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Selenskyjs wichtigste Reise

Beim G7-Gipfel sitzen einige der mächtigsten Männer und Frauen der Welt zusammen. Die Scheinwerfer sind aber auf jemanden gerichtet, der gar nicht so richtig dazugehört: Wolodymyr Selenskyj.

Ein Gruppenbild der Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten.
Foto: Jonathan Ernst/Reuters Pool via AP/dpa

Sie begrüßen sich fast schon wie alte Freunde. «Gut, dich zu sehen. Wir treffen uns ja recht häufig», sagt Olaf Scholz auf Englisch, als Wolodymyr Selenskyj den Raum betritt, den das japanische G7-Gipfelprotokoll dem Bundeskanzler im 22. Stock des Grand Prince Hotels für bilaterale Gespräche zur Verfügung gestellt hat. «Es ist immer eine Freude», antwortet Selenskyj.

Der ukrainische Präsident hat vor Scholz in den Nachbarzimmern schon ein paar andere Staats- und Regierungschefs getroffen. Rishi Sunak aus Großbritannien zum Beispiel, Narendra Modi aus Indien, Giorgia Meloni aus Italien oder Emmanuel Macron aus Frankreich. Alles so im 15- bis 20-Minuten-Takt. Jetzt ist der Bundeskanzler dran. «It’s a good pleasure» – «es ist mir ein Vergnügen», sagt er noch schnell vor laufenden Kameras zu Selenskyj. Dann geht’s vertraulich weiter.

Viele sehr mächtige Männer und Frauen und ein Star

Im japanischen Hiroshima haben sich eine ganze Reihe der mächtigsten Männer und Frauen der Welt versammelt, die – G7 und Gäste zusammengenommen – für mehr als drei Milliarden Menschen und einen großen Teil der weltweiten Wirtschaftskraft stehen. Der Star ist aber einer, der eigentlich gar nicht so richtig dazugehört. Der Mann, der sich mit seinen Streitkräften seit 15 Monaten gegen die russischen Angreifer zur Wehr setzt.

Am Samstagnachmittag gegen 15.30 Uhr landet Selenskyj mit einer französischen Regierungsmaschine in Hiroshima, die Macron organisiert hat, um ihn vom Gipfel der Arabischen Liga in der 9000 Kilometer entfernten saudi-arabischen Hafenstadt Dschidda abzuholen. Hiroshima ist ein Symbol für Kriegszerstörung, wie es weltweit kein zweites gibt. Beim ersten Atomwaffeneinsatz der Geschichte wurden 80 Prozent der Stadt dem Erdboden gleichgemacht, mehr als 330.000 Menschen starben sofort oder später an ihren Verbrennungen und Verstrahlungen.

Ruine eines Kuppelbaus als Mahnung an Putin

Die Ruine eines Kuppelbaus erinnert noch heute an das Inferno und mahnt diejenigen, die heute mit einem Atomwaffeneinsatz drohen – wie der russische Präsident Wladimir Putin. Es ist Selenskyjs Land, gegen das sich dessen Drohungen richten.

Der ukrainische Präsident hat einige Reisen in den vergangenen sechs Monaten unternommen. Diese hier ist nicht nur die weiteste und symbolträchtigste, sondern auch die bedeutendste. In der G7 der führenden demokratischen Wirtschaftsmächte sind die wichtigsten Verbündeten Selenskyjs vereint: Die USA, die mit Abstand die meisten Waffen liefern. Deutschland, Großbritannien und Frankreich, die wirtschaftlich und militärisch stärksten Länder Europas. Die Spitzen der Europäischen Union, der die Ukraine so bald wie möglich beitreten will.

Auch Modi und Lula als Gesprächspartner

Es sind aber auch einige beim G7-Gipfel dabei, die den Aggressor Russland trotz Angriffskriegs immer noch einigermaßen nahe stehen. Der indische Premierminister Modi zum Beispiel, dessen Land sich einer Verurteilung der Invasion in der UN-Vollversammlung verweigert. Oder der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der für die Gründung eines «Friedensclubs» unter Einbeziehung Chinas geworben hat. Selenskyj lässt inzwischen erkennen, dass er gegen solche Initiativen grundsätzlich nichts hat – wenn der ukrainische Friedensplan Grundlage dafür ist.

Der sieht einen kompletten Truppenabzug Russlands aus den besetzten Gebieten vor. Da Russland dazu noch nicht bereit ist, braucht Selenskyj von der Gruppe der Sieben vor allem eins: Waffen. Um noch mehr davon zu bekommen, ist Selenskyj vor der geplanten Großoffensive zur Rückeroberung besetzter Gebiete vor einer Woche schon durch Europa getourt, erstmals auch nach Berlin. Scholz hat ihm als Gastgeschenk ein Waffenpaket im Wert von 2,7 Milliarden Euro geschnürt. Da waren weitere Kampf- und Schützenpanzer dabei, Flugabwehrsysteme und Munition. Aber kein Waffensystem neuer Qualität.

Nach den Kampfpanzern nun die Kampfjets

Genau darum geht es nun in Hiroshima. Selenskyj will seit langem Kampfjets. Großbritannien, Frankreich und andere europäische Staaten sind bereit, eine Lieferung zumindest vorzubereiten – über die Ausbildung von Piloten. Am Tag vor Selenskyjs Ankunft gibt US-Präsident Joe Biden grünes Licht dafür. Das ist nötig, weil die Ukraine am liebsten die amerikanischen F-16-Flieger haben möchte, die von den Verbündeten nur mit US-Erlaubnis weitergegeben werden dürfen.

Damit wird eine weitere Waffenwende in diesem Krieg in die Wege geleitet, so ähnlich wie bei den Kampfpanzern. Da hatte sich Scholz nach langem Zögern an die Spitze der Bewegung gesetzt. Wo steht er nun bei den Jets? Bildlich steht er am Rande der Startbahn und sieht zu, wie die F-16 langsam los rollt. Ob sie tatsächlich irgendwann Richtung Ukraine startet ist offen. Und ob Deutschland das Projekt unterstützt, ist es auch. Selenskyj hat sich das bei seinem Berlin-Besuch gewünscht. Scholz kann seine Skepsis nicht verbergen. Was die beiden in Hiroshima besprochen haben, bleibt vertraulich.

Selenskyj: «Ich bin sehr glücklich»

Irgendwo auf den Gängen des Hotels Grand Prince bedankt sich Selenskyj am Samstagabend aber sehr herzlich bei denjenigen, die jetzt schon mitmachen, bevor er in das nächste Gespräch geht. «Ich bin sehr glücklich», sagte er auf die Frage eines ZDF-Reporters. Die Entscheidung werde den Menschen in der Ukraine helfen, ihre Häuser und Familien zu schützen.

Der ukrainische Präsident bleibt aber vorsichtig: «Ich glaube, die Entscheidung bedeutet nicht, dass wir all diese Verteidigungsmittel morgen haben werden. Wir müssen uns vorbereiten. Aber trotzdem: Es ist ein großartiger Beschluss.»

dpa