Der Kanzler braucht den Oppositionsführer für die Restlaufzeit seiner Minderheitsregierung. Also hat Friedrich Merz durchaus Druckmittel, wenn es um seine Terminvorstellungen für eine Neuwahl geht.
Scholz und Merz beraten über Neuwahl
Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) und die deutsche Wirtschaft drängen auf eine Neuwahl vor März. Nach dem Ende der Ampel-Regierung plant Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einen Termin im März. Scholz benötigt die Unterstützung der CDU/CSU, um Gesetzesvorhaben im Bundestag umzusetzen. Merz führte am Mittag im Kanzleramt ein Gespräch mit Scholz über den Zeitplan. Es wurden zunächst keine Details oder Ergebnisse bekannt gegeben.
Der Kanzler will die Vertrauensfrage im Bundestag am 15. Januar stellen. Merz fordert, die Vertrauensfrage «spätestens Anfang nächster Woche» zu stellen, um dann in der zweiten Januarhälfte zu wählen.
Sollte der Kanzler im Parlament die Vertrauensfrage stellen und keine Mehrheit erhalten, wird er den Bundespräsidenten ersuchen, den Bundestag aufzulösen. Gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes hat der Präsident hierfür höchstens 21 Tage Zeit. Eine Verpflichtung dazu besteht jedoch nicht. Falls er es dennoch tut, muss innerhalb von 60 Tagen gewählt werden.
Vermutlich schwierige Regierungsbildung nach Neuwahl
Im Falle einer Neuwahl ist völlig unklar, wie eine Regierungsbildung aussehen könnte. Die Union könnte zwar die stärkste Kraft werden, aber potenzielle Koalitionspartner sind noch unklar. Vor dem Bruch der Ampel lagen die Unionsparteien in Umfragen mit Werten über 30 Prozent deutlich vorne, während die Ampel-Parteien schwächer abschnitten als bei der Bundestagswahl 2021. Die SPD lag bei etwa 15 Prozent, die Grünen bei rund zehn Prozent und die FDP musste sogar um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. CSU-Chef Markus Söder hat eine Koalition mit den Grünen kategorisch ausgeschlossen.
Merz: «Wir können es uns einfach nicht leisten»
«Wir können es uns einfach nicht leisten, jetzt über mehrere Monate hin eine Regierung ohne Mehrheit in Deutschland zu haben und anschließend über weitere Monate einen Wahlkampf zu führen und dann möglicherweise mehrere Wochen Koalitionsverhandlungen zu führen», sagte Merz. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, es wäre eine «Respektlosigkeit gegenüber den Bürgern», wenn die Regierung weiter im Amt bliebe.
Wirtschaft: Jeder Tag mit der Regierung ist ein verlorener Tag
Auch Wirtschaftsvertreter dringen auf eine schnelle Neuwahl. «Jeder weitere Tag mit dieser Bundesregierung ist ein verlorener Tag», sagte der Präsident des Außenhandelsverbands BGA, Dirk Jandura. Eine schnelle Neuwahl forderten auch der Verband der Automobilindustrie (VDA), der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI).
Hildegard Müller, die Präsidentin des VDA, betonte, dass die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, der Wahlsieg von Donald Trump in den USA, offene Handelsfragen mit China und der Zustand des Standorts Deutschland eine maximal handlungsfähige Bundesregierung erfordern.
Scholz: Tue, was für das Land notwendig ist
Scholz hält an seinem Zeitplan fest. Er werde tun, was für das Land notwendig sei, sagte der SPD-Politiker. «Die Bürgerinnen und Bürger werden bald die Gelegenheit haben, neu zu entscheiden, wie es weitergehen soll.»
Scholz will Merz anbieten, rasch gemeinsam nach Lösungen zur Stärkung der Wirtschaft und der Verteidigung zu suchen. Es gehe um Fragen, «die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv zusammenzuarbeiten: bei der schnellen Stärkung unserer Wirtschaft und unserer Verteidigung».
Verkehrsminister Wissing bleibt in der Regierung – und verlässt die FDP
Bundesverkehrsminister Volker Wissing plant, bis zu einer Neuwahl im Amt zu bleiben und tritt aus der FDP aus. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat ihn gefragt, ob er bereit sei, das Amt unter den neuen Bedingungen fortzuführen, sagte Wissing in Berlin. Er habe dies Scholz zugesagt.
Wissing will der Regierung als Parteiloser angehören. «Ich möchte keine Belastung für meine Partei sein.» Daher habe er Parteichef Christian Lindner seinen Austritt aus der FDP mitgeteilt. Dies sei eine persönliche Entscheidung. «Ich möchte mir selbst treu bleiben.»
Anders als Wissing möchten Daniela Kluckert, Oliver Luksic und Gero Hocker, seine drei Staatssekretäre, nicht in der Bundesregierung bleiben. Wie Kluckert auf der Plattform X mitteilte, baten die drei FDP-Politiker den Minister, ihre Entlassung beim Bundespräsidenten zu veranlassen.
Scholz geht Lindner weiter hart an: «Dann zündet man das Land an»
Am Tag nach dem Ampel-Bruch wirft der Kanzler dem FDP-Chef indirekt gesellschaftliche Brandstiftung vor. Mit Blick auf die Finanzierung der Ukraine-Hilfe aus dem laufenden Haushalt sagte Scholz: «Wenn man jetzt zu der Überzeugung kommt, das müssen wir einfach mal so nebenbei ausschwitzen, dann zündet man das Land an.»
Dies würde beispielsweise bedeuten, dass Straßen nicht erweitert und Schulen nicht verbessert werden könnten. Auch könnten dann keine Maßnahmen für Wirtschaft und Arbeitsplätze ergriffen werden.
Lindner wird um 14:00 Uhr von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Entlassungsurkunde erhalten. Scholz, der Lindner mehrfachen Vertrauensbruch und Kleinkariertheit vorgeworfen hat, wird wahrscheinlich anwesend sein – jedenfalls ist das so üblich.
Lindner: schnell neu wählen
Lindner forderte von Scholz, umgehend politische Klarheit zu schaffen. «Unser Land braucht eine Regierung, die nicht nur amtiert, sondern die agieren kann. Das Richtige für unser Land wäre die sofortige Vertrauensfrage und Neuwahlen», sagte er in der Parteizentrale in Berlin. «Niemand darf in der Demokratie Angst vor den Wählerinnen und Wählern haben.»
Scholz-Berater Kukies folgt auf Lindner
Der bisherige Wirtschaftsberater von Scholz, Jörg Kukies, wird Nachfolger Lindners. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen. Zuvor hatten ARD und «Bild» darüber berichtet. Der Sozialdemokrat ist derzeit Staatssekretär im Kanzleramt. Er ist der Mann für Wirtschaft und Finanzen und verhandelt für ihn die Abschlussdokumente der G7- und G20-Gipfel.
Es wird erwartet, dass die Ministerposten von Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (beide FDP) laut dpa-Informationen voraussichtlich von bereits im Kabinett vertretenen Ministern übernommen werden. Es wird angenommen, dass die Grünen das Forschungsministerium übernehmen werden.
Rückkehr von Rot-Grün nach 19 Jahren
Nach dem Bruch des Kanzlers mit der FDP gibt es erstmals seit 2005 wieder eine rot-grüne Regierung. Der Bruch der ersten Koalition von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene erfolgte nach einem erbitterten Richtungsstreit über den Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Scholz hatte in den Verhandlungen ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse gefordert.
Aufgrund der schwierigen Situation schlug Lindner im Koalitionsausschuss vor, gemeinsam eine Neuwahl des Bundestags zu initiieren. Während einer Sitzungspause wurde der Vorschlag öffentlich bekannt, mehrere Medien berichteten darüber, woraufhin Scholz den Bundespräsidenten um die Entlassung seines Finanzministers bat.