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Strukturelle Probleme im Afghanistan-Untersuchungsausschuss

Das Gremium tagt donnerstags und befragt Kabinettsmitglieder für effizientere Krisenabläufe bis Weihnachten.

Horst Seehofer (75), hier bei einer Wahlkampfveranstaltung der CSU im Mai 2024, war bayerischer Ministerpräsident, CSU-Vorsitzender und im letzten Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Bundesinnenminister. Mit Merkel trug er vor allem in Migrationsfragen mehrere Konflikte aus. (Archivfoto)
Foto: Daniel Löb/dpa

Staatssekretäre aus verschiedenen Ministerien treffen sich regelmäßig, um die aktuelle Lage zu besprechen, aber treffen keine Entscheidungen. Ein lang anhaltender Konflikt zwischen dem Innenministerium und dem Auswärtigen Amt bleibt ungelöst. Dies sind nur zwei von mehreren strukturellen Problemen, die der Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestages aufgedeckt hat.

Die Untersuchungskommission, die die Umstände der hektischen deutschen Evakuierung aus Kabul im August 2021 und die Aufnahme afghanischer Ortskräfte untersucht, trifft sich immer donnerstags während der Sitzungswochen. Bisher ist das öffentliche Interesse begrenzt – wahrscheinlich auch aufgrund der Tatsache, dass neue Krisen wie der Ukraine- und Nahost-Krieg die Schlagzeilen dominieren.

Ausschuss befragt frühere Mitglieder des letzten Merkel-Kabinetts

Mit der Befragung von Horst Seehofer, dem ehemaligen Bundesinnenminister (CSU), als Zeuge an diesem Donnerstag neigt sich die Beweisaufnahme langsam dem Ende zu. Nach Seehofer sollen die Abgeordneten, die am Ende einen Bericht mit Empfehlungen für effizientere Abläufe in Krisenlagen verfassen sollen, bis Weihnachten noch mehrere ehemalige und aktuelle Kabinettsmitglieder befragen. Dazu gehören – Stand jetzt – auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Altkanzlerin Angela Merkel (CDU), die frühere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Ex-Außenminister Heiko Maas (SPD).

Seehofer wird wahrscheinlich hauptsächlich Fragen zu den von ihm vorangetriebenen letzten Abschiebungen nach Afghanistan vor der Machtübernahme durch die Taliban in Kabul beantworten müssen. Außerdem möchten die Abgeordneten von dem Polit-Pensionär wissen, warum das von ihm damals geleitete Ministerium im Sommer 2021 auf umfangreichen Sicherheitsprüfungen bei der Aufnahme von Ortskräften der Bundeswehr und ehemaligen Mitarbeitern anderer deutscher Institutionen aus Afghanistan bestand. Dies hat den Aufnahmeprozess stark verlangsamt.

Aufwendige Prüfung oder rasche Aufnahme?

Das Auswärtige Amt bestand darauf, die deutsche Botschaft in Kabul bis zur letzten Minute geöffnet zu halten, unterstützte jedoch ein vereinfachtes Aufnahmeverfahren für Ortskräfte mit einer Visaerteilung bei Ankunft.

Im Juni 2021 wurde eine Umfrage in den verschiedenen Ressorts der Bundesregierung durchgeführt, um herauszufinden, wie viele Ortskräfte seit 2013 – wie von Merkel festgelegt – für die verschiedenen deutschen Institutionen gearbeitet haben und somit theoretisch für eine Aufnahme in Frage kommen. Das Auswärtige Amt nannte zunächst 59 Afghanen, das Verteidigungsministerium 1.300 Ortskräfte mit einem Arbeitsvertrag mit der Bundeswehr, das Entwicklungsministerium kam auf mehr als 3.500 ehemalige und aktuelle lokale Mitarbeiter. Das Innenministerium schätzte, dass aufgrund bereits erhaltener Zusagen maximal mit 70 weiteren Anträgen zu rechnen sei.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums hat bestätigt, dass die Bundesregierung im Zuge der laufenden Aufnahmeverfahren aus Afghanistan die Einreise von über 36.000 gefährdeten Afghanen und Afghaninnen sowie ihren Familienangehörigen ermöglicht hat. Im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms haben derzeit 3.082 Afghanen und ihre Angehörigen eine Zusage für die Aufnahme erhalten, wovon bereits 682 eingereist sind.

«Es soll insbesondere ausgeschlossen werden, dass Personen aufgenommen werden, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen könnten», teilt eine Sprecherin des Innenministeriums mit. Zu diesen Prüfungen gehören ihren Angaben zufolge seit Juni 2023 auch Befragungen vor der Einreise. Nach Kenntnis der Bundesregierung habe es bisher keine Fälle gegeben, in denen Menschen aus dem Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan trotz Sicherheitsbedenken und Zweifeln eingereist seien. Sollten solche Bedenken auftauchen, werde die Aufnahmezusage aufgehoben, «sodass die Grundlage für eine Visumserteilung zwecks Einreise entfällt», teilte die Sprecherin mit. 

Der Bundesregierung seien zudem keine Fälle bekannt, in denen Menschen, die über die Aufnahmeprogramme aus Afghanistan eingereist sind, «in Deutschland als Gefährder oder relevante Person im Bereich der Politisch Motivierten Kriminalität – Religiöse Ideologie – eingestuft wurden oder dem islamistischen Personenspektrum zugeordnet werden», teilte die Sprecherin auf Nachfrage mit. Von einem «Gefährder» spricht die Polizei, bei Menschen, denen sie schwere politisch motivierte Straftaten bis hin zu Terroranschlägen zutraut. Das «islamistische Personenspektrum» ist eine Kategorie, die der Verfassungsschutz verwendet.

Die Grünen und die FDP waren am 15. August 2021, als die Taliban die afghanische Hauptstadt praktisch ohne Gegenwehr einnahmen, in der Opposition. Die Grünen-Politikerin Sara Nanni fragte Miguel Berger, damals Staatssekretär im Auswärtigen Amt, in einer Sitzung des Ausschusses, welche Entscheidungen die Staatssekretäre der verschiedenen Ministerien denn in ihren Runden zu Afghanistan damals getroffen haben. Seine Antwort: «Also, es ist ja nicht so, dass das Operative einer Staatssekretärsrunde sich daraus ergibt, dass man am Ende festhält: Eins, zwei drei, sondern dass man miteinander spricht und ein gemeinsames Verständnis über eine Situation entwickelt.» 

Zeuge nennt Runde der Staatssekretäre «informelles Gremium»

Als die FDP-Abgeordnete Ann-Veruschka Jurisch vom damaligen Staatssekretär im Entwicklungsministerium, Martin Jäger, wissen will, ob die Runde überhaupt Entscheidungen getroffen oder – bei Problemen – auf die Ministerebene gehoben hätten, antwortete dieser: «Das war kein Gremium mit einer Entscheidung, wo es Beschlussvorlagen gab.» Auch an einen formalen Verweisungsbeschluss auf die Ministerebene könne er sich nicht erinnern. Sein Fazit: «Das war ein informelles Gremium».

Aus Sicht von Jurisch sind das Erkenntnisse, die für die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats sprechen, den ihre Partei schon länger fordert. «Klare Entscheidungswege und Verantwortlichkeiten in der Sicherheitspolitik sind zwingend notwendig», sagt die FDP-Politikerin. Und: «Zeitenwende bedeutet auch aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen.»

Schon wieder organisierte Verantwortungslosigkeit? 

Die Untersuchung erinnert an einen Untersuchungsausschuss der vorherigen Wahlperiode. Nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 2016 wurde festgestellt, dass über den späteren Attentäter Anis Amri im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) von Bund und Ländern so oft gesprochen wurde wie über kaum einen anderen radikalen Islamisten, jedoch ohne entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Der abgelehnte Asylbewerber aus Tunesien besuchte Salafisten-Moscheen und handelte mit Drogen. Er war den Behörden unter verschiedenen Aliasnamen bekannt.

Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic bilanzierte später, nach zahlreichen Zeugenvernehmungen in einem Untersuchungsausschuss, im GTAZ habe damals «eine Art organisierte Verantwortungslosigkeit» geherrscht. Aus Sicherheitskreisen ist zu hören, seit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz habe es im GTAZ einige Veränderungen gegeben – etwa eine bessere Festlegung klarer Zuständigkeiten für einzelne Fälle sowie eine engere Abstimmung operativer Maßnahmen. Auch werde bei den Sitzungen inzwischen ausführlicher Protokoll geführt.

dpa