Bundeswehr steuert umfangreiche Marinekapazitäten bei, um Sabotageakte an kritischer Infrastruktur zu verhindern und aufzuklären.
Deutschland verstärkt Nato-Einsatz in der Ostsee
Deutschland wird umfangreiche Kapazitäten der Bundeswehr zu einem neuen Nato-Einsatz zur besseren Überwachung von Kabeln und Pipelines in der Ostsee beisteuern. Das gab Bundeskanzler Olaf Scholz nach einem Ostsee-Gipfeltreffen in der finnischen Hauptstadt Helsinki bekannt. «Wir werden uns mit all dem, was wir an Möglichkeiten der Marine haben, beteiligen. Das wird wechseln, was die konkreten Einsatzmöglichkeiten betrifft», sagte er.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte hatte kurz zuvor auf einer Pressekonferenz bekanntgegeben, dass das westliche Verteidigungsbündnis die Operation «Baltic Sentry» (deutsch: Ostsee-Wachposten) startet. Bereits in den vergangenen beiden Jahren hätten Nato-Verbündete ihre Patrouillen in der Nähe kritischer Infrastruktur gesteigert. Der Einsatz werde nun mehr Schiffe, Patrouillenflüge, U-Boote, Satelliten und auch Überwachungsdrohnen umfassen.
Wie Scholz wollte auch Rutte keine exakten Zahlen nennen. Sie könnten sich von Woche zu Woche unterscheiden, außerdem wolle man «den Feind» nicht klüger machen, als er sei, begründete er. «Was zählt, ist, dass wir die richtigen militärischen Mittel zur richtigen Zeit am richtigen Ort einsetzen, um vor künftigen destabilisierenden Taten abzuschrecken», sagte der Niederländer.
Reaktion auf vermutete Sabotage
Mit «Baltic Sentry» reagieren die an die Ostsee grenzenden Nato-Länder auf eine Reihe von mutmaßlichen Sabotageakten, bei denen zuletzt mehrmals am Meeresgrund verlegte Datenkabel und Stromleitungen beschädigt wurden. Die Schäden sollen dabei jeweils vorsätzlich von Schiffsankern verursacht worden sein. Beim jüngsten dieser Vorfälle an Weihnachten steht der Öltanker «Eagle S» unter Verdacht, die Stromleitung Estlink 2 zwischen Finnland und Estland sowie vier Kommunikationskabel gekappt zu haben.
Die finnische Kriminalpolizei hat das Schiff beschlagnahmt. Die Ermittler vermuten, dass es absichtlich Schäden verursacht hat, indem es seinen Anker über eine Strecke von etwa 100 Kilometern über den Meeresboden gezogen hat. Mehreren Besatzungsmitgliedern wurden Reiseverbote auferlegt. Die Untersuchungen sind im Gange.
Die unter der Flagge der Cookinseln fahrende «Eagle S» gehört nach Einschätzung der EU zur sogenannten russischen Schattenflotte. Damit sind Tanker und andere Frachtschiffe mit undurchsichtigen Eigentümerstrukturen gemeint, die Russland benutzt, um Sanktionen infolge seines Einmarsches in die Ukraine etwa beim Öltransport zu umgehen.
Die EU hat Sanktionen gegen 79 dieser Schiffe verhängt. Es wird jedoch angenommen, dass die tatsächliche Anzahl der Flotte viel größer ist – Litauens Präsident Gitanas Nauseda sprach auf dem Gipfel von 600 bis zu 1.000 Schiffen, die nach Schätzungen auf den Meeren unterwegs waren.
Signal an beteiligte Reedereien – Schutz vor hybriden Angriffen
Der Bündniseinsatz wird von einem speziellen Stab im Marinekommando der Bundeswehr in Rostock koordiniert und soll Saboteure abschrecken oder es zumindest ermöglichen, Sabotageaktionen schnell aufzuklären. Er soll auch ein abschreckendes Signal an Reedereien senden, die für Russland unter Verstoß gegen westliche Sanktionen Öl transportieren.
Neben Russland wird insbesondere China, Nordkorea und dem Iran vorgeworfen, Staaten in Europa mit sogenannten hybriden Angriffen schwächen zu wollen. Aktionen, die staatliche oder nicht-staatliche Akteure nutzen, um andere Länder zu schädigen, ohne dabei einen offenen Krieg zu führen, werden unter diesem Begriff zusammengefasst. Diese lassen sich in der Regel nur schwer oder gar nicht einem bestimmten Urheber zuordnen.
Die kritische Infrastruktur in der Ostsee soll nun besser vor solchem Vorgehen geschützt werden. Neben Deutschland stellen dabei unter anderem die neuen Nato-Mitglieder Finnland und Schweden Schiffe für «Baltic Sentry» bereit. Zudem sollen eine Drohnenflotte und Künstliche-Intelligenz-Systeme zur Überwachung eingesetzt werden.
Am Marinestab in Rostock nehmen auch Soldaten aus Ländern wie Dänemark, Lettland, Litauen, den Niederlanden, Norwegen und Polen teil. In Friedenszeiten kann der Bundeswehrstab bis zu 180 Dienstposten umfassen, im Krisen- und Konfliktfall können es bis zu 240 Posten sein. An dem Einsatz ist auch das neue Maritime Zentrum für die Sicherheit kritischer Unterwasser-Infrastruktur beteiligt, das an das Marinehauptquartier der Nato in Northwood bei London angedockt ist.
Gefahren für Infrastruktur und für die Umwelt
Die Gipfelteilnehmer in Helsinki ließen keinen Zweifel daran, wie ernst sie die russische Schattenflotte nehmen. «Russlands Gebrauch der sogenannten Schattenflotte stellt eine besondere Bedrohung für die maritime und ökologische Sicherheit im Ostsee-Raum und global dar», machten die Nato-Verbündeten Deutschland, Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen und Schweden in einer gemeinsamen Erklärung fest. Diese Praxis trage auch in erheblichem Maße zur Finanzierung des illegalen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine bei.
Die ökologischen Gefahren durch den Einsatz veralteter und maroder Schiffe treiben auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace um. Sie verweist in dem Zusammenhang auch auf den manövrierunfähigen Tanker «Eventin», der mit fast 100.000 Tonnen Öl an Bord am Freitag in der Ostsee nördlich von Rügen havarierte und nach Angaben der Organisation ebenfalls zur Schattenflotte zählt.
Auch Estlands Regierungschef Kristen Michal – neben dem finnischen Staatspräsidenten Alexander Stubb einer der beiden Gastgeber des Ostsee-Gipfels – warnte, die Schiffe der Schattenflotte stellten eine «tickende Umweltbombe» in den Meeren dar. «Wir sollten jede Möglichkeit nutzen, die uns das Gesetz erlaubt, um gegen sie vorzugehen», sagte er.