cherson fiel im März – also kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen das Nachbarland – als einzige ukrainische Gebietshauptstadt in russische Hand. Präsident Wladimir Putin verkündete im Oktober den Anschluss des Gebiets an Russland. International wird die völkerrechtswidrige Annexion nicht anerkannt. Die russischen Soldaten auf dem rechten Dnipro-Ufer gelten als weitgehend abgeschnitten.
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Zehntausende Menschen sollen Cherson verlassen
Der Chef der russischen Besatzungsverwaltung von Cherson, Wladimir Saldo, kündigte die Evakuierung von Zivilisten vom rechten Dnipro-Ufer an. Saldo sprach von «etwa 50.000 bis 60.000» Menschen, die auf das linke Ufer oder nach Russland gebracht werden sollten. Dies werde etwa sechs Tage in Anspruch nehmen. Es stünden schon Boote bereit, sagte Saldo. Der Agentur Tass zufolge wurden die Bewohner des Gebiets bereits per SMS von den Plänen informiert.
Später sagte Saldo im russischen Staatsfernsehen, auch alle Verwaltungsstrukturen würden vorübergehend auf das linke Flussufer evakuiert. Zudem werde Zivilisten die Einreise in den gesamten von Russland besetzten Teil Chersons sieben Tage lang verboten.
Der neue Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine, Sergej Surowikin, hatte die Lage in dem Frontabschnitt am Vorabend als schwierig bezeichnet. Die Ukraine beschieße Wohnhäuser und die Infrastruktur von Cherson. Durch Artillerietreffer seien die Übergänge über den Fluss Dnipro unpassierbar gemacht. Das erschwere die Versorgung. «Wir werden bedacht und rechtzeitig handeln und schließen auch schwierige Entscheidungen nicht aus», sagte Surowikin. Dies wurde als Hinweis auf einen möglichen Rückzug verstanden.