Der ukrainische Präsident stellt seinen Plan zur Nato-Mitgliedschaft vor, trotz Kritik und anhaltenden Kämpfen mit Russland.
Selenskyj präsentiert "Siegesplan" gegen Russland vor EU und Nato
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will den von ihm so bezeichneten Siegesplan im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg an diesem Donnerstag auf europäischer Bühne und bei der Nato vorstellen. «Ich werde ihn unseren EU-Partnern beim Treffen des Europäischen Rates präsentieren», sagte Selenskyj. Er hatte den Plan, der an erster Stelle eine umgehende und bedingungslose Einladung zum Nato-Beitritt vorsieht, zuvor in Kiew erstmals vor Abgeordneten der Obersten Rada, dem Parlament, erläutert.
Nach seinen Angaben gab es dafür «starke Unterstützung von allen Parlamentsparteien und Gruppen». Die Opposition um Ex-Präsident Petro Poroschenko in der Rada kritisierte den Plan allerdings als wenig realistisch. Aus Russland hieß es, Selenskyj erkläre in keinem der fünf Punkte, wie er den Konflikt lösen wolle, sondern versuche, die westlichen Verbündeten noch tiefer in den Krieg hineinzuziehen. Er hatte den Plan bereits vergangene Woche in Rom, Paris und London hinter verschlossenen Türen vorgestellt. In Berlin weihte er Kanzler Olaf Scholz (SPD) ein. Nun sollen alle EU-Mitglieder ins Bild gesetzt werden. Die Ukraine verteidigt sich seit mehr als zweieinhalb Jahren gegen den russischen Angriffskrieg.
Die Beratungen über den Ukraine-Krieg sind beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder nur ein Thema neben Fragen der Migrationspolitik und der Lage in Nahost. Selenskyj plant während seines Brüssel-Besuchs auch Treffen mit den Verteidigungsministern der Nato-Länder. Nato-Generalsekretär Mark Rutte wird Selenskyj im Hauptquartier empfangen, wie Bündnissprecherin Farah Dakhlallah mitteilte. Eine gemeinsame Pressekonferenz von Rutte und Selenskyj ist für 18.20 Uhr geplant.
Erneut Drohnenangriffe in der Nacht
Die Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine dauern weiter an. Laut der ukrainischen Luftwaffe griffen russische Kampfdrohnen am Abend und in der Nacht erneut große Teile der Ukraine an. In den meisten Regionen wurde Luftalarm ausgelöst.
Die russische Luftabwehr hat in der Nähe der Grenze in Brjansk drei ukrainische Drohnen abgeschossen. Diese Information wurde in der Nacht vom Gouverneur der Region, Alexander Bogomas, auf der Plattform Telegram bekannt gegeben. Es gab keine Schäden oder Verletzte. Die Angaben beider Kriegsparteien konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Gelegenheit zur Klärung offener Fragen zum «Siegesplan»
Der Besuch im Nato-Hauptquartier ist für Selenskyj auch eine Gelegenheit, noch offene Fragen zu seinem «Siegesplan» zu beantworten. Rutte sagte am Mittwoch in einer ersten Reaktion, er könne derzeit nicht sagen, dass er den gesamten Plan unterstütze. Es gebe viele Punkte, die man besser verstehen müsse.
Beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister wird unter anderem die Situation in der Ukraine und weitere Unterstützungsmöglichkeiten für das Land diskutiert. Rutte hatte kürzlich Bedenken geäußert, dass die Ukraine vor dem härtesten Winter seit Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 steht.
Rutte verwies auf die Beschlüsse des letzten Nato-Gipfels in Washington in Bezug auf den Nato-Beitritt der Ukraine. Die Befürworter einer schnellen Einladung konnten sich nicht gegen Gegner wie die USA und Deutschland durchsetzen. Die Bündnisstaaten einigten sich lediglich darauf, der Ukraine zu versichern, dass sie auf ihrem Weg in das Verteidigungsbündnis nicht mehr aufzuhalten sei.
Selenskyj dankt USA und Australien für weitere Militärhilfe
Der ukrainische Staatschef dankte im Kurznachrichtendienst X den USA und Australien für weitere Militärhilfe. Die US-Unterstützung laufe unverbrüchlich, teilte er nach einem Gespräch mit US-Präsident Joe Biden mit. Er habe Biden nicht nur einen Ausbau der Zusammenarbeit bei der Herstellung von Waffen angeboten. «Wir sprachen auch über die Wichtigkeit einer zusätzlichen Ausbildung von ukrainischen Soldaten», sagte er. Biden gibt weitere Militärhilfe in Höhe von 425 Millionen US-Dollar (391 Millionen Euro) frei.
Das Paket enthalte zusätzliche Luftabwehrkapazitäten, gepanzerte Fahrzeuge und Munition, teilte das Weiße Haus mit. Biden habe Selenskyj in dem Telefonat außerdem zugesagt, dass die USA Kiew in den kommenden Monaten unter anderem «Hunderte Luftabwehrraketen, Dutzende von taktischen Luftabwehrsystemen, zusätzliche Artilleriesysteme und beträchtliche Mengen an Munition» zukommen lassen wollten. Australien gibt laut Selenskyj in einer «mutigen Entscheidung» 49 Abrams-Panzer an die Ukraine ab.
Laut dem Weißen Haus hat Selenskyj Biden auch darüber informiert, wie Russland besiegt werden soll. Die Ukraine fordert insbesondere die Freigabe westlicher Waffen mit hoher Reichweite für Angriffe auf militärische Ziele tief im russischen Hinterland. Bisher gibt es Einschränkungen dafür. Die Ukraine setzt hauptsächlich eigene Drohnen für die Angriffe ein.
Biden und der ukrainische Präsident hätten ihre Teams beauftragt, «weitere Konsultationen über die nächsten Schritte aufzunehmen». Die USA gelten als wichtigster Unterstützer der Ukraine. Bidens Regierung hat militärische Hilfe in Milliardenhöhe für Kiew bereitgestellt. Hinzu kommt noch weitere Unterstützung an nichtmilitärischer Finanzhilfe.
Konferenz soll Minenräumung in der Ukraine voranbringen
Große Gebiete der Ukraine sind mit Hunderttausenden Minen, Streumunition und Blindgängern verseucht. Bei einer internationalen Konferenz in Lausanne in der Schweiz wird am Donnerstag diskutiert, wie die Minenräumung mit dem sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau verknüpft werden kann. Die Kosten für die vollständige Räumung wurden von der Ukraine bereits im vergangenen Jahr auf etwa 34 Milliarden Euro geschätzt.
Unter anderem diskutieren Vertreter aus über 50 Ländern sowie internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft über neue Ansätze zur schnelleren Untersuchung potenziell kontaminierter Gebiete und neue Finanzierungsmodelle. Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) schlägt beispielsweise vor, dass die ukrainische Regierung Anleihen ausgibt, um die Minenräumung mit der Einführung nachhaltiger landwirtschaftlicher Praktiken zu verknüpfen. Die Einnahmen aus den Anleihen könnten unter anderem wieder in die Minenräumung investiert werden.