Es ist die erste Bundestagsabstimmung in seinen gut drei Jahren als Kanzler, die Olaf Scholz verlieren will. In seiner Rede zur Vertrauensfrage läutet er den Wahlkampf mit einer harten Attacke ein.
Scholz stellt Vertrauensfrage mit Wahlkampfrede im Bundestag
Bundeskanzler Olaf Scholz hat seine Rede zur Vertrauensfrage im Bundestag zu heftiger Kritik am früheren Koalitionspartner FDP genutzt. Ihre «wochenlange Sabotage» habe nicht nur der Regierung, sondern auch der Demokratie insgesamt geschadet, sagte er. Und an die Adresse von FDP-Chef Christian Lindner: «In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife.» Unions-Fraktionschef Friedrich Merz nannte die Attacke in seiner Erwiderung «nicht nur respektlos», sondern sie sei auch eine «blanke Unverschämheit».
Scholz bekräftigte im Bundestag, dass er die Vertrauensfrage mit dem Ziel einer um sieben Monate vorgezogenen Wahl des Parlaments stellt. «Bei dieser Wahl können dann die Bürgerinnen und Bürger den politischen Kurs unseres Landes vorgeben, darum geht es», sagte er vor den Abgeordneten. «Die Vertrauensfrage richte ich deshalb heute an die Wählerinnen und Wähler.»
Den größten Teil seiner knapp halbstündigen Rede nutzte Scholz dann dafür darzulegen, mit welchem Programm er in den Wahlkampf ziehen will. Stabile Renten, Erhöhung des Mindestlohns, Senkung der Mehrwertsteuer, Nein zur Lieferung der Marschflugkörper Taurus in die Ukraine sind nur einige Punkte. Die Wählerinnen und Wähler bat er «um ihr Vertrauen und ihre Unterstützung».
Vertrauensfrage einziger Neuwahl-Hebel des Kanzlers
Scholz wurde von seiner Frau Britta Ernst in den Bundestag begleitet. Die Vertrauensfrage ist für ihn die einzige Möglichkeit, selbst eine vorgezogene Bundestagswahl herbeizuführen. Er hatte diesen Schritt bereits am 6. November unmittelbar nach dem Rausschmiss von FDP-Finanzminister Lindner und dem Aus seiner Ampel-Koalition angekündigt. Seitdem führt er eine von SPD und Grünen getragene Regierung, die im Bundestag keine Mehrheit mehr hat. Ohne Unterstützung aus der Opposition kann sie nichts mehr durchsetzen.
Mehrheit bei 367 Stimmen – SPD hat 207
Es ist unwahrscheinlich, dass Scholz bei der Abstimmung gegen seinen Willen die erforderlichen 367 Stimmen erhält, um das Vertrauen des Bundestags zu behalten. Die SPD-Fraktion mit 207 Abgeordneten beabsichtigt jedoch, ihrem Kanzler das Vertrauen auszusprechen. Die Grünen-Fraktionsspitze hat ihren 117 Parlamentariern jedoch eine Enthaltung empfohlen, um sicherzustellen, dass Scholz nicht versehentlich durch Stimmen der AfD eine Mehrheit erhält.
Wenn die Grünen für Scholz stimmen würden, hätten sie zusammen bereits 324 Stimmen, also nur 43 weniger als die Kanzlermehrheit. Somit hätte die AfD mit ihren 76 Abgeordneten rein rechnerisch Scholz zur Mehrheit verhelfen können.
Drei AfD-Abgeordnete wollen für Scholz stimmen
Nach Angaben von AfD-Chefin Alice Weidel wollen aber nur drei Abgeordnete für Scholz stimmen. Diese sorgten sich «um einen Kriegskanzler Friedrich Merz», der damit zündele, Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern, sagte Weidel. Namen nannte sie nicht. Nach dpa-Informationen handelt es sich um die Abgeordneten Jürgen Pohl, Christina Baum und Edgar Naujok. Ein oder zwei Abgeordnete könnten sich den Informationen zufolge außerdem enthalten, hieß es weiter.
Die 196 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion werden nach Angaben ihres Parlamentsgeschäftsführers Thorsten Frei geschlossen gegen Scholz stimmen. «Wir werden ihm 196-fach das Misstrauen aussprechen», sagte Frei der Deutschen Presse-Agentur.
Mützenich: SPD-Unterstützung für Scholz «absolut deutlich»
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich geht dagegen davon aus, dass seine Fraktion ihrem Kanzler klar den Rücken stärken wird. Die Unterstützung für Scholz unter den 207 SPD-Abgeordneten sei «absolut deutlich», sagte er. «Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem Bundeskanzler allen Zuspruch geben, den er braucht, aber den er auch verdient hat.»
Besuch im Schloss Bellevue bei verlorenem Vertrauen
Sollte Scholz wie geplant und erwartet keine Zustimmung im Bundestag erhalten, wird er unmittelbar nach der Sitzung zum Schloss Bellevue fahren und vorschlagen, den Bundestag aufzulösen.
Er hat dann 21 Tage Zeit, um zu entscheiden, ob er zustimmt und eine Neuwahl innerhalb von 60 Tagen ansetzt. Da es im Bundestag eine breite Einigkeit darüber gibt, dass die ursprünglich für den 28. September 2025 geplante Bundestagswahl vorgezogen werden soll, gilt die Zustimmung Steinmeiers als sicher. Er hat auch bereits signalisiert, dass er mit dem angestrebten Termin am 23. Februar einverstanden ist.
Steinmeier: «Wir wollen jetzt nicht huddeln»
Er will aber zunächst Gespräche mit allen Fraktionen und Gruppen im Bundestag führen, in dem insgesamt acht Parteien vertreten sind. Das sei «gute Staatspraxis in Deutschland», sagte er in einem am Wochenende veröffentlichten ARD-Interview und mahnte Ruhe und Sorgfalt in dem weiteren Verfahren an. «Wir sollten jetzt nicht huddeln. Die Hektik der Tagespolitik und die Schlagzahl der Medien gibt jetzt nicht das weitere Verfahren vor, sondern die Verfassung und ihre Regeln.»
Scholz bleibt voll handlungsfähig
Die Vertrauensfrage hat keine Auswirkung auf den Status des Kanzlers und der Regierung. Der Kanzler und seine Regierung bleiben im Amt – und zwar im vollen Umfang und nicht nur geschäftsführend. Gemäß Artikel 69 des Grundgesetzes endet das Amt des Bundeskanzlers und seiner Minister erst mit der Konstituierung des neuen Bundestags höchstens 30 Tage nach der Wahl. Sollten zu diesem Zeitpunkt die Verhandlungen über eine neue Regierungskoalition noch nicht abgeschlossen sein, kann der Bundespräsident die alte Regierung bitten, die Amtsgeschäfte bis zur Vereidigung der neuen Regierung weiterzuführen.