Im Fall einer Eskalation aggressiver Handlungen werden wir entschieden spiegelbildlich handeln. Wir haben mehrfach unterstrichen, dass der vom Westen provozierte Regionalkonflikt in der Ukraine Elemente globalen Charakters angenommen hat.
Putin droht mit weiteren Schlägen gegen die Ukraine und ihre Unterstützer

Russland droht nach dem ersten Angriff einer neuen Mittelstreckenrakete mit weiteren Schlägen gegen die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer. «Wir sehen uns im Recht, unsere Waffen gegen militärische Objekte der Länder einzusetzen, die es zulassen, dass ihre Waffen gegen Objekte bei uns eingesetzt werden», sagte Kremlchef Wladimir Putin in Moskau. «Im Fall einer Eskalation aggressiver Handlungen werden wir entschieden spiegelbildlich handeln.»
Er sprach von einer Reaktion darauf, dass die USA und andere Länder der Ukraine den Einsatz weitreichender Waffen gegen russisches Territorium erlaubt hätten. «Wir haben mehrfach unterstrichen, dass der vom Westen provozierte Regionalkonflikt in der Ukraine Elemente globalen Charakters angenommen hat», sagte Putin. Seinen Angaben nach hatte Russland am Donnerstagmorgen mit einer neu entwickelten Mittelstreckenrakete die ukrainische Großstadt Dnipro beschossen. Dort schlugen sechs Sprengköpfe ein, wobei Putin, es seien keine Atomsprengköpfe gewesen. Dnipro ist Standort des früher sowjetischen und jetzt ukrainischen Raketenbau- und Rüstungskonzerns Juschmasch.
USA erwägen Änderung ihrer Atomstrategie
Nur kurze Zeit nach der russischen Atomstrategie-Änderung erwägt das US-Verteidigungsministerium mögliche Anpassungen an der amerikanischen Atomwaffen-Strategie. Der zuständige Vize-Minister Richard Johnson wies auf die verbesserten nuklearen Fähigkeiten Chinas und Russlands hin. Um eine effektive nukleare Abschreckung zu gewährleisten, könnte eine Anpassung der zuletzt 2022 aktualisierten Atom-Strategie erforderlich sein, sagte er während einer Veranstaltung in Washington.
„Russland hat vor kurzem seine Atom-Doktrin geändert. Laut der neuen Version betrachtet Moskau die Aggression eines Staates, der selbst keine Atomwaffen besitzt, aber von Atommächten unterstützt wird, als gemeinsamen Angriff auf Russland.“
Auch außerhalb von Russland und China sieht das Pentagon Risiken. Johnson sagte, dass mehrere Länder ihre Atomwaffen-Arsenale vergrößern und modernisieren. Gleichzeitig spielen Nuklearwaffen eine größere Rolle in der Sicherheitsstrategie dieser Staaten.
USA sprechen von Einschüchterungsversuch
Der russische Angriff auf Dnipro solle vor allem die Ukraine und ihre Unterstützer einschüchtern und öffentliche Aufmerksamkeit erregen, sagte ein Vertreter der US-Regierung. Moskau besitze vermutlich nur eine Handvoll dieser experimentellen Raketen. Die Ukraine habe schon Angriffe von Raketen mit viel größeren Sprengladungen überstanden. Die USA hätten Kiew und die Verbündeten jüngst über einen möglichen Einsatz der neuen Rakete informiert. Moskau wiederum habe die USA kurz vor dem Abschuss informiert, sagte die Vize-Sprecherin des US-Verteidigungsministeriums, Sabrina Singh. Dazu seien die «Kanäle zur Verringerung nuklearer Risiken» zwischen Washington und Moskau genutzt worden.
In der Nacht auf Freitag, den 1003. Tag des russischen Angriffskriegs, begannen Teile der Ukraine mit russischen Drohnenangriffen, wie Monitoringkanäle berichteten. Die ukrainische Flugabwehr entdeckte mehrere Drohnenschwärme in Charkiw und Sumy im Osten des Landes. Russische Behörden meldeten ihrerseits ukrainische Kampfdrohnen über den Gebieten Brjansk und Tula. Über mögliche Auswirkungen der Drohneneinsätze machten beide Kriegsparteien keine Angaben.
Die Verteidiger in der Ostukraine standen weiterhin unter Druck während der Bodenkämpfe. Laut dem ukrainischen Militärblog DeepState haben russische Truppen das Dorf Dalne in der belagerten Stadt Kurachowe erobert.
Selenskyj verlangt Reaktion der Welt
Wolodymyr Selenskyj, der ukrainische Präsident, forderte von der Weltgemeinschaft eine entschiedene Reaktion auf den russischen Angriff. «Dies ist eine eindeutige und ernsthafte Ausweitung des Ausmaßes und der Brutalität dieses Krieges, eine zynische Verletzung der UN-Charta durch Russland», schrieb Selenskyj in sozialen Netzwerken. Es sei Putin «egal, was China, Brasilien, die europäischen Länder, Amerika und alle anderen Länder der Welt fordern.»
Die Ukraine hat in den vergangenen Tagen dem Vernehmen nach ATACMS-Raketen aus US-Produktion und britische Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow auf Militärziele in Russland abgefeuert. Selenskyj erklärte, dies sei als Abwehr des russischen Angriffskriegs völkerrechtlich gedeckt. «Unser Recht auf Selbstverteidigung ist das gleiche wie das jeder anderen Nation.»
Die Vereinten Nationen sprachen von einer «besorgniserregenden Entwicklung». «All das geht in die falsche Richtung. Was wir sehen wollen, ist, dass alle Parteien dringend Schritte unternehmen, um die Situation zu deeskalieren», sagte UN-Sprecher Stéphane Dujarric in New York.
Rätselraten über neue Mittelstreckenrakete
Es gab weiterhin Spekulationen über die Eigenschaften der neuen russischen Mittelstreckenrakete. Ursprünglich hatte das ukrainische Militär angenommen, es handele sich um eine Interkontinentalrakete. Putin bezeichnete das Projekt als Oreschnik und behauptete, es könne mit Hyperschallgeschwindigkeit fliegen und sei nicht abfangbar. Allerdings deuten Hinweise auf den Einsatz mehrerer Sprengköpfe in Dnipro darauf hin, dass die Rakete auch nuklear bestückt werden könnte. Das Pentagon vermutet, dass die ballistische Mittelstreckenrakete auf dem Modell der russischen Interkontinentalrakete RS-26 basiert.
Laut Putin sei die Entwicklung der Rakete auch eine Reaktion darauf, dass die USA den INF-Vertrag über landgestützte nukleare Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern gekündigt hätten. Die USA planten, solche Raketen in Europa und im Pazifik zu stationieren. Tatsächlich sind die USA 2019 aus dem Vertrag ausgetreten. Grund dafür war der Verdacht, dass Moskau Raketen und Marschflugkörper in den untersagten Reichweiten entwickelt hatte.