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Scholz geht mit riesigem Finanzpaket nach Brüssel

Es ist ein großer Wurf in einer frühen Phase der Sondierungen zwischen Union und SPD: Die wichtigsten Finanzfragen sind abgeräumt. Das hilft auch dem Kanzler bei seiner Reise nach Brüssel.

Union und SPD sind sich einig bei Finanzfragen.
Foto: Kay Nietfeld/dpa

Nachdem ein historisches Finanzpaket vereinbart wurde, planen die Verhandlungsführer von Union und SPD heute ein Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Austausch ist im Hinblick auf den EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel geplant. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat einen Plan vorgelegt, um die Verteidigungsausgaben in Europa massiv zu erhöhen – es geht um fast 800 Milliarden Euro. Scholz reist nun mit dem Versprechen an, dass Deutschland seinen Teil beitragen kann.

Union und SPD haben zugestimmt, die Schuldenbremse im Grundgesetz zu reformieren, um mehr Verteidigungsausgaben zu ermöglichen. Zukünftig sollen Kredite für alle Verteidigungsausgaben über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts von der Regel ausgenommen werden – das entspricht etwa 43 Milliarden Euro für das Jahr 2024.

Deutliches Zugehen auf SPD und Grüne

Die Entscheidung kommt überraschend, denn der wahrscheinlich künftige Kanzler Friedrich Merz (CDU) hatte noch vor einer Woche gesagt: «Es ist in der naheliegenden Zukunft ausgeschlossen, dass wir die Schuldenbremse reformieren.» Dass es nun doch so kommt, kann als deutliches Zugehen auf den möglichen Koalitionspartner SPD und die Grünen verstanden werden. Denn beide hatten klargemacht, dass sie die Alternativlösung – ein höheres Bundeswehr-Sondervermögen – ablehnen. 

Die Reform muss noch mit dem alten Bundestag verabschiedet werden, um sicherzustellen, dass sie in der zukünftigen Zusammensetzung des Parlaments nach den Neuwahlen nicht von der AfD und den Linken blockiert werden kann. Union und SPD sind voraussichtlich bei der Abstimmung auf die Stimmen der Grünen angewiesen. Denn allein haben sie keine Mehrheit für die Änderung des Grundgesetzes – und die FDP lehnt eine Änderung der Schuldenbremse ab. Fraktionschef Christian Dürr bezeichnete den Plan der Sondierer noch am Abend als verantwortungslos.

Scholz kann in Brüssel etwas vorweisen

Kanzler Scholz wird durch den Sondierungsbeschluss entlastet, da er am Donnerstag nicht mit leeren Händen nach Brüssel reisen muss. Deutschland wird nach den USA als zweitgrößter militärischer Unterstützer in den Fokus gerückt, nachdem die US-Waffenlieferungen in die Ukraine ausgesetzt wurden. Im Gegensatz dazu spielte die Bundesregierung zuletzt keine führende Rolle mehr bei den diplomatischen Bemühungen um eine Friedenslösung in der Ukraine in Europa. Die Initiative für einen Friedensplan als Reaktion auf den Eklat zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kam von Großbritannien und Frankreich.

In Anbetracht dieser Situation ist es für Deutschland wichtig, in der aktuellen Übergangsphase zwischen zwei Regierungen handlungsfähig zu sein. Neben Scholz und Merz nehmen auch die SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken sowie der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt an dem Treffen im Kanzleramt teil.

Vorbereitung auf Eskalation in den USA

Laut Sondierungsteilnehmern soll die Ein-Prozent-Regelung bei den Verteidigungsausgaben auch dazu dienen, sich auf mögliche Entscheidungen von US-Präsident Trump vorzubereiten. Die Verteidigungsausgaben können somit in Zukunft beliebig erhöht werden, da sie über einem Prozent des BIP liegen und außerhalb der Schuldenbremse liegen würden. Darüber hinaus wäre die Bereitschaft einer zukünftigen Bundesregierung, in Verteidigungsausgaben zu investieren, für Russland nicht vorhersehbar – im Gegensatz zu einem Sondervermögen, bei dem es immer eine obere Grenze gibt.

Sondervermögen für Infrastruktur

Es wird auch ein Sondervermögen mit kreditfinanzierten 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur geschaffen, also zur Sanierung von Straßen, Schienen, Brücken, Energienetzen und mehr, parallel zur Änderung der Schuldenbremse. Dies war ebenfalls eine Forderung der SPD.

Die FDP wirft der Union nun vor, zentrale Wahlkampfversprechen zu brechen. Hier entstehe eine Koalition, «die ihre Gemeinsamkeiten auf unendlichen Schulden aufbaut», sagte Fraktionschef Dürr. 

Die Grünen planen, sich das Paket zunächst in Ruhe anzusehen, wie Fraktionschefin Britta Haßelmann angekündigt hat. Eine Mehrheit im Bundestag ist daher noch keineswegs sicher.

«Wirtschaftsweise» übt Kritik

Die «Wirtschaftsweise» Veronika Grimm befürchtet, dass die nächste Bundesregierung nun deutlich weniger Reformdruck verspüren wird, weil mehr Geld zur Verfügung steht. Es sei eine «extrem riskante Wette», den Reformbedarf durch Verschuldung immer weiter hinauszuschieben, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

Andere Wirtschaftswissenschaftler hingegen lobten die Vorschläge von Union und SPD. «Das Paket ist ein echter Game changer», schrieb der Ökonom Jens Südekum auf X. Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, schrieb auf X, die Pläne seien ein «extrem wichtiger Schritt für die Sicherheit in Deutschland und Europa».

Auch bei Gewerkschaften und Kommunen stoßen die Vorhaben auf Zustimmung. Nach Ansicht der Ersten Vorsitzenden der Gewerkschaft IG Metall, Christiane Benner, hat die Politik offenbar erkannt, dass jetzt schnell und entschlossen gehandelt werden muss. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, André Berghegger, erklärte gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, dass eine Investitionsoffensive dringend erforderlich sei. Der Investitionsrückstand in den Kommunen beläuft sich allein auf rund 186 Milliarden Euro.

Verhandler bewerten Sondierungserfolg als gute Grundlage

Die schnelle Einigung wurde von Union und SPD als positives Zeichen für weitere Verhandlungen bewertet. CSU-Landesgruppenchef Dobrindt erklärte im ZDF-«heute journal», dass die bisherigen Sondierungen gezeigt haben, dass Union und SPD vertrauensvoll zusammenarbeiten können. Die Union hofft darauf, dass möglicherweise nächste Woche Koalitionsverhandlungen beginnen und bald darauf eine Koalition gebildet werden kann.

Verteidigungsminister Boris Pistorius, der zum SPD-Sondierungsteam gehört, sagte in den ARD-«Tagesthemen», man sei zwar noch nicht in Koalitionsverhandlungen. «Aber es zeigt, was geht, wenn beide Seiten (…) den Ernst der Lage erkennen und sich sehr verantwortungsbewusst verhalten.»

dpa