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Schuldzuweisungen in der Debatte über Aschaffenburg

Eine grausame Attacke im bayerischen Aschaffenburg – und das mitten im Bundestagswahlkampf. Es gibt schwere Vorwürfe zur Tat, aber auch mäßigende Stimmen.

Stilles Gedenken an zwei Tote und drei Schwerverletzte in Aschaffenburg.
Foto: Daniel Vogl/dpa

Nach der tödlichen Messerattacke in Aschaffenburg gehen mitten im Bundestagswahlkampf die gegenseitigen Schuldzuweisungen weiter. Wie schon Bundeskanzler Olaf Scholz sprach Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) im ZDF-«heute journal» von Versäumnissen auch in Bayern. «Für die Abschiebungen sind die Länder vor Ort zuständig. Wir stellen fest, dass wir zu wenig Abschiebehaftplätze haben und ja, wir haben hier Vollzugsdefizite.»

Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz sagte der «Neuen Osnabrücker Zeitung»: «Der Täter war ausreisepflichtig und hätte nicht mehr im Land sein dürfen. Deutlich wird erneut: Wir haben es in erster Linie mit einem Vollzugsproblem zu tun, keinem gesetzgeberischen.» Scholz forderte in der «Bild» einen «Mentalitätswandel in allen Behörden», die inzwischen verschärften Gesetze auch umzusetzen. 

Abschiebungen vereinfachen?

Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) hat in den ARD-«Tagesthemen» Vorwürfe zurückgewiesen. Auf die Frage, ob Abschiebungen besser in die Zuständigkeit des Bundes übergehen sollten, antwortete er: «Wenn der Bund sagen würde (…), er will das alles übernehmen, hätte ich nichts dagegen – aber das ist keine Forderung, die wir an den Bund richten.»

Kritik an der politischen Diskussion kam vom Präsidenten des Landkreistags, Achim Brötel. «Schuldzuweisungen helfen nicht weiter», sagte der Landrat der Deutschen Presse-Agentur. Abschiebungen müssten einfacher möglich sein. «Bislang sind wir in unserem Land zu oft ohne wirkliche Handhabe gegenüber Personen, die ausreisepflichtig sind.» 

Reul gegen «Nebelkerzen-Aktionismus»

Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) hatte nach der Tat seine Forderung nach umfassenden Zurückweisungen an den Grenzen noch einmal verschärft. Die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel bot ihm in einem offenen Brief an, dies noch vor der Bundestagswahl mit der Union im Parlament zu beschließen.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte der «Augsburger Allgemeinen»: «Punktekataloge, vermeintlich starke Worte, schnelle Forderungen werden weder dem Leid der Opfer noch den trauernden Eltern, Angehörigen und Freunden gerecht.» Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach im «Kölner Stadt-Anzeiger» von «Nebelkerzen-Aktionismus, der keinem was bringt». 

Stilles Gedenken am Abend

Etwa 3000 Personen hatten sich am Donnerstagabend nach dem schrecklichen Vorfall zu einer stillen Gedenkveranstaltung in dem Park versammelt, in dem ein zweijähriger Junge und ein 41-jähriger Mann am Mittwoch erstochen wurden. Drei Personen wurden schwer verletzt.

Der 28-jährige Afghane, dem die Tat angelastet wird, wurde auf Anordnung des Amtsgerichts Aschaffenburg in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Er wird beschuldigt, zweifachen Mord, zweifachen versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung begangen zu haben.

Der Verdächtige war der Polizei und der Justiz bereits seit geraumer Zeit bekannt – unter anderem aufgrund von Gewaltvorwürfen und psychischen Auffälligkeiten. Er soll in einer Polizeistation randaliert und dabei drei Polizisten verletzt haben. Seit Dezember des letzten Jahres stand er unter Betreuung, zuvor soll er bereits zweimal polizeilich in eine Psychiatrie eingewiesen worden sein.

Laut der Staatsanwaltschaft war eines der laufenden Ermittlungsverfahren gegen ihn noch nicht abgeschlossen, da die Behörde die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens veranlasst hatte. Dieser Auftrag wurde jedoch vorübergehend ausgesetzt, da die Zentrale Ausländerbehörde der Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte, dass der Beschuldigte freiwillig ausreisen wolle. Zuvor konnte er laut Bayerns Innenminister Herrmann aufgrund mangelnder Kommunikation zwischen den Behörden und einer verstrichenen Frist nicht abgeschoben werden.

Warnung vor Vorurteilen gegenüber psychisch Kranken

Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, sagte dem «Redaktionsnetzwerk Deutschland» (RND): «Allein aus der Tatsache, dass ein Mensch eine psychische Erkrankung hat, lässt sich keine Gefährdung ableiten.» Wenn Psychiater und Therapeuten Hinweise darauf erhielten, dass ein Patient eine Gefahr für sich oder andere darstelle, könnten sie aber auch heute schon tätig werden.

Der Marburger Sozialpsychologe Ulrich Wagner hält nach den Attentaten der vergangenen Monate – zuletzt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt – auch für möglich, dass es zu Nachahmungseffekten kommt. «Je häufiger man von solchen Taten liest, umso eher kopieren das andere», sagte er der «Rheinischen Post». «Aber die Probleme nicht zu diskutieren, wäre auch völlig falsch. Eine Lösung für dieses Dilemma gibt es nicht.»

dpa