Menschen mit Behinderung haben weniger Zugang zu Bildung und Berufen, sind in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt – und sterben früher. Bei einem Treffen in Berlin geht es um konkrete Verbesserungen.
Scholz und König Abdullah II.: Rechte Behinderter schützen
Es muss mehr für Menschen mit Behinderungen getan werden: Der geschäftsführende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der jordanische König Abdullah II. haben international verstärkte Anstrengungen für Inklusion und Teilhabe gefordert. «Trotz der Fortschritte der vergangenen Jahre stoßen Menschen mit Behinderungen weiterhin auf systematische Barrieren», sagte Scholz zum Auftakt einer internationalen Konferenz in Berlin. Diese reichten von Ausbildung und Beruf über die Gesundheitsversorgung bis hin zur politischen Teilhabe und dem Zugang zu modernen Technologien.
Scholz warnte vor Rückschritten «in einer Zeit, in der Vielfalt, Teilhabe und Inklusion zunehmend infrage gestellt und in vielen Staaten sogar angegriffen werden». Er sagte: «Wir sind hier, um ganz deutlich zu sagen: Das werden wir nicht geschehen lassen.»
Mehr als 3.000 Vertreter von Regierungsstellen und Zivilorganisationen aus 100 Staaten nehmen bis Donnerstag am 3. Weltgipfel für Menschen mit Behinderung teil. Das Ziel des Treffens ist es, konkrete Fortschritte bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu erzielen. Die Teilnehmer werden aufgefordert, konkrete Zusagen zu machen.
Jordanischer König: Gazastreifen ist schmerzliches Beispiel
König Abdullah II. von Jordanien, dessen Land als regionaler Vorreiter gilt, betonte die Bedeutung der Situation von Menschen mit Behinderung in Konfliktregionen. Er unterstrich, dass der Einsatz für einen gerechten Frieden unverzüglich erfolgen müsse.
«Die Situation in Gaza ist ein schmerzliches Beispiel», sagte der König, dessen Rede an dieser Stelle von Applaus unterbrochen wurde. «Heute hat Gaza pro Kopf gesehen die höchste Zahl amputierter Kinder in der Welt, zusammen mit hohen Zahlen bei den Erwachsenen.» Medizinische Einrichtungen seien zerstört.
Laut dem Entwicklungsministerium sind etwa 15 Prozent der Weltbevölkerung Menschen mit Behinderungen. Wenn diese Menschen nicht inkludiert werden, bedeutet das auch einen Verlust für die Gesellschaft – Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zufolge bis zu sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts eines Landes.
Inklusion «nicht nur ein wünschenswertes Ideal»
Die geschäftsführende Entwicklungsministerin Svenja Schulze betonte die Notwendigkeit, Menschen mit Behinderung stärker in die Gesellschaft und das Berufsleben einzubeziehen. «Inklusion ist nicht nur ein wünschenswertes Ideal, sondern ein grundlegendes Menschenrecht», sagte die SPD-Politikerin auf der Konferenz. «Die gute Nachricht ist: Es gibt bereits viele Erfahrungen und Ideen für mehr Inklusion und Barrierefreiheit, von denen wir und andere lernen können. Sie sind aber oft noch nicht bekannt genug.»
Am zweiten Gipfeltag ist geplant, eine Amman-Berlin-Erklärung zu verabschieden. In dieser erklären sich die Staaten und Organisationen dazu, dass mindestens 15 Prozent ihrer entwicklungspolitischen Projekte die Inklusion der weltweit mehr als 15 Prozent Menschen mit Behinderungen fördern sollen.
Nawaf Kabbara, Präsident des Weltverbandes der Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen, betonte die zunehmende Unsicherheit in einer Zeit vieler Krisen und Kriege sowie aufgrund von Finanzierungskürzungen. Investitionen in die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen kommen auch der gesamten Gesellschaft zugute.
Lebenserwartung von Menschen mit Behinderung viel niedriger
Am Donnerstag soll auch ein vom Entwicklungsministerium in Auftrag gegebener Bericht zur Lage («Global Disability Inclusion Report») vorgestellt werden. Er zeigt eine generelle, regional aber auch unterschiedlich starke Benachteiligung.
Laut dem Ministerium haben Menschen mit Behinderungen im Durchschnitt weltweit eine um 14 Jahre kürzere Lebenserwartung als Menschen ohne Behinderungen. In den ärmsten Ländern beträgt der Unterschied 23 Jahre, in den reichsten Ländern 10 Jahre.
Auch in Bezug auf den Zugang zu Therapien und Hilfsmitteln gibt es große Unterschiede: In den wohlhabendsten Ländern nutzen 88 Prozent der Menschen mit Behinderung Hilfsmittel wie Prothesen, Rollstühle oder Hörgeräte, während es in den ärmsten Ländern nur 11 Prozent sind.
In den wohlhabendsten Ländern gibt es mehr als 900 Physiotherapeuten pro einer Million Einwohner, während es in ärmeren Ländern weniger als 30 sind. Ebenso sind in Ländern wie den USA und Australien mehr als 300 Sprachtherapeutinnen und Logopäden pro einer Million Einwohner verfügbar, während es in einigen afrikanischen Ländern keine einzige gibt.